Nichts bleibt, wie es ist

Essay

Es ist schon merkwürdig. Wir Medienleute sind ja meist ganz nah dran und beobachten genau, was sich in der Welt so tut. Neuigkeiten und Umbrüche bekommen wir oft als Erste mit, spüren Trends auf, warnen vor dramatischen Entwicklungen, decken kriminelle Machenschaften auf.

Und andererseits: Hadern wir selbst oft mit dem, was sich in unserem Berufsalltag verändert. Plötzlich sind wir nicht mehr die Ersten beim Veröffentlichen von Nachrichten, müssen mit Desinformation und Deepfakes umgehen, Social-Media-Content erstellen, Communitys moderieren, künstliche Intelligenz nutzen und die neuesten politischen Kapriolen verstehen – die Liste wird immer länger, alles dreht sich immer schneller.

Dieses Phänomen kommt HR-Profis sicherlich sehr bekannt vor. Geht es um Veränderungen in der Arbeitswelt, stehen Unternehmensführungen und Angestellte im Fokus – dass HR-Abteilungen im Hintergrund unzählige Fäden in der Hand halten, geht dabei oft unter. Die breite Masse schaut kaum darauf, wie sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Krisen manövrieren und Führungskräften zum Erfolg verhelfen, während sich ihre Arbeitsrealität ständig ändert.

Alles ist im ständigen Wandel, im Privaten, in Unternehmen, in der Welt. Ja, ja, diese Phrasen kennen wir alle. Wissen wir. Ist so, ja. Können wir jetzt weitermachen? Nein, eigentlich nicht. Denn hätten Unternehmen das neue Mantra Change wirklich verstanden und verinnerlicht, dann müssten wir uns nicht solche Forschungsergebnisse anschauen: Nur jedes zehnte Unternehmen in Deutschland geht die Transformation erfolgreich an. Nur elf Prozent der Unternehmen gehören zu den Transformationsleadern. Das alles steht in der Studie der Unternehmensberatung Kearney und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Politische und wirtschaftliche Zusammenhänge

Dass eine Transformation nicht unbedingt schmerzfrei verläuft, zeigt sich gerade in Ditzingen, westlich von Stuttgart. Dort sitzt der einstige Mittelständler und schwäbische Maschinenbauer Trumpf – eine deutsche Erfolgsgeschichte, die viel beschrieben worden ist. Heute arbeiten fast 20.000 Menschen weltweit für das Unternehmen, das Werkzeugmaschinen und Lasertechnik verkauft. Und doch mussten die Schwaben Ende Februar ihre Belegschaft auf einen weiteren Umbruch vorbereiten.

Bei Trumpf spürt man die Konjunkturkrise seit zwei Jahren. Darum will der Konzern stärker als bisher auf die Profitabilität einzelner Bereiche schauen, was auch bedeutet, Sachkosten und Personal einzusparen. Was genau und wen das betreffen wird, kann der Vorstand aber noch nicht sagen. Das hat er in einem Brief an die Kolleginnen und Kollegen geschrieben. Es geht darum, „Trumpf aus dem Krisenmodus in ein neues Normal“ zu führen.

Die Vorstände um Chefin Nicola Leibinger-Kammüller verweisen auf die unsicheren Zeiten, politisch wie wirtschaftlich, in denen wir gerade leben. Das Licht am Ende des Tunnels sei zwar schon zu erahnen, aber noch nicht zu sehen. Mit dieser vagen Situation sind die Beschäftigten bei Trumpf nicht allein. Vielen Unternehmen hierzulande geht es ähnlich. Neue Zölle, Sanktionen, Kriege, Lieferengpässe, gestrichene
Förderungen oder – es klingt in dieser Aufzählung fast schon vernachlässigbar – der Fachkräftemangel und die steigenden Anforderungen an die Mitarbeitenden. Ist das das neue Normal: ständig drohende Umbrüche und Veränderungen?

Künstliche Intelligenz

Renate Osterchrist ist Professorin für Personalführung, Change Management und HR an der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München. Aus ihrer Sicht findet weltweit gesehen der dramatischste Wandel derzeit durch KI statt. Aber auch die welt- und geopolitische Lage sowie der Klimawandel sorgen für große Veränderungen. „All das macht es für Unternehmen schwierig, strategische Entscheidungen zu treffen“, sagt Osterchrist. Multikrisenlage – das Stichwort der Stunde.

Doch Unternehmensführungen sind im Kern oft unverbesserliche Optimisten. Würden sie nicht an den Erfolg ihres Unternehmens glauben, wer dann? Dieser Optimismus ist es, der die Wirtschaft antreibt. Denn Multikrise heißt auch, dass sich mit neuen Technologien und Voraussetzungen immer auch neue Möglichkeiten auftun.

Und das für alle – inklusive HR. Osterchrist, die früher selbst in der Personal- und Organisationsentwicklung gearbeitet hat, sieht hier großes Potenzial: Wenn beispielsweise Automobilhersteller gerade zweigleisig fahren – also sowohl alte Antriebe als auch neue produzieren –, dann brauchen sie für diese Übergangszeit deutlich mehr Personal. Und da können eben auch neue Technologien helfen: So wie bei Mitsubishi Electric in Japan. Dort haben sie, wie das Magazin Brand Eins
berichtet, eine KI-basierte Software entwickelt, die morgens nach Schichtbeginn die Anweisungen für die anwesenden Arbeitskräfte in ihre Muttersprachen übersetzt.

Eine Videowand zeigt die Anweisungen in den verschiedenen Sprachen an. Das vermeidet nicht nur
Missverständnisse und Produktionsfehler – es macht es für das Unternehmen auch leichter, ausländische Arbeitskräfte einzustellen und schnell ins Arbeiten zu bringen.

Demografischer Wandel

Klar ist aus Sicht von Osterchrist, dass Unternehmen längst anders denken müssen. Schließlich ist der demografische Wandel eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte im Bereich HR und Recruiting. Die Personalleiterbefragung des ifo-Instituts aus dem Jahr 2023 zeigt: Nur 35 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland sind jünger als 40 Jahre.

Elf Prozent stehen kurz vor der Rente oder könnten schon in den Ruhestand wechseln. Es droht eine große Lücke auf dem Arbeitsmarkt. Darauf müssen HR-Verantwortliche reagieren und flexibler werden – und das scheint vielen noch nicht zu gelingen: „Ich glaube, da haben die HRler hierzulande den Zug der Zeit noch nicht gehört“, sagt Osterchrist. Zu häufig würden sie nur Menschen einstellen, die möglichst exakt auf die ausgeschriebene Stelle passen und jede noch so kleine Qualifikation vorweisen können – anstatt diejenigen auszusuchen, die vor allem anpassungsfähig, lernwillig und flexibel sind. „Das sind doch die Kernkompetenzen, die wir jetzt gerade brauchen.“


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Statt also nach wie vor nach Musterkarrieren Ausschau zu halten, können besonders Quereinsteiger und
Menschen mit Brüchen im Lebenslauf wertvolle Mitarbeitende werden. Wer lange Zeit in der Gastronomie gearbeitet hat, kennt sich mit Menschen aller Art, Wutausbrüchen und Beschwerden aus, hat den Service-Gedanken verinnerlicht. Das sind Qualifikationen, wie sie auch im Vertrieb oder Kundenmanagement zum Tragen kommen.

Wer in seiner Freizeit eine Fußballmannschaft trainiert, könnte ungeahnte Erfahrung im Bereich Führung und Management haben. Und wenn wir mal ehrlich sind: Wie viele Praktika Menschen vor dem Berufseinstieg geleistet haben, hat noch nie etwas über das Talent der Bewerberinnen und Bewerber ausgesagt. Da gibt es viele andere Mittel und Wege im Recruiting, die aussagekräftiger sind als Lebensläufe.

Lebenslanges Lernen

Judith Volmer forscht genau zu solchen Fragen: Wie sehen berufliche Laufbahnen heute aus? Welche Fähigkeiten brauchen Menschen, um mit Umbrüchen umzugehen? Volmer ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bamberg. Sie spricht in diesem Zusammenhang von Karriereanpassungsfähigkeit. „Das bedeutet einerseits, dass Menschen selbstgesteuert ihre Laufbahn
planen“, erklärt Volmer.

„Aber auch, dass sie die Fähigkeit haben, sich erfolgreich an Veränderungen im beruflichen Umfeld anzupassen.“ Diese Fähigkeit umfasst vier Dimensionen: Concern (Sorge) meint, dass sich die Person Gedanken über die eigene berufliche Zukunft macht. Control (Kontrolle) bedeutet, das Gefühl zu haben, die eigene berufliche Entwicklung beeinflussen zu können. Man könnte auch von Selbstwirksamkeit sprechen. Curiosity (Neugierde) gehört ebenfalls dazu und meint, dass die Person neuen beruflichen Möglichkeiten offen und interessiert begegnet.

Und Confidence (Selbstbewusstsein) bedeutet, dass die Person daran glaubt, Probleme bewältigen zu können. Diese Fähigkeiten lassen sich auch trainieren. „Zwar kann man Persönlichkeitsmerkmale nicht verändern“, erklärt Volmer. „Aber wenn ich jemanden über seine berufliche Laufbahn reflektieren lasse, ihm aufzeige, welche Ressourcen und welches Netzwerk er schon hat, dann kann das die Selbstwirksamkeit der Person erhöhen.“ Auch Weiterbildungsangebote, Mentoring, Coaching und die Möglichkeit zum Netzwerken helfen Menschen, anpassungsfähiger zu werden.

Um die Skeptiker zu überzeugen, müsse man Lernräume schaffen, sagt HR-Professorin Osterchrist. „Diese Menschen müssen die neuen Tools und Ideen nach dem Sandkastenprinzip austesten dürfen.“ Es gilt, eigene Erfahrungen zu sammeln, Erfolge zu feiern und auch Rückschläge zu verarbeiten. Und das ganz ohne Druck. Dafür haben einige Unternehmen längst Programme ins Leben gerufen und Abteilungen eingerichtet. Bei Zeiss, dem bekannten Brillenglas-Hersteller, gibt es zum Beispiel zwei Innovation Hubs, in denen Mitarbeitende frei Ideen entwickeln und erforschen sowie Machbarkeitsstudien
umsetzen können.

Und im Bayerischen Rundfunk arbeiten Journalistinnen und Journalisten als interdisziplinäres Team an einer Schnittstelle von Journalismus, Informatik und Produktentwicklung im Einklang mit KI und Automatisierung.

Digitalisierung

Bei Trumpf im schwäbischen Ditzingen ruft der Vorstand solche großen Themen regelmäßig als „Jahresthema“ aus. Im Jahr 2018 war die Digitalisierung an der Reihe. „Wir haben uns dann gleich zwei Jahre lang damit beschäftigt“, berichtet CHRO Oliver Maassen, „weil wir gemerkt haben, dass
die Mitarbeiter unheimlich viele Fragen dazu haben.“

Viele hätten die Sorge gehabt, dass sich ihre Aufgaben stark verändern oder sogar ihr Arbeitsplatz wegfällt. Kaum verwunderlich – so gab es gerade in dieser Zeit viele Schreckensszenarien. So hatten zwei US-Forscher 2013 prognostiziert, dass innerhalb von zehn bis 20 Jahren fast die Hälfte aller Jobs der Automatisierung zum Opfer fallen könnten.

Um den Mitarbeitenden bei Trumpf solche Ängste zu nehmen, hat man ihnen gezeigt, was im Jahr 2018 alles schon längst digital lief. Dazu ließ das Unternehmen auf dem Parkplatz einen Glaskubus als Veranstaltungsraum und mit einer Ausstellung aufstellen. „Wir wollen die Neugierde der Menschen auf solche neuen Themen stärken“, erklärt Maassen.

Das fange schon bei den Azubis an: Vor gut anderthalb Jahren haben sie bei Trumpf den früheren Head of Data und AI aus der Forschung und Entwicklung zum globalen Ausbildungsleiter gemacht. So spielen digitale Themen gleich von Anfang an eine Rolle.

Als vor gut zwei Jahren das Thema KI mit dem Aufkommen von ChatGPT plötzlich alle umtrieb, seien die Beschäftigten bei Trumpf schon viel unerschrockener gewesen, berichtet Maassen. „Vielleicht haben wir es beim Thema digitale Transformation schon geschafft, ihre Neugierde zu stärken, so dass sie entspannter mit neuen Themen umgehen.“

Auch zum Thema KI gibt es bei Trumpf Erklärvideos, Lerninhalte auf verschiedenen Plattformen und Veranstaltungen wie den KI-Gipfel mit dem CTO.

Der Takt ist ein anderer

Der Wandel scheint in Ditzingen geschafft. Weg von der lähmenden Angst hin zum bereichernden lebenslangen Lernen. Denn langfristig müssen wir uns wohl alle darauf einstellen, dass wir immer schneller lernen müssen. Der Takt ist ein anderer als noch vor vielen Jahren. Das merkt auch Trumpf Personalvorstand Maassen. Er glaubt, dass die Schnelligkeit, in der immer wieder Neues auf die Beschäftigten einprasselt, die größte Herausforderung aus Sicht der Mitarbeitenden sei. „Jemand, der bei Trumpf arbeitet, wird sagen, dass in immer kürzerer Zeit immer mehr Veränderungen geschehen“, sagt
der CHRO. „Und das in einer Zeit, in der wir mit wahnsinnig vielen Informationen zugeschüttet werden. Das setzt eine große geistige Kapazität voraus, die noch vor einigen Jahren so nicht nötig war.“

Hier sieht Maassen vor allem die Führungskräfte in der Pflicht, Informationen zu filtern und den
Mitarbeitenden beispielsweise immer wieder und wieder zu erklären, warum der Vorstand bestimmte Entscheidungen trifft. Dabei kann es um agile Methoden in bestimmten Unternehmensbereichen gehen.

Oder eben um den Beschluss, Sachkosten und Personal einzusparen. Auch aus psychologischer Perspektive sind die Führungskräfte gefragt. Sie müssen es schaffen, Vertrauen aufzubauen, sagt Arbeits- und Organisationspsychologin Volmer.

„Es hilft auch schon, wenn sie einfach mal zurückspiegeln: Ja, das ist viel, was da von euch verlangt wird, und es ist anstrengend.“ Ein Zugeständnis, das vielleicht das Zeug zum neuen Mantra hat.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Struktur. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Kathi Preppner

Kathi Preppner ist Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert.

Jennifer Spatz

Jennifer Spatz ist Redakteurin und Leiterin des Wirtschaftsteams der Redaktion Wortwert.

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