Wie man die klügsten Köpfe findet

Recruiting

Komm zu uns, sei du selbst!“: So einfach funktioniert der Eintritt in die Welt von Apple – zumindest laut der Karrierewebsite der Kalifornier. Apple sucht Leute, die gegen den Strom schwimmen, für die Vorschriften nur Vorschläge sind, die sich für Regeln nicht interessieren. Kurzum: Wer mit Persönlichkeit punktet, kann bei Apple Karriere machen. Beim Softwarespezialisten SAP klingt es ähnlich: „Zeige, wer du bist, erlebe, was du sein kannst!“ Das Technologieunternehmen Microsoft wirbt mit dem Slogan: „Tu, was du liebst!“

Es wirkt fast so, als ob die Techgiganten keinen Wert legen auf klassische Intelligenz-Parameter wie Bestnoten im Studium und ein exzellentes Netzwerk. Und doch brüsten sie sich regelmäßig damit, nur die schlausten Köpfe in ihre Reihen zu holen. Wie sie das schaffen? Mit harten Bewerbungsverfahren – und einem guten Ruf. Der Walldorfer Konzern SAP beispielsweise landet im Arbeitgeberranking des Magazins Stern und des Marktforschungsunternehmens Statista auf Platz zwei der IT- und Telekommunikationsbranche. Microsoft schafft es auf Platz sechs. Und so können sich die Großen der Branche auch heute noch oft über den Luxus freuen, dass sie sich aus Tausenden Menschen, die sich bewerben, die Besten aussuchen dürfen.

Der Versandriese Amazon gilt ebenso als beliebter Arbeitgeber und will bis Jahresende 6.000 neue Jobs in Deutschland schaffen – in Zeiten des Fachkräftemangels und großer Konkurrenz in der Branche ein ambitionierter Plan. Ein Großteil der Jobs entsteht in der Amazon-Logistik, doch das Unternehmen sucht auch Finanz- und Cloud-Profis. Und die sind erfahrungsgemäß nicht nur rar, sondern müssen auch überdurchschnittlich smart sein, was Mathematik, Statistik und Programmierung betrifft. Um die passenden Talente zu finden, hat Amazon also einen ausgeklügelten Bewerbungsprozess erstellt: Fach- und Führungskräfte durchlaufen mehrere Interviews, bei denen Mitarbeitende verschiedener Abteilungen dabei sind. Das bedeutet: Personal- und Recruiting-Verantwortliche führen zwar das erste Telefongespräch. Die Interviewpanels sind aber mit Leuten besetzt, die weder die Person, die sich bewirbt, noch deren Metier kennen. Die Amazon-Inter­viewprofis fragen nicht nach fachspezifischen Kompetenzen, sondern nach verhaltensbasierten Beispielen entlang der Amazon-Leadership-Prinzipien: Wie trifft die Person Entscheidungen? Wie gewinnt sie das Vertrauen anderer? Wie nutzt sie Daten zur Strategieentwicklung?

„Wir bitten sie, die Situation oder Aufgabe, auf die sie sich beziehen, im Detail und in voller Komplexität zu beschreiben“, sagt Amazon-HR-Managerin Michaela Werner. Den Ausschlag gebe dann die richtige Mischung aus Erfahrung, Expertise und Fähigkeiten. Wer eine Führungsposition will, muss zudem an sogenannten „Bar Raiser“ vorbei: Diese sind dafür da, die Messlatte anzuheben und die Bewerber und Kandidatinnen richtig ins Schwitzen zu bringen. Dafür werden die Bar Raiser speziell ausgebildet. Sie schauen vor allem darauf, ob die Person langfristig zum Erfolg Amazons beitragen kann, und hören am liebsten Beispiele, die genau diese Fähigkeit vermitteln. Anfang der 2000er Jahre hieß der „Bar Raiser“ übrigens noch „Bar Keeper“. Doch Amazon will nicht nur einen gewissen Standard halten, sondern besser werden und neue Standards schaffen. Wer es durch diesen Prozess schafft, zählt ohne Zweifel zu den klügsten Köpfen. Und wie gehen Google und SAP die Sache an?

Recruiting bei Google

Carolin Ochsendorf © Dave Jasim / Google LLC
Carolin Ochsendorf © Dave Jasim Google LLC

„Wir suchen nach verschiedenen beruflichen Erfahrungen und Fähigkeiten, nicht nach bestimmten Qualifikationen oder allgemeinen Vorkenntnissen. So wie unser Geschäftsmodell basiert auch unser Recruiting auf Datenauswertung: Wir haben analysiert, woran wir erkennen, wer bei uns erfolgreich wird. Am Ende standen vier Kriterien. Erstens: Hat die Person, die sich bewirbt, die passenden Kenntnisse und Erfahrungen für den Job? Wir nennen das ‚Fit für den Job‘. Das zweite Kriterium: die kognitiven Fähigkeiten. Wie trifft die Person Entscheidungen? Welche Datenquellen berücksichtigt sie? Wie wägt sie zwischen Handlungsoptionen ab? Zudem prüfen wir drittens, ob Leadership-Skills vorhanden sind. Und viertens, ob die Person den ­Googleyness-Faktor hat, also: Was bringt sie mit, das uns bereichert und uns besser macht?

Viele unserer Talente kommen aus der ganzen Welt nach Deutschland und alle durchlaufen einen fest definierten Bewerbungsprozess: Wir Recruiting-Verantwortlichen führen das erste Gespräch und stellen fest, ob die Stelle zur Person passt. Danach folgen drei bis vier halbstrukturierte Interviews, gelegentlich auch mal fünf. Hier ist niemand von HR anwesend, sondern Kolleginnen und Kollegen über verschiedene Unternehmensbereiche hinweg, die wir speziell dafür ausgebildet haben und die dann hin und wieder Interviews führen. Sie bekommen von uns ein Briefing an die Hand mit Fragen, die sie verwenden können, aber nicht müssen. Darin steht auch, was es bedeutet, wenn eine Person ein sehr gutes, gutes, mittelmäßiges oder ausbaufähiges Interview absolviert hat. Es kann durchaus vorkommen, dass in den Interviews während der verschiedenen Bewerbungsrunden ähnliche Fragen gestellt werden, aber sie zielen in unterschiedliche Richtungen: Jeder bekommt eines der vier Google-Kriterien zum Abklopfen. Wir geben unsere konkreten Fragen zwar nicht preis, aber: Sie haben immer eine Relevanz für den Job. Die Talente in spe erhalten von uns außerdem Vorbereitungsmaterial.

Wir suchen nicht nur die intelligentesten Köpfe, sondern Leute, die Google erfolgreich machen. Deswegen geht es uns vor allem darum, dass die Person eine Bereicherung für das Team ist und es so divers wie möglich macht. Im Recruiting suchen wir also nach möglichst unterschiedlichen Personen, bevor wir in den Interviewprozess einsteigen. Je bunter gemischt die Zusammenstellung, umso besser. Das können zum Beispiel unterschiedliche Ausbildungshintergründe oder Werdegänge sein. Haben wir eine möglichst diverse Talentmischung, starten wir in die Interviews und stellen dann die Person ein, die am besten geeignet ist.
Und: Nur wenn alle – in den meisten Fällen drei bis vier Interviewer sowie der Recruiting-Verantwortliche – ein klares Ja geben, stellen wir die Person ein. Das kann manchmal frustrierend sein, gerade wenn es für eine Position wenige passende Talente gibt. Dann passiert es schon mal, dass Positionen lange offen sind. Wir rücken aber nicht von unserer Linie ab, wir brauchen immer einen Konsens. Wir suchen nicht die Besten, die wir finden können, sondern die Besten, die wir haben wollen.“

Recruiting bei SAP

Diana Gajic © SAP
Diana Gajic © SAP

„SAP beschäftigt Hunderte Recruiting-Verantwortliche weltweit, unterteilt nach verschiedenen Regionen und Funktionen. Ich beispielsweise suche Führungskräfte für Deutschland und Zentraleuropa, im Moment vor allem Personen, die sich mit Cloud-Technologien und Kunden­erlebnissen auskennen. Das SAP-Recruitingverantwortlichen müssen techaffin sein und sich gut auskennen. Ich lasse mir beispielsweise von unseren Fachkräften die Technologie und einzelne Kundenprojekte erklären, damit ich den besten Fit für die offene Position finden kann.

Bei SAP schreiben wir offene Stellen außerdem zuerst intern aus. Wir geben sie erst nach draußen, wenn wir keine passende Person in unserem Firmennetzwerk finden. Wenn wir eine Stelle extern ausschreiben, greifen wir gerne auf Empfehlungen zurück: Unsere Mitarbeitenden kennen die Branche, haben ein großes Netzwerk und empfehlen passende Personen. Zusätzlich arbeiten wir mit Talentpools, die wir klassisch nach den Vorstandsbereichen Product Engineering, Technology & Innovation, Customer Success, Marketing, Human Resources und Finance & Operations geclustert haben. Wir sprechen geeignete Personen beispielsweise auf Linkedin an und versuchen, mit Toptalenten regelmäßig in Kontakt zu bleiben. Wenn wir eine Stelle sehr schnell besetzen müssen, greifen wir mitunter auch auf Active Sourcing über das Tool Linkedin Recruiter zurück. Das funktioniert bei einer starken Arbeitgebermarke gut.

Die Bewerbung läuft dann über unser eigenes System Success Factors. Hier lädt die Person ihren Lebenslauf hoch, wir Recruiting-Verantwortliche führen ein erstes telefonisches Pre-Screening durch und klopfen ab, ob die Voraussetzungen für die Stelle stimmen. Wir betreuen die Person im kompletten Bewerbungsprozess: Nach dem Pre-Screening geht der Lebenslauf an den Hiring Manager, also an die Person, die eine Stelle in einem Bereich zu besetzen hat. Wird der Kandidat oder die Kandidatin zum Interview eingeladen, gibt es in der Regel zwei bis drei Auswahlrunden, besetzt mit unterschiedlichen Personen. Es ist immer jemand aus HR anwesend, hinzu kommen Führungskräfte des jeweiligen Bereichs und potenzielle Kollegen. Die einstellende Führungskraft gibt ihren Interviewpartnern wichtige Themen vor. Das finale Gespräch findet mit der nächsthöheren Führungskraft statt.

Besonders wichtig ist uns, dass der Cultural Fit stimmt. Das testen wir in den Interviews anhand kompetenzbasierter Leitfäden. Ein Schlüsselbereich von SAP ist die Transformation zur Cloud, deswegen sind meine Lieblingsfragen: Welche Transformation hat die Person in der Vergangenheit umgesetzt? Und: Wie geht sie mit Menschen um, die Change verweigern? Alle Interviewerinnen und Interviewer bekommen einen Beobachtungsbogen, auf dem sie Kriterien wie Teamfähigkeit oder logisches Denken auf einer Skala von eins bis zehn bewerten. Wenn HR und die Fachbereiche einverstanden sind, können Gehaltsverhandlungen und Abstimmungsrunden mit dem Betriebsrat beginnen. Meist dauern der Interviewprozess und die Abstimmung einen Monat. Je mehr Personen involviert sind, desto länger.“

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Anna Friedrich, Foto: Privat

Anna Friedrich

Redakteurin
Wortwert
Anna Friedrich arbeitet seit 2017 bei wortwert in Köln. Sie schreibt regelmäßig für den HRM.

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