Zu Recht empört

Rezension

Menschen, die den Mut haben, über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung zu sprechen, laufen oft Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. In ihrem Buch Er hat dich noch nicht mal angefasst setzt sich Franziska Saxler mit gängigen Vorurteilen rund um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auseinander. Auf 224 Seiten gibt sie Tipps für Betroffene sowie für Arbeitgeber.

Die studierte Psychologin beschäftigte sich in ihrer Doktorarbeit mit den Mechanismen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und betreibt interkulturelle Geschlechterforschung. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat sie 2022 die Plattform #metooscience ins Leben gerufen. Diese soll Betroffenen von sexualisierter Gewalt „ein Sprachrohr und Schutz durch Solidarität und Anonymität“ bieten, wie es auf der Website von Metooscience heißt.

Gesellschaftlicher Kontext

In 15 Kapiteln geht die Autorin unter anderem den Fragen nach, wo sexuelle Belästigung beginnt und welche Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zugrunde liegen. Im ersten Kapitel Vom Traumjob zur Hölle schildert Saxler ihre eigenen Erfahrungen mit sexueller Belästigung. „Er hat mich noch nicht mal angefasst und trotzdem fühlte sich mein Leben zu der Zeit an wie ein täglicher Kampf um meine Grenzen“, schreibt sie. Was gesellschaftlich und strafrechtlich als Belästigung gilt, sei sehr stereotyp, so Saxler. Es gebe feste Vorstellungen davon, wie ein „gutes Opfer“ auszusehen habe und was eine „echte Belästigung“ ausmache. Saxler hinterfragt diese Narrative kritisch und stützt ihre Argumentation stets mit aktuellen Studien und Daten.

Doch nicht nur ihre eigenen Erfahrungen machen das Buch zu einem sehr persönlichen. Zwischendurch finden sich Auszüge aus Transkripten von Interviews mit anderen Betroffenen oder einer Anwältin, die sich auf Diskriminierungsfragen spezialisiert hat. In diesem Gespräch finden sich zum Beispiel sehr praktische Ressourcen, wie eine gerichtlich anerkannte App, mit der Betroffene den Prozess der Belästigung dokumentieren können.

Im Kapitel Belästigung und Geschlecht wird deutlich, dass sexuelle Belästigung in alle Richtungen stattfindet. Egal ob Mann, Frau oder nicht-binäre Person. Täter und Opfer können jedes Geschlecht haben. Dennoch: „Ungefähr 85 Prozent der sexuellen Belästigungen geschehen von Männern an Frauen“, schreibt Saxler. Im Kapitel Das perfekte Opfer berichtet sie über Forschungen, die zeigten, dass Frauen, Menschen aus der LGBTQIA+-Community, jüngere Menschen, rassifizierte Personen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, belästigt zu werden. Vor allem dann, wenn sich mehrere dieser Identitäten vermischen.

Gefühle und Fakten

Saxler weist nicht nur auf Missstände hin, sondern versucht, ihren Ursprüngen nachzuspüren. Dabei benennt und erklärt sie drei Prinzipien: die Opfer-Täter-Umkehr, die Dehumanisierung und die moralische Lizenzierung. Darüber hinaus geht Saxler auf den sogenannten wohlwollenden Sexismus ein. Sie beschreibt ihn als „Zuckerbrot des Patriarchats“, um die Härte des Systems zu verschleiern. Um sexuelle Belästigung in all ihren Facetten zu verhindern, braucht es konkrete Präventionsmaßnahmen, zu denen sie einige Beispiele aufzeigt.

Es ist die Mischung aus Erfahrungen, Gefühlen und Fakten, die dieses Buch lesenswert macht. In Saxlers Erzählweise schwingt immer ein Stück Empörung mit, die aber durch schockierende Fälle und Zahlen gut nachvollziehbar ist. Und so löst das Lesen auch eigene Gefühle von Empörung aus.
Trotz der persönlichen Perspektive führt Saxler wissenschaftlich präzise durch die Schattenwelt der sexuellen Belästigung. Im Epilog bekennt die Autorin: „Dieses Buch ist persönlicher und lauter geworden, als es sich für ein Sachbuch gehört.“ Als Wissenschaftlerin habe sie sich gefragt, ob sie das dürfe: laut sein und Emotionen zeigen. Aber Emotionalität und Rationalität schließen sich nicht aus. Vielleicht bedingen sie einander ja sogar manchmal.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Skills. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Salome Häbe

Salome Häbe ist Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Sie hat im Bachelorstudiengang Internationale Kommunikation in den Niederlanden studiert und nebenbei freiberuflich für Magazine und Start-ups im Bereich der Nachhaltigkeit geschrieben.

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