Streicht eure Jours fixes aus dem Kalender!

Meetingkultur

Meetings sind viel zu oft reine Zeitfresser. Weil sie nicht gut vorbereitet sind oder weil sie ohne klares Ziel einfach nur ein To-do in unserem Kalender sind, das wir abarbeiten wollen. Besonders gefährdet, zu genau dieser Art Meeting zu werden, sind Jours fixes. Wiederkehrende Termine, die am immer gleichen Wochentag zur immer gleichen Stunde auf uns warten. Der blanke Horror für all diejenigen, die am sogenannten Neuen Arbeiten Flexibilität am meisten schätzen und fixe Termine gar als eine Art digitale Leine empfinden. Was also tun? Ganz einfach: Schmeißt eure Jours fixes aus dem Kalender – am besten heute noch!

Keine Meetings, weniger Probleme

In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist der Anteil von Formen der Zusammenarbeit um 50 Prozent angestiegen, wie ein Autorenkollektiv bereits 2016 in der Harvard Business Review dargestellt hat. Dabei meint Zusammenarbeit das Zusammensein mit anderen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, das auf den Unternehmenserfolg einzahlen soll. Der vermehrte Austausch erscheint unter anderem deswegen notwendig, weil die Intensität und Komplexität unserer Arbeit insgesamt ansteigen.

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir dadurch effizienter geworden sind. Klar, durch den parallelen Siegeszug digitaler Tools, mit deren Hilfe wir die Kollaboration auch unabhängig von der Präsenz an einem Ort – meist einem zentralen Büro – gestalten können, haben wir zumindest das Gefühl, dass wir mit Meetings etwas schaffen. Aber dieses Gefühl trügt uns allzu oft. Das dürfte unbestreitbar sein, gerade mit Blick auf die vergangenen zwei bis drei Jahre.

Seit dem Beginn der Coronapandemie und der noch stärkeren Verlagerung von Meetings ins Digitale hat sich die in Online-Räumen verbrachte Zeit um den Faktor 2,5 erhöht. Das hat Microsoft in seinem 2021 veröffentlichten Work Trend Index ausgemacht. Wer sich einmal die Mühe macht und den eigenen Arbeitsalltag reflektiert, merkt schnell, dass die unzähligen Videokonferenzen im Laufe eines Tages vor allem eines sind: nervenaufreibende Zeitverschwendung.

Dass wir diese Erfahrungen machen, liegt jedoch nicht am Format „Meeting“ an sich. Es ist vielmehr die falsche Herangehensweise an den Austausch mit anderen. Wir kommen gar nicht umhin, uns in unseren Teams oder mit Externen auf den aktuellen Stand zu bringen. Nur so können wir Probleme und Herausforderungen lösen und neue Ideen generieren. Wer alleine arbeitet, hat immer recht – liegt aber oft falsch. Denn die an uns herangetragenen Fragestellungen werden zunehmend komplexer. Gleichzeitig benötigen wir als Individuen aber auch einen besseren Umgang mit der knappen Ressource Zeit, um fokussiert arbeiten zu können und Ergebnisse zu erzielen. Was also tun?

Stärkeres Bewusstsein für Kommunikation

Zunächst müssen wir anerkennen, dass Kollaboration Kommunikation ist. Klingt trivial, ist es aber nicht. Kommunikation kann auf unterschiedlichste Art und Weise stattfinden sowie für bestimmte Situationen optimiert werden. Dadurch wird die Grundlage für Kollaboration geschaffen.

Wichtig ist dabei vor allem die Unterscheidung zwischen synchroner und asynchroner Kommunikation. Je emotionaler das Thema, desto synchroner sollte der Kanal sein. Emotionen sind wunderbar, aber können gerade im Arbeitskontext schnell zu Missverständnissen führen. Während asynchrone Kommunikation sich eignet, wenn es nur um den Austausch reiner Fakten geht – etwa bei der Terminkoordination, Informationsweiterleitung oder bei anderen organisatorischen Dingen –, sollte man sich live und in Farbe oder am Bildschirm in die Augen schauen und direkt miteinander sprechen, wenn es um komplexere Sachverhalte geht. Die Nuancen sind für jede Organisation, sogar für jedes Team innerhalb einer Organisation ganz individuell und sollten deswegen vorab geklärt werden.

Sich diese grundlegenden Gedanken zu machen und sie festzuhalten, ist sinnvoll. Denn Meetings sind besonders fehleranfällig, wenn es keine klare Anleitung für die Kommunikation gibt. In vielen Meetings werden dann schnell die unterschiedlichsten Themen miteinander vermischt.

Was auf den ersten Blick im Sinne aller ist, sorgt eigentlich nur für Verwirrung und Demotivation. Denn wenn in einem Atemzug strategische sowie operative Themen und dann auch noch allgemeine Steuerungsfragen besprochen werden, kann es kompliziert werden. Die einzelnen Punkte werden nur angerissen – und manche, auf die sich aber niemand vorbereitet hat, liefern Zündstoff für eine ungeplante Diskussion. So wird das nichts mit dem Neuen Arbeiten!

Flexibilität, jetzt aber wirklich

Vor allem Videokonferenzen sind das Unflexibelste, was es derzeit in der Arbeitswelt gibt. Ich kann ja nicht mal kurz aufstehen und gestikulieren, ohne dass es komisch wirkt. Gefühlt ist es wie eine virtuelle Kette, an der ich hänge. Wenn ich dann noch zu festen Zeiten immer wieder einschalten muss, ist es vorbei mit der Flexibilität. Da braucht es noch nicht mal feste Bürotage. Work from anywhere klingt dann zwar fancy, schützt mich aber auch nicht vor festen Zeiten im Online-Meeting-Raum.

Deswegen habe ich damit begonnen, Jours fixes und andere Regeltermine rigoros aus meinem und den Kalendern meines Teams zu streichen. Zack, raus damit. Weshalb habe ich das getan? Weil es geht. Die Gretchenfrage an ein Meeting lautet doch: „Sag, wie hast du es mit der Klarheit?“ Wir wollen schließlich mittels Kommunikation Klarheit schaffen, um bestmöglich mit dem Gegenüber zusammenarbeiten zu können. Diese Klarheit kann erzielt werden durch eine Struktur, eine Agenda, nach der ein Meeting bestenfalls geplant, vorbereitet und durchgeführt werden sollte. Der Philologe Martin Gerber und der Unternehmensberater Heinz Gruner haben dazu die Flow-Agenda, ursprünglich auch Flow-Team-Methode genannt, entwickelt. Sie deckt fünf Bereiche ab und wirft folgende Fragen auf:

  • Welchen Sinn und Zweck hat das Meeting?
  • Wie sehen die gewünschten Ergebnisse aus?
  • Welchen Input brauchen die Teilnehmenden vorab?
  • Welche Ressourcen braucht es, damit das Meeting stattfinden kann?
  • Wie läuft das Meeting als Prozess ab?

Ist es ein Widerspruch, wenn ich einerseits von Flexibilität, andererseits von Struktur spreche? Nein, das ist es nicht, denn wenn ich die Flow-Agenda wie eine Schablone auf ein Meeting lege und überprüfe, ob die Erwartungen an den Termin mit der Realität übereinstimmen, kann ich entscheiden, ob ich das Meeting wirklich abhalte oder nicht.

Mit unserer PR-Agentur haben wir zu Beginn der Zusammenarbeit einen Jour fixe ausgemacht. Einmal wöchentlich waren wir mittwochs von 11:00 Uhr bis 11:30 Uhr verabredet. Gesprochen wurde über Organisatorisches, Strategisches, Alltägliches und Besonderes. Es hat nicht lange gedauert und die Unzufriedenheit über diesen Regeltermin wuchs auf beiden Seiten. Denn der Outcome war nicht das, was wir brauchten. Also haben wir – auch mit einer idealen Flow-Agenda im Hinterkopf – den Jour fixe gestrichen und unsere Kommunikation neu aufgestellt.

Wir wollen gute Gespräch führen, neue Gedanken diskutieren und Geschichten entwickeln – genau dafür wollen die Kommunikationsprofis vor allem mit mir synchron sprechen. Dafür müssen aber nicht noch zwei weitere Personen je 30 Minuten ihrer Zeit opfern und am Jour fixe teilnehmen, nur um dabei zu sein. Und schon gar nicht müssen wir immer mittwochs auf den Punkt kreativ sein – das geht gar nicht. Also folgten mehr spontane Besprechungen. Wenn es zudem einmal einen Notfall gibt und synchrone Kommunikation dringend nötig ist, dann setzen wir auf die Two-times-call-Regel: Wer zweimal hintereinander angerufen wird, ruft schnellstmöglich zurück. Alle Informationen und Ideen, die aus diesen Absprachen hängen bleiben und es in die nächste Runde schaffen, teilen wir in einem Chat, damit alle davon erfahren. Alle Organisationsthemen und Abstimmungen regeln wir nun bequem asynchron ebenfalls per Chat.

Fazit

Beim Blick in die Kalender fühlen sich die meisten Berufstätigen an den Spieleklassiker Tetris erinnert. Keine Lücke frei. Das kann nicht das sein, was wir wirklich wollen von New Work. Es braucht daher eine neue Nüchternheit und vielleicht auch eine gewisse Kaltschnäuzigkeit, um Raum für neue Wege zu schaffen und Regeltermine zur absoluten Ausnahme zu machen. Also: Schmeißt die Jours fixes über Bord und versucht die asynchronen Tools – ob nun Mail, Messenger oder was auch immer am besten funktioniert – maximal zu nutzen. Das schafft ein ganz neues Freiheitsgefühl bei der Arbeit. Und die synchron geteilte Zeit mit anderen wird gleichermaßen zum bewussten Zusammensein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Grenzen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Christoph Magnussen ist CEO der New-Work-Beratung Blackboat und Co-Host des Podcasts On the Way to New Work sowie Co-Autor des gleichnamigen Buches.

Christoph Magnussen

Christoph Magnussen ist CEO der New-Work-Beratung Blackboat und Co-Host des Podcasts On the Way to New Work sowie Co-Autor des gleichnamigen Buches.

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