Heiko Fischer hat jahrelang als Personaler gearbeitet. Mittlerweile plädiert er dafür, Mitarbeitern maximale Autonomie zu geben – und die zentrale HR-Funktion abzuschaffen.
Sonderlich beliebt ist er bei den Personalern nicht. Verständlich. Denn seine Idee zur Unternehmensführung, die Enthusiasmus und Innovationskraft in die Firmen zurückbringen soll, hat für HR-Manager einen kleinen Nachteil. Heiko Fischers Konzept der Resourceful Humans (RH) sieht – wenn es erst einmal fest etabliert ist in einer Firma – keine Personaler mehr vor.Eine gewisse Skepsis stößt Heiko Fischer bei Workshops, in denen er sein Konzept erläutert, natürlich entgegen. Aber auch Faszination von Personalmanagern, die der Meinung sind, dass HR schon lange keine wirkliche Innovation mehr hervorgebracht hat.
Resourceful Humans
Heiko Fischer punktet mit amerikanischer Lockerheit. Fischer sieht sich als Kosmopolit, ist aufgewachsen in Genf, hat in den USA gelebt, in Spanien und Ägypten, und lebt derzeit in Berlin mit Frau und Kindern. Fischer ist jemand, der viel Leidenschaft besitzt, und diese Leidenschaft gehört HR. Oder wie er sagen würde: Resourceful Humans. Erverspricht – sozusagen als Interim-Personalleiter – den Umbruch. Blöderweise ist er bei seiner Revolution auf die Personaler angewiesen. Denn sein Konzept braucht die Abteilung als Initiator und Treiber des Wandels. Die HR-Manager sollen sich selbst überflüssig machen.
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Beim RH-Konzept ist die Führungskraft Teil des Teams. Sie unterstützt es im Hinblick auf die von allen Teammitgliedern aufgestellten Ziele. Die Teams sind die entscheidende Organisationseinheit. Sie bekommen vom Management die Verantwortung und die Mittel. Und dazu gehören auch HR-Kompetenzen. „In einer Organisation sollte jeder die Wichtigkeit der Personalkompetenzen verstehen und selbst autonom anwenden können.“
Der Vater wollte die Evolution, der Sohn die Revolution
Man könnte es sich leichtmachen und sagen: Dieser Mann ist ein Spinner. Ein Wichtigtuer, der mit der Abschaffung der Personalfunktion provozieren will. Dass er provozieren will, mag sein. Ein Spinner ist er nicht. Er hat selbst schon als Personalleiter gearbeitet, bezeichnet sich als „Personaler in dritter Generation“. Sein Vater ist Heinz Fischer, ein Vordenker in der HR-Szene. Lange Jahre war der heutige Honorarprofessor der Hochschule Pforzheim Bereichsvorstand Personal bei der Deutschen Bank. Mit ihm, dem Mitbegründer der Selbst-GmbH, verbindet die HR-Community unter anderem die Idee der Beschäftigungsfähigkeit (Employability). Danach unterstützt die HR-Funktion Mitarbeiter dabei, sich stärker als Unternehmer in eigener Sache zu begreifen.
„HR ist zu wichtig, um es der HR-Abteilung zu überlassen.“
Man könnte den Employability-Ansatz durchaus als Grundstein des Resourceful-Humans-Gedankens sehen. „Das Arbeiten an RH hat seinen Anfang in der Vater-Sohn-Beziehung genommen“, sagt Heiko Fischer. Vom Vater habe er gelernt, dass HR die wichtigste Abteilung in der Firma ist. Und das sieht er noch heute so. Aber warum will er sie dann abschaffen? Bei dieser Frage beruft er sich auf den Hewlett-Packard Gründer David Packard: „HR ist zu wichtig, um es der HR-Abteilung zu überlassen.“
Während sein Vater also die evolutionäre Veränderung anstrebte, will der Sohn die Revolution. So sind sie die Kinder. Den Vater habe er aber überzeugt von seinem Konzept. Und als er das RH-Konzept tatsächlich in einem Unternehmen zum großen Teil etablierte hat sich – trotz aller Schwierigkeiten – seine Überzeugung verstärkt.
Bis 2011 arbeitete Fischer als Personalleiter bei dem Videospiele-Entwickler Crytek in Frankfurt. Die Firma ist ein großer Name in der Szene, die Spiele preisgekrönt – aber auch nicht unumstritten. 2008 hatte Fischer von Ebay zu Crytek gewechselt. Crytek wurde immer größer und man hatte Angst, zum ineffizienten und behäbigen Konzern zu werden. Fischer sollte helfen, den Geist der ersten Tage zurückzuholen und notwendige Prozesse etablieren.
Kompetenz der Selbstorganisation
Der Spieleentwickler schien sich für das RH-Konzept gut zu eignen, denn es ist eine dynamische Branche, in der sich Crytek bewegt. Und die Entwickler, Programmierer und Grafiker identifizieren sich in der Regel mit dem Produkt. Sie sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt, man muss ihnen was bieten. Der neue Personalchef bot ihnen wirklichen Freiraum an, den Freiraum eines Unternehmers – mit allen Rechten, aber auch Risiken.
Drei wesentliche Voraussetzungen hat das RH-Konzept laut Heiko Fischer, die sich für ihn aus der Zeit bei Crytek herauskristallisiert haben. Er spricht zum einen von der „Demokratie der Willigen und Fähigen“. Es muss also die Bereitschaft für mehr Verantwortung da sein, aber auch die Kompetenz der Selbstorganisation. Nicht jeder bringt dafür die Voraussetzung mit, das weiß auch Heiko Fischer.
Die zweite Voraussetzung ist der freie Informationsfluss. Das leuchtet ein. Denn man kann keine gute Entscheidung als Unternehmer treffen, wenn nicht alle relevanten Informationen zur Verfügung stehen. Den dritten Punkt nennt Fischer „faires gain sharing“ – die gerechte Gewinn- und Risikobeteiligung von Menschen, die unternehmerische Entscheidungen treffen. Nach Angaben des Beraters wurde bei Crytek transparent gemacht, was das Unternehmen einnimmt und was jeder verdient. Zum anderen konnten die Teams die Gehälter ihrer Mitarbeiter selbst anpassen. Es wurde zudem ein Bonus-System aufgesetzt, mit Hilfe dessen die Mitarbeiter sich gegenseitig belohnen konnten. Nach Aussage von Fischer seien die Leute durchaus zu einer objektiven Urteilskraft in der Lage gewesen.
„Benötigten zunächst 200 Leute drei Jahre für die Produktion eines Computerspiels, waren es später 40 Leute, die es in einem Jahr schafften.“
Es war ein langer Prozess mit mehreren Phasen, eine derartige kulturelle Revolution zu etablieren. Und es habe sich auch betriebswirtschaftlich gelohnt, sagt Heiko Fischer. „Benötigten zunächst 200 Leute drei Jahre für die Produktion eines Computerspiels, waren es später 40 Leute, die es in einem Jahr schafften.“Nachdem die Personaladministration ausgelagert wurde, sollen – so sieht es das RH-Konzept vor – die Kompetenzen der HR-Funktion Stück für Stück auf die Teams übergehen. Und letztlich nicht nur die. Zum Beispiel ist ein zentrales Controlling bei unternehmerisch denkenden Mitarbeitern ebenso überflüssig.
Wer oder was liefert den größeren Mehrwert?
Die Frage ist natürlich, kann das Team einfach so HR? Auch wenn es über längere Zeit von Personalern angelernt wird? Der HR-Guru Dave Ulrich hat einst zu Heiko Fischer in Bezug auf dessen Konzept gesagt: „Interessante Sache, aber wenn ich ein Haus baue, will ich dazu einen professionellen Architekten, keinen Laien.“ Woraufhin Fischer antwortete: „Aber willst du, dass der Architekt am Ende auch in dem Haus wohnt?“
Das ist aber nicht die Frage. Die Frage ist schlicht: Wer oder was liefert den größeren Mehrwert? Die Personaler sind den Rechtfertigungsdruck gewohnt. Zum Beispiel in Sachen Recruiting. „Ich sehe das Recruiting als den wichtigsten Prozess bei der Produktherstellung“, sagt Heiko Fischer. „Wen braucht es, damit ein gutes Produkt entsteht? Das kann keiner besser als das operative Team beantworten.“
„Ein Unternehmen ist ein Netzwerk aus Menschen, und je mehr Leute an dieses Netzwerk glauben, desto stärker ist das Netzwerk, an denen wiederum andere Netzwerke aus Talenten oder Kunden hängen.“
Mundpropaganda sei ohnehin die beste Art der Rekrutierung. „Ein Unternehmen ist ein Netzwerk aus Menschen, und je mehr Leute an dieses Netzwerk glauben, desto stärker ist das Netzwerk, an denen wiederum andere Netzwerke aus Talenten oder Kunden hängen.“ Bei Crytek haben die Teams unterschiedliche Wege der Personalauswahl gewählt. Die Vollmitarbeit im Team für zwei Tage war das Assessment Center. Wahrscheinlich hätten bei der Beobachtung des Crytek-Recruitings die meisten Personaler nur verächtlich mit dem Kopf geschüttelt.
Das Unternehmen als Experimentierfeld? Es wurden damals auch erhebliche Fehler gemacht. Ein Team stellte einmal eine Frau vor allem aufgrund ihres Aussehens ein, um nach drei Monaten zu bemerken, dass es nicht klappt mit der Zusammenarbeit. Bei einem fest etablierten RH-Konzept würde es keinen Personaler geben, zu dem das Team dann gehen kann. Es müsste die Angelegenheit selbstständig lösen. Es wäre aber nach Fischer auch dazu in der Lage.
Personalplanung in kleinen Teams selbst organisieren
Und was ist mit strategischer Personalarbeit? „Zeigen Sie mir ein Unternehmen, wo das klappt. Die CEOs wissen doch heute nicht, wie ihr Business in einem Jahr aussieht.“ Entweder seien Projekte so trivial, dass man keine Planung brauche oder so komplex, das keine Planung funktioniere. Deshalb sei es kontraproduktiv, sagt Heiko Fischer, wenn HR ein Viertel seiner Zeit mit dem Planen und der dazugehörigen Abweichungskontrolle verbringen würde. Seiner Ansicht nach sind zur Verantwortlichkeit fähige Menschen, die flexibel auf externe Anforderungen reagieren – wenn man ihnen die Freiheit dazu gibt – durchaus in der Lage, Personalplanung in kleinen Teams selbst zu organisieren.
Mit jungen Menschen und ihren revolutionären Gedanken ist es meistens so, dass sie anfangs belächelt und dann bekämpft werden. Heiko Fischer wird zumindest nicht mehr ignoriert. Letztlich sehen viele einen starken Trend zu Projektstrukturen und mehr Eigenverantwortung von Mitarbeitern und Teams. Und Heiko Fischer ist nicht der erste, der diese Idee radikal zu Ende denkt. Immer wieder machen Unternehmen von sich reden, die ihren Mitarbeitern maximale Autonomie ermöglichen. Berühmte Beispiele sind Semco oder W.L. Gore. Manche fühlen sich von solchen Ideen unnötigerweise provoziert. Zur Inspiration dienen sie allemal.
Heiko Fischer ist Gründer und demokratisch gewählter CEO des Beratungsunternehmens Resourceful Humans. Von 2008 bis 2011 war er HR-Leiter beim Videospielehersteller Crytek, wo er eine agile Netzwerkorganisation einführte. Er unterstützt Organisationen, sich als Netzwerk mit 100 Prozent Unternehmertum und null Prozent Bürokratie zu strukturieren.
Dieser Beitrag ist Teil der Jubiläumsausgabe „Die Essenz aus acht Jahren“: Als dieses Portrait 2012 geschrieben wurde, sah man Heiko Fischer in der HR-Community lediglich als Provokateur an. Mittlerweile bringt seine rebellische These, HR müsse sich selbst abschaffen, Personaler zunehmend zum Nachdenken. 2016 hat er T-Mobile Niederlande bei der Transformation zur Netzwerkorganisation geholfen. Dies ist eine gekürzte Version aus dem HRM „Führung“.