Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt: Klassische Stellenbeschreibungen und statische Positionen verhindern Flexibilität, Dynamik, Anpassungsfähigkeit und rasches Handeln. In einem instabilen Umfeld und angesichts ständigen Wandels sind Rollen, die man nicht länger fest an Personen koppelt, viel effizienter.
In traditionellen Organisationen hat eine Stelle ein fest umrissenes Aufgabenpaket und ist unmittelbar an eine Person gebunden. Der Stelleninhaber hat die Pflicht, die ihm laut Stellenbeschreibung vorgegebenen Tätigkeiten bestmöglich zu erledigen. Im Zuge einer Stellenausschreibung wird er dementsprechend angeworben, über einen vordefinierten Recruiting-Prozess ausgewählt und dann in die Stelle eingearbeitet. Werden die ihm zugedachten Aufgaben nicht mehr benötigt, wird ihm womöglich gekündigt.
Fertigkeiten, die der Stelleninhaber zwar besitzt, aber im Rahmen seiner Stelle nicht benötigt, gehen dem Unternehmen verloren. Wertvolles Leistungsvermögen verpufft. Qualifikationen hingegen, die zur Stelle gehören, die der Stelleninhaber jedoch nicht besitzt, müssen mühsam erworben werden. Heißt: Man passt den Menschen an die Stelle an – und nicht umgekehrt. So blockieren eng umgrenzte Stellenbeschreibungen auch die Potenzialentfaltung. Wer das nicht akzeptiert, wird die Firma verlassen.
Feste Stellen fixieren die Unternehmen in Starrheit
Die Stelle definiert den dazugehörigen Zuständigkeitsbereich. Wofür man nicht zuständig ist, darum hat man sich nicht zu kümmern. „Das ist nicht Ihre Aufgabe“, hört der Stelleninhaber, wenn er sich in etwas „einmischt“, das nicht zu seiner fest umschriebenen Position gehört. Solche Hilfe wird selbst dann zurückgewiesen, wenn sie dringend notwendig wäre. „Das steht nicht in meiner Stellenbeschreibung“, heißt es hingegen, wenn man Aufgaben übernehmen soll, für die man nicht eingestellt wurde.
Das Denken in Stellen und Positionen vereitelt es zum Beispiel auch, dass ein Vorgesetzter einen „seiner“ Mitarbeiter in ein Projekt abgibt. Was aus sachlichen Gründen richtig wäre, scheitert am Thema Macht. Wer einen Bonus für das Erreichen von Abteilungszielen bekommt, wird „sein bestes Pferd“ auch keinem anderen Bereich zur Verfügung stellen, um diesen zu stärken. Tja, macht man Stellen zum Spielball internen Wettbewerbs, ist das für ein Unternehmen zwar schädlich, doch leider üblich.
Rollen gewährleisten eine höchstmögliche Flexibilität
Demgegenüber arbeitet man in zeitgemäßen Organisationen zunehmend mit Rollen. Rolle und Person sind dabei voneinander getrennt. Hierdurch kann die Aufgabenverteilung viel flexibler an die sich ständig verändernden Umstände angepasst werden. Je nach Bedarf werden kurzfristig neue Rollen kreiert. Wenn kein Bedarf mehr besteht, werden diese sogleich wieder aufgelöst. Durch solch kurzfristiges Justieren verhindert man auch, dass die eine Person zu viel, und die andere zu wenig Arbeit hat.
Eine Person kann mehrere Teilrollen übernehmen und/oder in mehreren Projektteams arbeiten. Eine Rolle kann je nach Umfang auch durch mehrere Personen ausgeübt werden. Oder sie wird nur zeitweise besetzt. So können Arbeitsspitzen viel besser ausgeglichen werden. Und Kompetenzbedarfe lassen sich situativ sehr zügig decken, ohne gleich neue Mitarbeiter einstellen zu müssen. Auch Rollenwechsel oder ein interdisziplinärer Austausch sind jederzeit möglich, ohne dass Machtthemen bremsen.
Die Rolleninhaber entscheiden autonom
Der jeweilige Rolleninhaber erklärt sich verantwortlich für die Aufgabenpakete, die zu seiner Rolle gehören. Was die Rolle darf und was nicht, wird in Vereinbarungen festgelegt und öffentlich sichtbar gemacht. So kann es zum Beispiel die Rolle des Pricing Managers geben, der die Autorität hat, bei den ihm zugeordneten Produkten die Preise zu bestimmen, ohne sich Genehmigungen „von oben“ einholen zu müssen.
Oft wählen die Rolleninhaber für sich pfiffige Namen, wie etwa so: Content Magier, Customer Care Hero, Intergalactic President, Master of the IT-Universe, Chief Happiness Officer, Social-Media-Derwisch. Möchte man den Grad der Kompetenz zum Ausdruck bringen, stellt man dem ein Junior oder ein Senior voran.
Rollenkonzepte orientieren sich an den Stärken einer Person. Der Rolleninhaber tut das, was er am besten kann und auch mag. Zudem kann er sein individuelles Potenzial interessenbasiert weiter ausbauen und sich in neue Bereiche hineinentwickeln. So ermöglichen Rollenkonzepte auch dem einzelnen Mitarbeiter mehr Flexibilität. Je nach Lebensphase lässt sich der Aufgabenumfang seiner Rolle erhöhen oder reduzieren.
Wie der Aufgabenbereich einer Rolle entsteht
Am besten beschreibt ein Rolleninhaber seinen Aufgabenbereich selbst. Durch die damit verbundene Selbstreflexion wird der Sinn der eigenen Arbeit im Gesamtkontext klarer und die Verbindlichkeit steigt. Zudem werden Motivation, Engagement und Produktivität zusehends verstärkt. Folgende Fragestellungen sind dazu von Belang:
- Was sind meine Aufgaben und mein konkreter Beitrag für das Unternehmen?
- Mit welchen Bereichen arbeite ich zum Wohl unserer Kunden zusammen?
- Was brauchen die Kollegen von mir, und was brauche ich von den Kollegen?
- Was behindert mich bei meiner Arbeit und wie kann ich das ändern?
- Wie kann ich meine Arbeit weiter verbessern und was muss ich dazu lernen?
Besteht Klarheit über diese einzelnen Punkte, wird die Rolle schriftlich definiert:
- Wie heißt die Rolle?
- Was ist der Sinn und Zweck dieser Rolle?
- Welches sind die Verantwortungsbereiche?
- Welche Beschränkungen gibt es (z. B. Budgetrestriktionen)?
Hierbei listet man nur die Tätigkeiten, die in der Rolle tatsächlich ausgeübt werden.
Wie die Rollenverteilung gut gelingt
Damit es zu einem möglichst perfekten Match zwischen Kompetenzträger und Rolle kommt, schaffen dezentrale Organisationen Rollenmärkte. Sie bestimmen also nicht, wer welchen Aufgabenkomplex übernimmt, sondern favorisieren Freiwilligkeit. „Wer will das machen?“, heißt es. Jemand meldet sich und wählt damit eine passende Rolle aus. Oder man wird vom Team für eine Rolle vorgeschlagen beziehungsweise gewählt. So ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die jeweils kompetenteste Person durchsetzt.
Menschen wählen in solchen Fällen nur nach Beliebtheit? Weit gefehlt! Denken Sie zurück an die Schulzeit. Galt es, im Mannschaftsport zu gewinnen, hat man die Besten ins eigene Team gewählt. Je nach Sportart waren das ganz verschiedene Leute. Die Menschen haben ein ziemlich gutes Gespür dafür, wer in einer jeweiligen Situation der Richtige ist. Wie im Sport sollte auch im Firmenkontext ein Rolleninhaber problemlos von seiner Rolle zurücktreten können, wenn die Passung nicht länger stimmt.
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller, Alex T. Steffen
Die Orbit-Organisation
In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft
Gabal Verlag 2019, 312 Seiten
ISBN: 978-3869368993