„Unternehmenskulturen sind ageist“

Interview

Warum beschäftigen sich die UN mit dem Thema Altern?

Bevölkerungsalterung ist ein globaler Megatrend. Wir wissen, dass Menschen immer älter werden. Wichtig ist es, sich darauf vorzubereiten und rechtzeitig die Weichen zu stellen. Das hat mit Herausforderungen zu tun, beispielsweise für die Rente oder Pflege. Es liegt aber auch ein großes Potenzial darin, dass ältere Menschen länger aktiv bleiben, sich engagieren und am Erwerbsleben teilhaben.

Welche Rolle spielen Unternehmen?

Unternehmen spielen eine wichtige Rolle: Arbeitnehmende verbringen bei ihnen einen großen Teil ihrer Lebenszeit. Die Unternehmens- und Arbeitskultur bedingt ganz wesentlich, wie willkommen und wertgeschätzt sich ältere Menschen fühlen. Wer negative Erfahrungen macht, wie mit älteren Kolleginnen und Kollegen umgegangen wird, weiß selbst, was ihr oder ihm blüht. Das beeinflusst Denken und Lebensplanung.

Wie sehr sind sich die Unternehmen ihrer Rolle bewusst?

Das Bewusstsein wächst, dass sie etwas gegen den Fachkräftemangel tun müssen und dass es sinnvoll ist, sich um die bestehende Belegschaft zu kümmern und sie möglichst lange zu halten. Ein weitverbreitetes Problem sind aber altersbezogene Stereotype und Vorurteile bis hin zur Altersdiskriminierung, Ageism. Unternehmenskulturen sind ageist. Und Menschen sind ageist. Im Übrigen auch gegen sich selbst. Wir haben die Vorurteile internalisiert und selbst oft die Einstellung, dass es sich ab 50 nicht mehr lohnt. Nicht das Alter zählt, sondern Kompetenz und Einstellung

Was können und sollten Personalverantwortliche tun?

Im Grunde alles, was zu einer wertschätzenden Arbeitskultur führt und hilft, Barrieren und Vorurteile abzubauen. Sie sollten die Kompetenz und Einstellung einer Person zum Maßstab nehmen, wenn es etwa um Recruiting, Fortbildungen oder Karrierechancen geht. Am besten spielt das Alter in der Arbeitswelt überhaupt keine Rolle mehr. Age Diversity ist gut, aber Age Inclusiveness ist besser.

Was ist mit alternsgerechter Arbeit?

Idealerweise konzentrieren sich Angebote am individuellen Bedarf. Maßnahmen für Einzelgruppen können andere vor den Kopf stoßen und Ungleichheiten bringen. Warum sollte zum Beispiel reduzierte Arbeitszeit nur für die Kinderbetreuung relevant sein, nicht aber für Pflege, Krankheit oder für Frauen in der Menopause? Arbeitgeber verlieren noch Talente, weil sie ihnen nicht ermöglichen, die Arbeit mit ihrer persönlichen Lebensphase in Einklang zu bringen.

Was bringen Initiativen für mehr Diversität und Chancengleichheit?

Die Bemühungen um mehr Familienfreundlichkeit, eine bessere Work-Life-Balance und Chancengleichheit sind ein wichtiges Fundament. Im Grunde ist Alter nur eine weitere Dimension. Es wird nur noch nicht so breit diskutiert. Jeder denkt über Sexismus oder Rassismus nach, doch Altersdiskriminierung ist kaum präsent. Es ist normal, Menschen aufgrund ihres Alters zu diskriminieren. Einige glauben, den Generationenkonflikt dadurch umgehen zu können, dass sie Generationen besser verstehen. Sie übersehen, dass es auch innerhalb einer Generation große Differenzen gibt. Darum ist es so wichtig, nicht zu pauschalisieren, sondern sich stärker auf Lebensphasen und den einzelnen Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin zu konzentrieren.

Wenn das nach 40 Jahren noch nicht in der Breite angekommen ist, wie wollen sie das Thema weiter forcieren?

Wir werden die Umsetzung des Weltaltenplans weiter begleiten, Lösungen erarbeiten und für das Thema sensibilisieren. Ich denke der demographische Wandel wird sein Übriges tun, denn schon heute spüren wir die Auswirkungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Unternehmen, die sich frühzeitig anpassen, werden im Vorteil sein und können eine Vorbildfunktion einnehmen.

Über die Gesprächspartnerin:

Lisa Warth leitet das Bevölkerungsreferat der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (United Nations Economic Commission for Europe, UNECE). Das Referat kümmert sich um Bevölkerungsthemen allgemein, im Schwerpunkt aber um Bevölkerungsalterung. Dazu gehören Strategien, wie sich die Wirtschaft weltweit am besten auf eine alternde Gesellschaft vorbereiten kann.

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Mirjam Stegherr, Journalistin, Moderatorin und Beraterin

Mirjam Stegherr

Freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin
Mirjam Stegherr ist freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin.

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