Drum gestalte, wer sich ewig bindet

Talent Management

Dass es zwischen Person und Tätigkeit (Person-Job-Fit) nicht mehr richtig passt, ist leicht festzustellen, wenn diese Auffassung von beiden Seiten geteilt wird. Dann folgt meist eine Qualifizierung oder die Betroffenen bewerben sich auf eine andere Stelle inner- oder außerhalb der Organisation. Wenn die Führungskraft wenig Probleme mit der Nachbesetzung hat, sind zwischen HR Professional und Führungskraft meist keine größeren gemeinsamen Aufgaben offen.

Was geschieht jedoch, wenn Beschäftigte selbst keine Veränderungsnotwendigkeit empfinden? Was, wenn sie bisher einen durchaus erfolgreichen längeren Weg im Unternehmen zurückgelegt haben und nun hakt es plötzlich?

Die Reaktionen der Führungskraft auf solche Situationen sind meist die folgenden:

Simulation von Führung
In der Tat scheint es für manche Führungskraft einen Versuch wert, das Problem auszusitzen, zu ignorieren, der Nachfolge zu überlassen oder die Arbeitskraft wegzuloben, um sich dem Problem nicht zu stellen.

Versetzung oder Umstrukturierung
Beide Instrumente – Versetzung und Umstrukturierung – und damit die Zuweisung einer geänderten Aufgabe können helfen; es sollte jedoch analysiert werden, ob dieser Ansatz für die Gesamtorganisation eine gelungene Lösung darstellt.

Abmahnung oder Trennung
Druck auf den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin zu erhöhen, um damit den Boden für eine Trennung vorzubereiten, erhöht auch den Führungsaufwand für die Führungskraft. Diese hofft auf eine Eigenkündigung, die Bereitschaft, einen Aufhebungsvertrag anzunehmen oder – im Extremfall – darauf, dass die Person einen Fehler begeht, der eine Kündigung rechtfertigt. Bis dies geschieht, muss die Führungskraft die Person eng führen und deutlich mehr Zeit dafür aufbringen.

Worauf HR Professionals achten sollten

Damit sich Personalabteilungen mit solchen Situationen konstruktiv befassen können, sollten sie Antworten auf folgende Fragen haben und erarbeiten. Denn oft kommen Führungskräfte und Mitarbeitende gerade nicht mit diesen Aspekten auf die Personalabteilung zu. Es wäre jedoch wichtig, gemeinsam die folgenden Fragen zu bearbeiten, da es die Wahrscheinlichkeit erhöht, gute Lösungen zu finden, die den Gesamtkontext einbeziehen.

Zur Vorgeschichte:

  • Wie lang ist die Vorgeschichte der Konfliktparteien?
  • Was wurde in der Vergangenheit bereits versucht?
  • Was wurde bisher über Leistung und Potenzial der betroffenen Person dokumentiert?
  • Welche Personalentwicklungsmaßnahmen gab es und welche Entwicklungspfade wurden besprochen?
  • Gibt es Informationen zur Führung der Führungskraft?
  • Was hat gerade jetzt dazu geführt, dass die Personalabteilung einbezogen wurde?

Zur Vorbereitung einer Lösung:

  • Was ist die Erwartungshaltung in Richtung HR? Deckt sich das mit der eigenen Sicht auf die Rolle, die HR in solchen Fällen haben sollte?
  • Was genau macht die fehlende Passung zwischen der Mitarbeiterin, dem Mitarbeiter und der Aufgabe oder Rolle aus?
  • Wie hat die Führungskraft bisher Personalprobleme gelöst?
  • Wie hat die betroffene Person bisher Probleme gelöst?
  • Welche Lösungsmöglichkeiten werden aktuell diskutiert?
  • Welche Lösungsmöglichkeiten scheinen aktuell ausgeschlossen?
  • Welche Lösungsmöglichkeiten nutzen dem Gesamtunternehmen am besten?
  • Welche Lösungsmöglichkeiten wurden noch nicht ausgelotet?
  • Wie ist die Konstellation Arbeitnehmervertretung, Personalabteilung, Führungskraft und betroffener Person im vorliegenden Fall?

Bei den ganz oben vorgestellten Reaktionsmustern von Führungskräften werden einige Optionen jedoch leicht übersehen. In den etwas holzschnittartig dargestellten Punkten spielt nämlich die Frage, welche Potenziale die Beschäftigten besitzen und wie diese genutzt werden können, keine tragende oder auch gar keine Rolle. Im Falle einer Trennung würden all die bereits getätigten Investments in die Angestellten verschenkt, im Falle einer Abfindung noch zusätzlich finanziell belasten.
Prüfen Sie also genau, ob folgende Punkte für Ihre Fragestellung relevant sein könnten:

Ansatzpunkte betroffene Person:

Feedback und Feedforward
Feedforward charakterisiert sich laut dem US-Professor und Berater Marshall Goldsmith durch eine andere Haltung und Motivation, mit der eine Rückmeldung gegeben wird, als es traditionellerweise beim Feedback der Fall ist. Statt rückwirkend zu bewerten, was gut oder schlecht war – und daher ohnehin nicht mehr zu ändern ist –, werden im Gespräch konkrete Wachstums- und Verbesserungsoptionen für künftige Aufgaben und Situationen eruiert. In vielen Fällen ist eine Person, bei aller empfundener Kränkung oder Enttäuschung, erst einmal überrascht, klares Feedback darüber zu bekommen, dass man mit ihr nicht mehr zufrieden ist und möglicherweise nicht mehr zusammenarbeiten möchte. Damit ist – manchmal erstmalig – Klarheit für die Mitarbeiterin, den Mitarbeiter und auch für die Führungskraft hergestellt. Es fehlt aber ein Blick nach vorn durch sogenanntes Feedforward: Welche Leistung und welches Verhalten werden von der betroffenen Person nun genau erwartet? Was braucht sie von der Führungskraft, der Personalabteilung oder anderen Menschen, um dieser Erwartung gerecht zu werden?

Karriereberatung
Bei der Karriereberatung geht es darum, gemeinsam mit der Mitarbeiterin, dem Mitarbeiter einen realistischen Blick auf die aktuelle Situation und Qualifikation und den Marktwert zu erarbeiten. Konkret kann es sich dabei um die Frage der Passung einer Person von der Qualifikation und der Persönlichkeit zu einem künftigen Jobprofil handeln. Es kann aber wichtig sein, gemeinsam zuvor die Motivation und Motive, aber auch Kompetenzen für die bisherige und künftige Berufslaufbahn zu ergründen.

Mediation
Mediation ist ein strukturiertes, freiwilliges Verfahren zur konstruktiven Beilegung einer komplexen Problemstellung oder eines Konfliktes, bei dem unabhängige, allparteiliche Dritte die Konfliktparteien in ihrem Lösungsprozess begleiten. Die allparteiliche dritte Partei trifft keine eigenen Entscheidungen bezüglich des Konflikts, sondern ist lediglich für das Verfahren verantwortlich. Die Konfliktparteien versuchen dabei, zu einer gemeinsamen Vereinbarung zu gelangen, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht.

Mediation ermöglicht, die oft starren Positionen der Parteien („Ich bin eine gute Mitarbeiterin“ versus „Du leistest nicht genug“) zu verlassen, und hilft, die jeweils dahinter oder darunter liegenden Bedürfnisse zu ergründen. Das führt zu Selbsterkenntnis auf beiden Seiten und ermöglicht durch das Hören der jeweils anderen Bedürfnisse häufig neue Lösungswege, die für alle besser sind als übliche Vorgehensweisen.

Ansatzpunkt Job:

Job Sculpting
Job Sculpting bedeutet den Job zu formen. Es ist ein seit 20 Jahren bekanntes, aber nicht sehr verbreitetes Konzept, mit dem Unternehmen das Problem einer fehlenden Person-Job-Passung entschärfen wollen. Sie versuchen den Job nach und nach auf den einzelnen Menschen zuzuschneiden. Dahinter steckt auch ein stärkenbasierter Ansatz, der der Überzeugung folgt, dass eine Menge Potenzial ungenutzt bleibt, wenn Mitarbeitende ihre Stärken nicht voll einsetzen können, sondern viel Arbeitszeit den Aufgaben widmen müssen, bei denen sie keine gute Leistung erbringen. Obacht: Unternehmen brauchen für diesen Ansatz der Ressourcen- oder Stärkenorientierung eine genügende Anzahl an Menschen mit bestimmten Skills und eine passende Menge von Aufgaben, um dieses Zuschneiden des Jobs als Alternative zu Versetzung oder Trennung für eine bestimmte Person zu ermöglichen.

Dieser Ansatz ist etwas anderes als das bekannte Qualifying for the Job, das auf Qualifizierung für neue Aufgaben setzt. Hier werden also die Fähigkeiten der Person mit dem Job deckungsgleich gemacht und Schwächen werden durch verstärktes Training ausgebügelt. Vorsicht bei allzu großer Defizit­orientierung: Wenn verstärktes Training sich auf ungeliebte Aufgaben bezieht, wird der Lernerfolg nicht groß sein.

Bevor – in welcher Rolle auch immer – mit einer der beschriebenen Vorgehensweisen begonnen wird, empfehlen sich folgende Fragen zur Selbstreflexion:

  • Welches Menschenbild habe ich und welchen Einfluss hat diese Grundhaltung auf die Gespräche und Lösungsmöglichkeiten?
  • Habe ich ein Growth Mindset? Bin ich also überzeugt von persönlichem Wachstum, von der Veränderbarkeit von Menschen? Oder habe ich ein Fixed Mindset, bin ich also überzeugt von der Unveränderbarkeit oder sehr geringen Veränderbarkeit von Menschen?
  • Trägt mein Menschenbild dazu bei, bestimmte Lösungsmöglichkeiten zu fördern oder grundsätzlich auszuschließen?

Fazit

Diese alternativen Vorgehensweisen wie Feedback und Feedforward, Karriereberatung und Mediation können helfen, deutlich kostengünstigere, nachhaltigere und nebenwirkungsärmere Lösungen zu erzielen. Das sind Möglichkeiten, die die Interessenlagen der Beteiligten berücksichtigen, Verfahrens- und Konfliktfolgekosten reduzieren und zeitgleich personelle und betriebliche Ressourcen schonen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Selbstverständnis. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Wolfram Berndt, Coach für Persönlichkeitsentwicklung

Wolfram Berndt

Wolfram Berndt ist Coach für Persönlichkeitsentwicklung mit Schwerpunkt Businesscoaching. Der Diplom-­Psychologe ist zudem Co-Autor von ­Mitarbeitergespräche. Motivierend, wirksam, nachhaltig.
Angelika Nobbmann, Beraterin mit den Schwerpunkten Consulting für Organisations-, Kultur- und Teamentwicklung

Angelika Nobbmann

Angelika Nobbmann ist Beraterin mit den Schwerpunkten Consulting für Organisations-, Kultur- und Teamentwicklung. Die Diplom-Psychologin arbeitet auch als Businesscoachin.

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