[Anmerkung der Redaktion: Uns ist bewusst, dass der in diesem Text verwendete Begriff „Querdenker“ seit Beginn der Corona-Pandemie mitGruppierungen gegen Maßnahmen zur Corona-Eindämmungassoziiert wird. Sowohl wir als auch die Autorin dieses Beitrags distanzieren uns davon ausdrücklich und verwenden den Begriff ausschließlich in seiner ursprünglichen Bedeutung, das heißt für Menschen, die außerhalb von Konventionen denken.]
Wir stecken mitten im größten Change-Prozess aller Zeiten. Damit der Sprung in die Zukunft gelingt, brauchen die Unternehmen jetzt Ideengeber mit unkonventionellen Gedanken, Mut, Biss und Tatendrang. Solche Menschen werden interne Querdenker oder bisweilen auch Organisationsrebellen genannt. Sie sind Wachrüttler, Infragesteller, Andersmacher, Vorwärtsbringer, Zukunftsgestalter. Sie sprühen vor Ideen, wie man das, was in die Jahre gekommen ist, besser machen könnte, sollte und müsste.
Sie sind Brückenbauer zwischen gestern und morgen, Helfershelfer auf dem Weg in die Zukunft, Lotsen in die kommende Zeit. Sie ehren das Gute und plädieren zugleich für das bessere Neue. Sie zeigen auf alles, was für Kollegen und Kunden eine Zumutung ist. Sie sind offen für Fortschritt und treiben mit frischem Wind den Wandel voran. Sie kämpfen sogar gegen Windmühlen an. Und all das tun sie, weil ihre Firma ihnen wirklich am Herzen liegt. Wenn man sie doch nur machen ließe ….
Freiräume für den Fortschritt sind elementar
Manchmal mache ich in meinen Workshops einen kleinen Test. Die Teilnehmer sollen mir zurufen, was ihnen spontan zum Begriff Querdenker [vor der Corona-Krise, Anmerkung der Redaktion] einfällt. Nervensägen, renitent, obergescheit, stachelig, Querulant, Widerstand, Tohuwabohu, Revoluzzer, Anarchie, das sagen die einen. Einfallsreich, ungewöhnlich, Regelbrecher, Tüftler, Innovatoren, Idealisten und so weiter, das höre ich auch. Regelbrecher sind auf der Positiv-Seite? Unbedingt! Nur wenn wir Regeln brechen, kann etwas Neues, also Fortschritt entstehen.
Selbstverständlich sind Grundregeln des Miteinanders für den Zusammenhalt jeder Gemeinschaft elementar. Doch Standards, die jeden Handgriff in starre Prozesse gießen, machen hochtalentierte Menschen zu Hampelmännern des Systems. Sie nehmen ihnen die Luft zum Atmen und eisen alles ein. Sie versperren den Weg zu Anderem, Besserem, Neuem und blockieren jeglichen Freiraum für Weiterentwicklung. Regeln müssen gebrochen werden, wenn sie sich als veraltet, als hinderlich oder als unsinnig erweisen.
Regelbrecher legen Trittsteine ins Neuland
Hätten alle Menschen immer alle Regeln perfekt verfolgt, säßen wir noch heute in der Savanne. Es waren Querdenkende, die mit Entdeckerfreude, Gestaltungslust, neugierigem Infragestellen und umtriebigen Ideen Konventionen durchbrachen und erste Trittsteine in neue Lebensräume legten. Sie führten uns dahin, wo wir heute sind. Viele sind dabei auf der Strecke geblieben. Doch insgesamt brachte nur dieser unbändige Vorwärtsdrang, das Entdecker-Gen in uns, die Menschheit voran.
Gerade heutzutage braucht es geniale Köpfe, damit das notwendige Neue „werden kann“. Die Routinen erledigt Kollege Computer. Künstliche Intelligenzen sind Spezialisten. Menschen hingegen sind Generalisten. Unser großes Plus sind Kreativität, Emotion und Intuition. Am erfolgreichsten ist damit am Ende der, der die meisten besten unkonventionellen Ideen hat. Es sollte einem Unternehmen geradezu Angst machen, wenn Meinungsvielfalt und forsches Hinterfragen erlöschen.
Störung ist eine Chance zur Weiterentwicklung
Menschen, die quer denken, widersetzen sich den Auswüchsen des Konformismus. Konformismus ist eine Haltung, so der Duden, „die durch Angleichung der eigenen Einstellung an die herrschende Meinung gekennzeichnet ist.“ Konformismus knipst das kritische Denken aus und fügt sich unreflektiert in die gängigen Vorgehensweisen. Das Kritikvermögen versandet, Uniformität, Gleichschritt und Mittelmaß stellen sich ein. Die unweigerliche Folge: zunächst Stagnation, dann Irrelevanz, dann Niedergang, dann das Aus.
Routinen müssen gestört werden, um Türen zu öffnen und Kurswechsel herbeizuführen. Leider ist man mit solchen Gedankengängen vielen im Unternehmen ein Graus. Bloß nicht den Laden durcheinanderbringen, bloß nicht für Unruhe sorgen, bloß nicht den Status quo unterminieren, bloß nicht das beschauliche „weiter so“ stören. „Wieso was ändern, läuft doch prima bei uns“, höre ich oft. Wer so denkt, wird womöglich zu spät erkennen, dass Störer ihre letzte Chance gewesen wären, es doch noch zu schaffen.
Nein, Freigeister sind keine Querulanten
Das Denken und Handeln gegen die Regel gehört zu den maßgeblichsten Erfolgsfaktoren, um sich von Durchschnitt und Mittelmaß abzuheben. Wer das nicht versteht, wird Menschen, die „outside the box“ denken, als Querulanten abqualifizieren. Doch damit liegt er falsch. Querulanten sind Personen, die an allem etwas auszusetzen haben, die sich wegen jeder Kleinigkeit beschweren und starrköpfig darauf pochen, Recht zu haben.
Querulanten legen sich quer um des Querlegens willen. Sie stänkern rum, verbreiten schlechte Stimmung, befeuern die Gerüchteküche, spinnen Intrigen und zetteln Streitigkeiten an. Man kann sie auch als Nörgler, Miesmacher und Quertreiber bezeichnen. Ihr Verhalten ist destruktiv und zu nichts nutze. Sie treiben Keile in Gemeinschaften statt alle gemeinsam voranzubringen.
Echte Querdenker hingegen sind konstruktiv. Sie wollen nichts zerschlagen, keine Barrikaden errichten und auch nicht zündeln. Ihre Vorstöße zielen auf die Verbesserung einer jeweiligen Situation. Sie sind sanfte, schöpferische, förderliche Rebellen, aber keine Aufständischen, Saboteure oder Untergrundkämpfer. Allerdings befolgen Querdenker nicht unbesehen, was ein Prozess oder System von ihnen verlangt
Menschen, die querdenken, sind nicht stur, aber entschlossen
Querdenkende stellen, um es mit dem Wirtschaftsberater Simon Sinek zu sagen, zunächst die Frage nach dem Warum (machen wir das so?), dann nach dem Wie (könnte es besser gehen?) und dem Was (bringt uns das?). Sie denken nach, denken mit, denken vor. Folgerichtig haben sie unablässig Optimierungsvorschläge parat. Diese sind von ihrer Güte her mehr oder weniger brillant, im Eifer gut oder schlecht durchdacht, im richtigen oder falschen Moment vorgetragen, zaghaft artikuliert – oder auch provokant.
Also ja, Organisationsrebellen können unbequem sein. Sie merken nicht, wenn es genug oder grad unpassend ist. Sie können einfach nicht die Klappe halten. Manchmal müssten sie ihr Timing verbessern, mehr taktisches Geschick entwickeln, nach Mitstreitern suchen und ausgegoren konzipieren, damit ihr Anliegen annehmbar wird.
Das Buch zum Thema:
Anne M. Schüller:
Querdenker verzweifelt gesucht.Warum die Zukunft der Unternehmenin den Händen unkonventioneller Ideengeber liegt.Mit einem Vorwort von Gunter Dueck
Gabal Verlag 2020, 240 Seiten, 29,90 Euro
ISBN: 978-3-86936-998-3