Deutschlands Büros machen sich frei

Leadership

Lange dunkle Gänge mit abzweigenden Einer- oder Zweierbüros, die Türen geschlossen: Firmen mit einer solchen Büroarchitektur sind lange passé. Was aber ist modern auf dem Gebiet der vernetzten Zusammenarbeit?

Ein Strandkorb, eine Hollywoodschaukel, zwei Massagesessel: Das ist nicht etwa die Beschreibung eines Ferienparks. Vielmehr handelt es sich dabei um Arbeitsplätze in der Deutschlandzentrale von Philips.

Seit knapp anderthalb Jahren residieren die etwa 1.000 Verwaltungsmitarbeiter in einem Neubau in Hamburg. 40 Millionen Euro kostete die Umsetzung des avantgardistischen Raumkonzepts. Ein Teil des neues Konzepts: Personen zugeordnete Arbeitsplätze sind beim Elektronikkonzern passé. Jeder fahndet morgens nach einem Platz, der für die anstehenden Aufgaben gerade passt. Auch Philips-Deutschlandchef Pieter Vullinghs.

Die Bürokultur, das zeigen Beispiele wie das von Philips, ist im Umbruch. War im Industriezeitalter noch der Bürosaal en vogue, verstärkten viele Firmen diesen Trend in der Nachkriegszeit mit dem Wandel zum Großraumbüro. Jetzt, in der Ära der Digitalisierung, schwören mehr und mehr Unternehmen auf Vielfältigkeit. Gearbeitet wird in Besprechungsräumen, am Tresen, auf dem Sofa – oder ganz woanders: zu Hause, im Café oder am Flughafen. Sitzt noch irgendjemand am Schreibtisch?

Ein modernes Büro ist für viele die Basis, um vernetzt zusammenarbeiten zu können. Social Collaboration Tools helfen dabei, dass sich Mitarbeiter über Räume hinweg austauschen. Wie verändern sich dadurch Kommunikation und Firmenkultur? Wie sollten Unternehmen den Umbau angehen? Sind Mitarbeiter in Open-Space-Büros zufriedener als die Angestellten traditioneller Arbeitsweise? Und: Was wünscht sich eigentlich die Belegschaft?

Smart in die Breakout-Area

Hamburg, Stadtteil Fuhlsbüttel, Röntgenstraße 20. Hier streckt sich der Philips-Neubau fünfstöckig in den Himmel. Viel Glas, wenig Mauerwerk, verschiedene Farbtöne, breite Gänge und Birkenstämme für die Atmosphäre. Das Angebot an Arbeitsplätzen fächert sich sechsteilig auf: Der Großteil der Arbeitsplätze besteht wie gehabt aus Schreibtisch, Stuhl, Monitor – in der Regel in Vierer- und Sechsergruppen zusammengefasst.

Dazu kommen über 100 Einzelzimmer – für das vertrauliche und konzentrierte Arbeiten. Außerdem 70 Besprechungsräume unterschiedlicher Größe, vier Kreativmeetingräume und 70 sogenannte Touch-down-Arbeitsplätze. Letztere sind für Außendienstmitarbeiter und Gäste anderer Philips-Standorte gedacht, die nur mal schnell ihre Mails abrufen wollen. Allen diesen Bereichen ist eines gemein: Einen Desktop-PC gibt es nicht mehr, jeder Mitarbeiter hat ein Notebook. Ebenso gibt es kein Festnetztelefon mehr, dafür regiert Kollege Smartphone. Obendrein bietet Philips Bereiche für informelle Treffen an. Zu diesen „Breakout Areas“ gehören besagter Strandkorb, Massagesessel und Hollywoodschaukel. Auf die Rundbank des XXL-Strandkorbs passen vier Personen, das Besprechungstischchen bietet Platz für Laptop und Kaffeebecher. Auch hier sitzt man nicht abgeschottet, das Innenleben ist von allen vier Seiten einsehbar.

Derart umwälzend wie Philips gehen nur wenige Firmen vor. „Weltweit arbeiten noch zwei Drittel der Beschäftigten in Einzel- und Mehrpersonenbüros an fest zugewiesenen Arbeitsplätzen“, sagt Martin Klaffke, Professor für Personal und Organisation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Wenn allerdings Büros neu gebaut oder umgestaltet werden, dann nahezu immer mit offeneren Strukturen. Wirtschaftspsychologin Sarah Lütke Lanfer von der Universität Freiburg sagt: „Bei 17 von uns untersuchten Unternehmen aus allen Branchen haben 15 am Ende des Veränderungsprozesses Open-Space-Büros geschaffen.“ Udo-Ernst Haner vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation begründet: „Einfache Tätigkeiten werden zukünftig von Robotern übernommen, für höherwertige Aufgaben sind neue Bürostrukturen, unterstützt durch Social Colloboration Tools, sinnvoll.“

Haner hat den neuen Standort von Microsoft in München geplant. Beim Deutschlandableger des US-Softwarekonzerns sieht es ähnlich wie bei Philips aus. Nur noch revolutionärer: Statt maximal zwei Tagen Homeoffice wie bei Philips können die Microsoftianer jederzeit von überall arbeiten, vorausgesetzt, sie bringen die erforderte Leistung. Kein Wunder, dass Microsoft noch stärker auf Social Collaboration Tools wie das hauseigene Yammer setzt.

Mallorca-Prinzip

Wie unterschiedlich in Deutschland derzeit gearbeitet wird, zeigt eine Fraunhofer-Studie. Demnach können über 50 Prozent der Befragten zeitlich autonom arbeiten, mehr als 80 Prozent können selbst wählen, mit welchen Mitteln und Methoden sie ihre Arbeitsziele erreichen. Jedoch können lediglich 40 Prozent selbst entscheiden, wo sie arbeiten. Ohne fest zugewiesenen Schreibtisch wie bei Philips arbeitet jeder Fünfte. Auf den ersten Blick sind es vor allem Firmen mit starkem Verbraucherbezug, die vorpreschen; hippe Unternehmen wie Google, Facebook, aber auch alteingesessene wie Microsoft und Philips. „Tatsächlich zieht sich der Wandel durch alle Branchen“, sagt Fraunhofer-Mitarbeiter Haner.

Er verweist auf den Autozulieferer ZF Friedrichshafen, der für seine 650 Mitarbeiter der Zentrale einen Neubau konzipiert hat, der dem von Philips ähnelt. Allerdings ist dort das „Mallorca-Prinzip“ durchgebrochen: Hier liegt mein Handtuch, das ist mein Bereich.

Widerstand der Belegschaft

So mancher Konzern experimentiert. Der Pharmariese Bayer etwa, in dessen Leverkusener Zentrale zunächst 500 von insgesamt 14.300 Mitarbeitern vielseitiger zusammenarbeiten können. Ausgeguckt hat sich der Konzern die Bereiche Personal, IT und Einkauf. Bayer ist ein gutes Beispiel dafür, dass Büroorganisation mehr und mehr ein Thema für Personalabteilungen wird. „Früher hatte der Facility-Chef die Macht über das Zuschneiden der Büroarbeitsplätze“, erklärt Fraunhofer-Forscher Haner den Wandel, „dann bekam die IT-Abteilung, ausgelöst durch neue Technologien, mehr Einfluss. Mittlerweile ist das Thema in den Personalabteilungen angekommen.“ Das sei ein wichtiger Baustein, Mitarbeiter zu halten und neue anzuwerben – vor allem für Firmen in der Provinz. Klar ist: Radikale Lösungen wie Open-Space-Strukturen mit flexiblen Arbeitsplätzen sind noch nicht en vogue. In der Studie von Arbeitsforscherin Lütke Lanfer haben sich fast alle untersuchten Firmen für fest zugeordnete Arbeitsplätze entschieden. Wünschen sich Deutschlands Angestellte also eine persönlichere Umgebung? Legen sie Wert auf eine persönliche Note auf ihrem Schreibtisch? Lütke Lanfer hat mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Firmen zunächst flexible Arbeitsplätze angedacht oder sogar geplant hatten, dann aber am Widerstand der Belegschaft scheiterten.

Bei Philips wird betont, dass die Mitarbeiter bei der Gestaltung des Headquarters beteiligt und Arbeits- und Verhaltensweisen in Workshops besprochen wurden. Pressesprecherin Elina Reinholtz nennt beispielhaft das Design der „Breakout Areas“, die Gestaltung von Wänden und der Cafeteria und die Auswahl der Möbel. Eine Abstimmung zu den Grundzügen des Open-Office-Konzepts inklusiver flexibler Arbeitsplätze gab es nicht. Hier stößt die Philip´sche Basisdemokratie an ihre Grenzen. Während des Rundgangs durch die Zentrale fällt auf: In den loungeartigen Bereichen hält sich kaum jemand auf. Dagegen sind Besprechungsräume und die Standardarbeitsplätze gut besetzt. Ein Mitarbeiter, der ungenannt bleiben möchte, sagt, dass die freizeitlich anmutenden Areale noch nicht so gut angenommen werden.

Fall für den Psychologen

Welchen Einfluss das neue Konzept auf den jährlich ermittelten Wert der Mitarbeiterzufriedenheit hat, ließe sich noch nicht sagen, sagt die Philips Sprecherin Reinholtz. „Wir gehen aber davon aus, dass Work-Place-Innovation einen positiven Einfluss darauf hat“, sagt Reinholtz. Offene Bürostrukturen sind ihrer Meinung nach kommunikationsfördernd und sorgen für interdisziplinären Austausch. Im Arbeitsalltag habe das zur Folge, dass „die am häufigsten gestellte Frage am Morgen ist: ‚Wo bist du gerade?‘, kommuniziert über ein Messenger-System“, so Reinholtz.

Es gibt keine einheitliche Studienlage, wie sich Open-Space-Strukturen auf die Mitarbeiterzufriedenheit auswirken. Nach Meinung von Guido Hertel von der Universität Münster steigen Arbeitszufriedenheit und Engagement bei Activity-based Offices, also bei aktivitätsbezogenen Arbeitsplatzlösungen, erst einmal an. Vor allem dann, wenn Mitarbeiter tatsächlich eine gute Passung zwischen Arbeitsaufgabe und Arbeitsumgebung herstellen können. Nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts sind nur 20 Prozent der Befragten mit ihrer Büroumgebung „sehr zufrieden“ und weitere 42 Prozent sind immerhin noch „eher zufrieden“. 40 Prozent der Teilnehmer dagegen sind nur „teilweise“ oder „eher nicht glücklich“. Die häufigsten Kritikpunkte: zu hohe Arbeitsplatzdichte, Störungen durch andere Kollegen, ständige Beobachtung. „Unternehmen müssen viele Aspekte bei der Umgestaltung oder beim Neubau berücksichtigten“, sagt Forscherin Lütke Lanfer. Großraumbüros oder eine Vielzahl von Einzelbüros seien nicht per se falsch, nur weil gerade etwas anderes modern sei. „Eine Firma, in der Angestellte 90 Prozent der Arbeitszeit hochkonzentriert alleine arbeiten müssen und es kaum Projektarbeit gibt, sollte sich überlegen, ob die Einführung einer Open-Space-Struktur sinnvoll ist.“ Ein anderer Arbeitsexperte, der anonym bleiben möchte, bringt es auf den Punkt: „Wer eine Belegschaft von 55-Jährigen aus Einzelbüros in ein Open-Space-Konzept umsiedeln will, der kann gleich eine Psychologenschar anheuern.“

Sparmodell: Open Office

Nach Meinung von Arbeitspsychologe Hertel müssen Mitarbeiter erst einmal lernen, die jeweiligen Bedarfe für ihre Aufgabe richtig einschätzen zu können. Auch müssten sie über ausreichende Selbstdisziplin verfügen, um die Arbeitsumgebung bei Bedarf zu wechseln. „Zudem ist Vertrauen in die Führungskräfte unerlässlich, damit ihre Selbständigkeit auch honoriert wird.“ Leider, so Hertel, geben sich viele Unternehmen genau dabei aber nicht genug Mühe. Er kennt Firmen, in denen eine bedacht stilvoll-moderne Büroumgebung geschaffen wird, aber Mitarbeiter in der Nutzung nicht geschult werden oder immer am selben Platz sitzen.

Die Wirtschaftspsychologin Lütke Lanfer beobachtet: „Büros werden als attraktiver aber auch als anstrengender empfunden, weil man sich nur bedingt zurückziehen kann und auf dem Präsentierteller sitzt.“ Hertels Studie ergab auch, dass Open-Office-Konzepte zwar die Kooperation zwischen den verschiedenen Bereichen und Projektteams verbesserten, die Zusammenarbeit in den bestehenden Teams jedoch eher verschlechterten.
Manchmal ist der wahre Treiber der Open-Space-Konzepte die Finanzabteilung. „Es gibt immer wieder Versuche, Open-Office-Konzepte vor allem als Sparmodell einzusetzen – diese greifen in der Regel zu kurz und rechnen sich nicht wirklich“, so Hertel. Auch Philips verkleinerte die Bürofläche im Zuge des Neubaus deutlich. Die gleiche Anzahl der Mitarbeiter arbeitet jetzt auf 13.000 Quadratmetern – statt wie vorher auf 21.000.

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Martin Scheele, Foto: Privat

Martin Scheele

Martin Scheele ist freier Journalist und schreibt regelmäßig für den Human Resources Manager.

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