Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch – ein häufig gelesener Satz. Auf Nachfragen, welche die relevanten Trends sind und welche konkreten Auswirkungen sie haben, erhält man aber häufig keine oder eine undifferenzierte Antwort. Jutta Rump, Professorin und Geschäftsführende Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE), hat sich in ihrem Thesenpapier den sechs zentralen Megatrends demografischer Wandel, technologische Entwicklungen, Globalisierung, Wissensgesellschaft, Frauen auf dem Vormarsch, gesellschaftlicher Wertewandel auf einer Zahlen-Daten-Fakten-Basis genähert und auf dieser Grundlage die Schlüsse für die Personalpolitik gezogen.
Dieser Artikel stammt aus der ersten Ausgabe des Human Resources Manager und erschien erstmals im Dezember 2009. Im Rahmen unseres Jubiläums stellen wir nach und nach fünfzehn Artikel aus dem Archiv online.
Eine gute Personalarbeit, die den Konsequenzen dieser sechs Megatrends Rechnung trägt und somit nachhaltig die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland sowie die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erhält und steigert, muss sich unter anderem mit vier zentralen Fragestellungen beschäftigen:
- Welche Qualifikationen und Kompetenzen muss eine Belegschaft mitbringen, um den künftigen Anforderungen gerecht zu werden?
- Wie bleibt die Lern- und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten mit zunehmendem Alter erhalten – insbesondere dann, wenn der Nachwuchs fehlt?
- Wie lassen sich – jüngere und ältere – Fachkräfte binden und für Unternehmen gewinnen?
- Wie lassen sich junge Menschen für die benötigten Berufsbilder begeistern?
Das Anforderungsprofil der Zukunft – Beschäftigungsfähigkeit:
Für ein Unternehmen wird es immer mehr zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor, über Mitarbeiter zu verfügen, die sich durch ein bestimmtes Profil auszeichnen. Dazu gehören aktuelles Fachwissen und Fachkompetenz, die Fähigkeit, das Wissen und die Kompetenz auf dem aktuellen Stand zu halten, und die Fähigkeit, in sich verändernden Kontexten agieren zu können – und zwar über die gesamte Lebensarbeitszeit hinweg für alle Arbeitsbereiche im Unternehmen.
Diese Art von Beschäftigungsfähigkeit wird auch Employability genannt. Sie zeigt sich in der Fähigkeit, fachliche, persönliche, soziale und methodische Kompetenzen unter sich wandelnden Rahmenbedingungen zielgerichtet anzupassen und einzusetzen, um eine Erwerbsfähigkeit zu erlangen und zu erhalten. Eine wesentliche Voraussetzung ist das Lebenslange Lernen.
Das komplexe Anforderungsprofil der Employability führt nicht selten zu der Frage nach der Machbarkeit und der Befürchtung, man könne die Messlatte ohne Not zu hoch legen. Aber es geht ja nicht darum, in jedem der Kompetenzfelder für jeden die höchstmögliche Ausprägung als Ziel zu definieren, sondern deutlich zu machen, dass die grundsätzliche Relevanz in jedem Aufgabenfeld und Qualifikationsbereich gegeben ist und all diese Facetten Erfolgsfaktoren darstellen.
Es kommt vor allem darauf an, „in Bewegung zu bleiben“. Die Verantwortung für die nachhaltige Sicherung von Beschäftigungsfähigkeit obliegt erst einmal dem Einzelnen. Es gilt sich bewusst zu machen, dass es sich bei Employability um eine Investition in den eigenen Vermögenswert handelt.
Es wird in Zukunft immer seltener einen sicheren Arbeitsplatz und ein sicheres Unternehmen geben, selbst nicht die Sicherheit einer „abgeschlossenen“ Berufsausbildung, die vermeintlich lebenslang trägt. Die eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen bieten einzig und allein Sicherheit.
Bei einem Durchschnitts-Brutto-Jahreseinkommen von 40.000 Euro und einer Lebensarbeitszeit von 40 Jahren beträgt der Vermögenswert des Wissens und der Kompetenzen 1,6 Millionen Euro. Der Einzelne ist also gefordert, sich kontinuierlich den sich verändernden Rahmenbedingungen und Anforderungen des internen wie externen Arbeitsmarktes anzupassen.
Dazu reicht Bereitschaft allein nicht aus. Auch individuelles Handeln – ohne Unterstützung des Arbeitgebers – ist gefragt. Dennoch: Unternehmen, die Employability fordern, sind in der Pflicht, diese zu fördern.
Employability Management
Employability im Unternehmen zu fördern bedeutet, den Beschäftigten als einen der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren zu binden und ihm ein Umfeld zu bieten, in dem er seine Kompetenzen zum beiderseitigen Wohl entfalten und weiterentwickeln kann. Ein solches Umfeld wird jedoch nicht alleine durch Personalentwicklung geschaffen, sondern bedarf eines Ansatzes, der die Rahmenbedingungen, in denen sich der Mitarbeiter bewegt, in adäquater Weise berücksichtigt.
Dazu gehören unter anderem Unternehmenskultur, Führung und Organisation. Sie bilden zusammen das Fundament des Employability Managements. Eine Unternehmenskultur, die Employability fördert und fordert, zeigt sich vor allem in den Werten Wertschätzung, gegenseitigem Vertrauen, Integrität, Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und Offenheit.
Führung, die Mitarbeiter in ihrem Bestreben nach Employability unterstützt, muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen Mitarbeiter erfolgreich arbeiten können, Freiräume und Handlungsspielräume gewährleisten, Glaubwürdigkeit zeigen, im konsequenten Handeln und im Vorleben, Inspirieren, Überzeugen, Motivieren und Herausfordern. Es geht nicht um Führung im Sinne des „Gießkannen-Prinzips“, stattdessen um individualisierte Führung, darum, jeden Mitarbeiter dort abzuholen, wo er steht, darum, eine Atmosphäre von Offenheit und Vertrauen zu schaffen.
Eine Employability-fördernde Organisation lässt den „kleinen Dienstweg“ zu, weist Entscheidungsbefugnisse, Verantwortlichkeiten und Handlungsspielräume auf, ist transparent und verfügt über flexible Arbeitsstrukturen und -bedingungen. Projekt- und Teamarbeit können dabei unterstützend wirken. „In Bewegung bleiben“ und nicht jahrelang das Gleiche zu tun, ist das Motto. Personalentwicklung im Sinne der Förderung von Employability baut auf drei Dimensionen auf. Die erste befasst sich mit den Inhalten. Dazu zählen die Übertragung der Personalentwicklungsverantwortung auf Mitarbeiter und deren Vorgesetzte, die Individualisierung, die Förderung des Lebenslangen Lernens und der Schlüsselkompetenzen sowie der Erwerb der Fachkompetenzen.
Die zweite Dimension nimmt die Methoden in den Fokus. Dazu gehören etwa Coaching und Mentoring, die Verzahnung von Arbeit und Lernen oder ein regelmäßiges Monitoring im Sinne einer Standortbestimmung der Kompetenzen und Qualifikationen. Die dritte Dimension zeigt die Bedeutung von Veränderungen. „In Bewegung bleiben“ ist eine grundlegende Philosophie des Employability Managements.
Neben diesen erfolgskritischen Handlungsfeldern sollte Employability Management zudem auf fünf Grundprinzipien aufbauen:
- Prinzip der Ganzheitlichkeit: Berücksichtigung aller relevanten Ebenen, Bereiche und Handlungsfelder
- Prinzip der Integration: Kombination unterschiedlicher Ebenen, Bereiche und Handlungsfelder sowie Berücksichtigung der Interdependenzen
- Postulat der Wirtschaftlichkeit: Förderung von Employability gemäß des Kosten-Nutzen-Kalküls sowie Anerkennung der hohen ökonomischen Relevanz von Employability
- Ethischer Kodex: Förderung von Employability für Zeiten sowohl innerhalb als auch außerhalb des eigenen Unternehmens
- Postulat der Kontinuität: Proaktive und zukunftsorientierte Förderung von Employability über die gesamte Beschäftigungsdauer im Unternehmen hinweg
Altersgerechte Personalpolitik
Grundsätzlich gibt es den proaktiven und den reaktiven Handlungsansatz. Während der proaktive Ansatz den Erhalt der Employability über alle Altersgrenzen hinweg und die Aufrechterhaltung des Spannungsbogens des Lernens unter Berücksichtigung unterschiedlicher alternsbedingter Lernmuster zum Gegenstand hat, fokussiert der reaktive Ansatz auf ältere Beschäftigte mit dem Ziel, den Spannungsbogen des Lernens und der Beschäftigungsfähigkeit wieder zu erreichen, wenn er durchbrochen ist.
Die älteren Arbeitnehmern nicht selten unterstellte geringere Lernbereitschaft und -fähigkeit hat ihren Ursprung in der Regel nicht im Alter der betroffenen Person, sondern vielmehr in deren „Lernbiografie“. Experten sprechen von einer „Lernentwöhnung“, die eintritt, wenn über Jahre hinweg keine konsequente Auseinandersetzung mit der persönlichen Weiterbildung stattfindet.
Eine solche Entwicklung zu verhindern, ist Aufgabe des proaktiven Ansatzes. Hier kann das Konzept des Employability Managements zum Einsatz kommen. Grundsätzlich gilt für das Employability Management eine Altersunabhängigkeit. Da sich jedoch die Lernmuster im Laufe des Lebens ändern (Ältere lernen nicht besser oder schlechter, sondern anders), bedarf es deren Berücksichtigung. Employability Management wird somit zum lebensphasenorientierten Employability Management. Um der Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der Alterung der Belegschaft sowie der steigenden Veränderungsgeschwindigkeit und Komplexität Rechnung zu tragen, ist im Rahmen des Employability Managements das Handlungsfeld der präventiven Gesundheitsförderung zu ergänzen, die auf vielfältige Weise erfolgen kann – vom Abbau bekannter – physischer wie psychischer – Belastungen am Arbeitsplatz über eine konsequente Personaleinsatz- und Qualifizierungsplanung bis hin zu Fitnessangeboten und Gesundheitschecks.
Reaktive Maßnahmen sollen im Gegensatz zu solchen proaktiven Ansätzen lediglich einen „reparierenden“ Charakter haben. Dennoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass es Situationen gibt, in denen der Spannungsbogen des Lernens durchbrochen ist. Hier ist dann reaktives Handeln gefragt, beispielsweise altershomogene Schulungskonzepte beim Erwerb von technischem Fachwissen.
Rekrutierung und Mitarbeiterbindung – Umgang mit Fachkräftengpässen:
In den nächsten Jahren wird sich der Fachkräftebedarf beständig erhöhen – zumindest in bestimmten Berufsgruppen, Branchen und Regionen. Um Fachkräfte für das Unternehmen zu gewinnen und im Betrieb zu halten, müssen neben den betrieblichen Notwendigkeiten die Interessen, Ziele und Werte der Mitarbeiter in Verbindung mit ihren Lebensphasen und ihrer individuellen Lebenssituation Beachtung finden.
Angesichts des Wertewandels in der Gesellschaft sollte differenziert vorgegangen werden. Während die älteren Generationen mit Arbeitsplatz bzw. Beschäftigungssicherheit, mit Aussicht auf eine Führungsposition, mit Wertschätzung von Seiten des Arbeitsgebers und mit einem „guten“ Gehalt beziehungsweise einem „guten“ Lohn an das Unternehmen gebunden werden können, wünschen sich junge Nachwuchskräfte weniger finanzielle Anreize als vielmehr die Anerkennung ihrer Tätigkeit, herausfordernde Aufgaben und die Möglichkeit, Beruf und private Belange zu vereinbaren. Eine aktuelle Studie mit mehr als 1.000 Studierenden im Hauptstudium zeigt, dass klassische Karriereziele ausgedient haben.
Darüber hinaus ist vielen jüngeren Arbeitnehmern bewusst, dass ihre Lebensarbeitszeit unter den Bedingungen einer sich stetig erhöhenden Veränderungsgeschwindigkeit und Komplexität 40 bis 45 Jahre betragen wird. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Personalpolitik in Unternehmen häufig von der Nachkriegsgeneration oder den Baby-Boomern gestaltet wird, die nicht selten ihre Werte sowie Denk- und Handlungsmuster zugrunde legen – und sich wundern, warum ihre Personalpolitik nur bedingt greift.
Wann und in welchem Umfang einzelne Betriebe von Engpässen in Bezug auf das verfügbare Auszubildenden- und Arbeitskräftepotenzial betroffen sein werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Hier ist zum einen die räumliche Lage zu nennen. So nimmt im ländlichen Bereich die Abwanderung gerade jüngerer Arbeitskräfte weiter zu, während sich rund um größere Wirtschaftsstandorte Ballungszentren entwickeln. Hinzu kommt, dass in einer sich selbst verstärkenden Spirale die Abwanderung der Jüngeren zu einer weiteren Einschränkung der Infrastruktur, wie zum Beispiel des öffentlichen Nahverkehrs, Sport- und Freizeitstätten sowie der Kinderbetreuung führt, wodurch wiederum die Region an Attraktivität als Lebensraum verliert. Des Weiteren zeigt sich, dass insbesondere solche Unternehmen bereits heute von einem kaum noch zu deckenden Arbeitskräftebedarf sprechen, die auf Mitarbeiter mit mittleren oder höheren Qualifikationen, insbesondere aus dem technischen Bereich, angewiesen sind. In diesen Betrieben spielt mittlerweile das Alter der qualifizierten Kräfte immer weniger die entscheidende Rolle.
Arbeitgeber hingegen, deren Beschäftigte überwiegend aus dem niedrig qualifikatorischen Bereich kommen, sehen weder heute noch für die Zukunft Engpässe bezüglich ihrer Arbeitskräfte auf sich zukommen. Grundsätzlich stehen Unternehmen unterschiedliche Ansätze zur Verfügung, Personal zu rekrutieren. Dazu gehören die Rekrutierung auch auf internationalen Arbeitsmärkten, die altersunabhängige Rekrutierung, die Rekrutierung verstärkt von Frauen, die Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen, Rekrutierung unter Berücksichtigung der Ökonomisierung von Loyalität und der Wertevielfalt.
In Anbetracht der aufgezeigten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt werden im Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräfte insbesondere diejenigen Unternehmen erfolgreich sein, die eine besondere Attraktivität für Berufseinsteiger aufweisen. Wie bereits angemerkt, definieren gerade jüngere Frauen und Männer die Attraktivität eines Unternehmens nicht mehr vorrangig über das Gehalt und die Möglichkeit einer schnellen „Kaminkarriere“. Für viele nimmt die Realisierbarkeit persönlicher Ziele und Wertvorstellungen eine hohe Bedeutung ein, die sich nicht zuletzt dadurch äußert, inwieweit der Arbeitgeber familiäre Wünsche zu erfüllen bereit ist.
Unternehmen, die beispielsweise erfolgreich vermitteln können, dass sie flexibel auf Wünsche nach einer familienorientierten Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitszeit eingehen oder individuelle Ansätze für unterschiedliche Lebenssituationen anbieten, werden in der Konsequenz immer stärker als attraktiv eingestuft.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die neue Rolle der Personalmanager. Das Heft können Sie hier bestellen.