Ghosting im Recruiting-Prozess entgegenwirken

Recruiting

Erfolgskritische Positionen zu besetzen, ist oft aufwendig und teuer. Umso erfreulicher ist es, wenn die Idealbesetzung gefunden ist. Aber wie vorgehen, wenn sie mitten im Prozess abtaucht und Kontaktversuche ins Leere laufen?

Der Begriff „Ghosting“ kommt häufig in der Dating-Sprache vor. Eine Person verschwindet trotz anfänglicher Annäherung einfach, ohne sich zu melden oder ihrem Gegenüber mitzuteilen, was zum Kontaktabbruch geführt hat. Dieses Phänomen kommt nicht nur in der Welt des Datings vor. Laut einer Umfrage von Norecu Executive Search aus dem Jahr 2021 erlebten über 65 Prozent der befragten Personalentscheider und HRlerinnen in Deutschland in unterschiedlichster Weise Ghosting durch Kandidatinnen und Bewerber. In einer internationalen Befragung des Jobportals Indeed aus dem Jahr 2019 ergaben sich noch deutlich höhere Werte. Jobinteressierte brechen nach Gesprächen, Einstellungszusagen oder Vertragsangeboten den Kontakt zum Unternehmen ab und sind nicht mehr zu erreichen. Andere erscheinen am ersten Arbeitstag nicht. Und wer glaubt, Ghosting käme nur bei Ausbildungsstellen oder dem Berufseinstieg vor, liegt falsch: Es betrifft alle Altersgruppen und Karrierestufen. Ghostet eine potenzielle Geschäftsbereichsleiterin oder ein zukünftiger Chief Financial Officer, lässt sich das nicht mit fehlender Erfahrung oder jugendlicher Unbedarftheit erklären.

Eigentlich ist in einem Bewerbungsprozess davon auszugehen, dass beide Seiten Interesse daran haben sollten, miteinander zu kommunizieren und auf ein gemeinsames Ziel (die Einstellung) hinzuarbeiten. Gleichzeitig sollte es für beide Parteien wichtig sein, fair und transparent aus dem Prozess auszusteigen, wenn sich die Interessenlage ändert. Die Personen, die man heute versetzt, können morgen über den Traumjob entscheiden.

Gründe fürs Verschwinden

In der Vergangenheit war Ghosting ein Phänomen, das eher vonseiten des Arbeitgebers ausging. Es ist immer wieder vorgekommen, dass HR-Verantwortliche die Bewerberinnen und Kandidaten über den Stand ihrer Bewerbung nicht informierten oder ihnen keine Absage mit weiterer Begründung erteilten. Die Zeiten haben sich allerdings geändert. Unternehmen suchen je nach Branche und Berufsfeld händeringend qualifiziertes Personal. Jobinteressierte wissen um ihre Einzigartigkeit und testen oft nur – in ihren Augen unverbindlich – ihre Chancen am Arbeitsmarkt aus. Sie sind in gut bezahlten und spannenden Positionen beschäftigt und verspüren in der Regel keinen Druck, den Arbeitgeber zu wechseln. Wird es dann konkreter oder bekommen sie gar ein Angebot, kommen einige von ihnen aus dieser Situation scheinbar nicht so leicht wieder heraus.

Oft befinden sich Jobsuchende in der Situation, sich zwischen verschiedenen spannenden Positionen entscheiden zu können. Kommt es während der Bewerbungsphasen zu zeitlichen Lücken, sagen manche zur eigenen Sicherheit bei Jobangeboten der zweiten Wahl zu, warten aber eigentlich noch auf andere, bessere Angebote.

Ein weiterer ausschlaggebender Punkt ist sicher der anhaltende erbitterte Kampf um Spitzentalente. Dieser endet keineswegs, wenn ein Bewerber oder eine Kandidatin das Jobangebot zugesagt oder einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat. Spitzentalente werden weiter auf spannende Positionen angesprochen. Lange Kündigungsfristen und die fehlende Bindung zum neuen Arbeitgeber machen diese Phase hochriskant für den Verlust der potenziellen Beschäftigten – und somit möglicherweise auch fürs Ghosting.

Einige Talente in der Bewerbungsphase sind dann für eine Absage schlicht zu bequem, andere bringen nicht den notwendigen Mut auf, die Stelle abzulehnen. Somit wirkt Untertauchen und Ghosten als einfachste Lösung. Die verstärkte Digitalisierung der Prozesse durch die Corona-Pandemie scheint diesen Trend noch zu verstärken. Die digitalen Kanäle vereinfachen eine Kontaktaufnahme zwischen Unternehmen und Jobinteressierten enorm, aber sie erleichtern eben auch einen Abbruch.

Ghosting entgegenwirken

Ghosting kann für das einstellende Unternehmen massive Kosten verursachen, die umso höher sind, je später jemand aus dem Prozess verschwindet. Nehmen Eingeladene den Termin zum Vorstellungsgespräch nicht wahr, ist das ärgerlich und kostet Zeit. Tritt jedoch beispielsweise in einer Phase der Restrukturierung die neue Personalleitung ihren Vertrag nicht an, kann der Schaden beträchtlich sein. Deshalb sichern sich Unternehmen mehr und mehr mit Klauseln im Arbeitsvertrag ab, die einen Nichtantritt regeln. Die folgenden Punkte geben Aufschluss, wie sich die Gefahr von Ghosting im Recruiting-Prozess reduzieren lässt.

1. Personalisieren Sie den Auswahlprozess

Kandidaten und Bewerberinnen möchten als individuelle Personen behandelt werden. Standardmails helfen dabei nicht. Die Personen müssen im Bewerbungsprozess spüren, dass die Kommunikation nicht automatisiert stattfindet. Eine persönliche Interaktion ist unerlässlich. Daher ist es hilfreich, den Personen im Auswahlprozess die Möglichkeit zu geben, mit Vorgesetzten und auch dem Kollegium persönlich zu sprechen. Hierfür kann HR kurze Zoom-Meetings organisieren, bei denen sich alle Beteiligten gegenseitig kennenlernen. So merkt man direkt, ob potenzielle Beschäftigte in das bereits bestehende Team passen.

2. Bleiben Sie im Austausch

Durch kontinuierliche Kommunikation über den gesamten Einstellungsprozess bleiben Unternehmen wertvoll und bauen Vertrauen auf. Sie können Personen im Bewerbungsprozess eine persönliche Nachricht in Form einer Teamvorstellung, eines Videos aus dem Arbeitsalltag oder der besten Orte für die Mittagspause senden. Das macht Unternehmen greifbarer und es wird wahrscheinlicher, dass sich Kandidatinnen und Bewerber revanchieren.

3. Optimieren Sie das Einstellungs­verfahren

Für einen gelungenen Bewerbungsprozess lohnt es sich, Prozesse zu straffen und zu optimieren. Schauen Sie sich Fälle in Ihrem Unternehmen an, bei denen jemand im Prozess abgetaucht ist. Ermittelt man den Zeitpunkt des Ghostings im Einstellungsprozess, ist es leichter, eventuelle Lücken zu schließen und dem Phänomen entgegenzu­wirken.

4. Gestaltungsmöglichkeiten als Entscheidungs­grundlage

Entscheidungen werden immer auf beiden Seiten gefällt. Deshalb ist es als Arbeitgeber wichtig, nicht nur die eigenen Unternehmensziele zu präsentieren, sondern auch vorzustellen, was das Unternehmen dem zukünftigen Teammitglied zu bieten hat. Zeigen Sie auf, für welche Werte Sie als Unternehmen stehen und welche Perspektiven sowie Möglichkeiten an der Gestaltung von Unternehmen und der Strategie offeriert werden können.

5. Gestalten Sie eine Preboarding-Phase

Lange Kündigungsfristen gerade bei Führungskräften machen es umso wichtiger, dafür zu sorgen, dass neu eingestellte Beschäftigte eine langfristige Verpflichtung gegenüber dem Unternehmen eingehen und sich nicht für andere Optionen begeistern lassen. Dazu kann man sie zum Beispiel zu Teamevents einladen oder Kennenlerngespräche mit Teammitgliedern bereits vor Antritt vereinbaren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, das Unternehmen alle Personen im Bewerbungsprozess respektieren und zu jedem Zeitpunkt des Bewerbungsprozess abholen sollten. Eine persönliche und vertrauensvolle Kommunikation auf beiden Seiten sorgt für einen angenehmen Einstellungsprozess und lässt das Risiko von Ghosting schwinden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Gender. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Marlind Klopfer ist Gründerin und geschäfts­führende Gesellschafterin der Norecu Executive Search

Marlind Klopfer

Marlind Klopfer ist Gründerin und geschäfts­führende Gesellschafterin der Norecu Executive Search. Die Diplom-Kauffrau unterstützt Unternehmen bei der Besetzung von Führungsfunktionen der ersten bis dritten Ebene und begleitet Führungskräfte bei deren beruf­licher Neuorientierung.

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