Schluss mit dem Fehlertabu. Wie Sie die Angst vor dem Scheitern in eine Kultur des Lernens verwandeln, erklärt Katrin Luzar von der Jobplattform Monster.
Unternehmen, die in Fehlern nicht nur lästige Nebenerscheinungen menschlichen Wirkens, sondern das Potenzial für eine kluge Veränderungspolitik erkennen, profitieren ganz klar von dieser Haltung. In Deutschland wird vielerorts jedoch lieber nach Sündenböcken als nach Lösungen gesucht – dabei sollten wir die Innovationskraft einer offenen Fehlerkultur nicht unterschätzen.
Wer die Erkenntnisse, die sich aus einem konstruktiven Umgang mit Schnitzern und Patzern gewinnen lassen, nicht nutzt, vergeudet wertvolles Wissen. Wissen, mit dem sich die Qualität von Produkten und Dienstleistungen und damit letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit optimieren lassen. Ganz zu schweigen von dem vertrauensvollen und wertschätzenden Klima, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten, wenn sie nicht rund um die Uhr wie perfekte Maschinen funktionieren müssen.
Hinter einem aufbauenden Ja zu Fehlern sollte sich allerdings kein blumiges Management-Schlagwort, sondern ein alltagstauglicher Ansatz mit praktikablen Maßnahmen verbergen. Ein Aufruf zu mehr Achtsamkeit alleine reicht dazu nicht aus. Führungskräfte müssen sowohl systematisch auf der Sachebene alsauch mit dem nötigen psychologischen Feingefühl agieren.
Ratschlag 1: Machen Sie sich ein Bild
Bevor irgendwelche Maßnahmen zur Analyse von Fehlern umgesetzt werden können, muss zunächst einmal der Status Quo im Umgang mit Fehlern geklärt werden. Zeit für eine Inventur: Welche Fehler werden überhaupt gemacht? Welche Prozesse sind davon betroffen, wo sind die Sollbruchstellen? Und weiter sollte klar sein, ob und wie Fehler in ihren Teams und Abteilungen erfasst werden. Wie werden sie aufbereitet und wie zufrieden sind Ihre Angestellten, wenn es um den Umgang mit Fehlern geht? Hinter diesen Fragen verbergen sich sowohl harte Fakten wie Fehlerquote und Häufigkeit als auch weiche Faktoren, die im Wesentlichen auf die soziale und motivationale Komponente des Scheiterns abzielen. Wichtig bei der Analyse der unternehmenseigenen Fehlerkultur sind zunächst einmal zwei Dinge: Gehen Sie systematisch vor und arbeiten Sie anonym. Wer seine Leute an den Pranger stellt, der verspielt das Vertrauen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ratschlag 2: Schaffen Sie nachvollziehbare Rahmenbedingungen
Der Umgang mit Fehlern im Unternehmen spielt sich auf zwei Ebenen ab: der sachlichen und der emotionalen. Gerade deshalb ist es wichtig, zunächst einmal auf der Sachebene Transparenz zu schaffen. Damit Missverständnisse in der Aufarbeitung eines Fauxpas vermieden werden – zumindest inhaltlich. Definieren Sie, was Fehler sind. Und noch viel wichtiger: Legen Sie fest und kommunizieren Sie, was KEINE Fehler sind. Dass dabei immer noch ein persönlicher Ermessensspielraum bestehen bleibt, ist und sollte klar sein. Was aber auch klar sein sollte, ist der Unterschied zwischen fachlichen Fehlern, ethischem Fehlverhalten und rechtlichen Verstößen. Eine lösungs- und lernorientierte Fehlerkultur ist nicht dafür da, unkollegiale oder geschäftsschädigende Verhaltensweisen zu verharmlosen. Das sollte ebenso in die Prinzipien eines offenen Fehlerumgangs einfließen wie der Umstand, dass niemand für einen menschlichen Irrtum oder ein nachvollziehbares Versäumnis verurteilt wird.
Ratschlag 3: Weichen Sie die Tabuzone auf
Sie werden es vermutlich schon bei der Bestandsaufnahme merken: Es ist gar nicht so leicht, systematisch Indikatoren für die Beschaffenheit Ihrer unternehmenseigenen Fehlerkultur zu erfassen. Es sind die weichen, zwischenmenschlichen Facetten, die oft dafür sorgen, dass dieses Thema ein „heißes Eisen“ ist und lieber totgeschwiegen wird. Insbesondere, wenn Sie nicht nur den gegenwärtigen Status, sondern die Ereignisse in zurückliegenden Monaten und Jahren unter die Lupe nehmen wollen, um Maßnahmen für die Zukunft abzuleiten. Kaum jemand mag über seine Fehler reden, wenn sie in der Vergangenheit liegen und bereits Gras über die Sache gewachsen ist. Um die Tabuzonen, in denen das gefühlte Scheitern ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vergraben liegt, aufzuweichen, hilft nur ein offener, aber zugleich respektvoller Umgang. Auch wenn es viel Zeit in Anspruch nimmt: Suchen Sie den persönlichen Dialog, denn die Etablierung einer offenen Fehlerkultur bedeutet zunächst, mit der Grauzone aufzuräumen. Das erfordert ein Umdenken bei jedem einzelnen Mitarbeiter und jeder einzelnen Mitarbeiterin. Neben einem offiziellen Bekenntnis zu einer gesunden Fehlerkultur erreichen Sie das am besten, wenn sich jeder Einzelne ernst genommen fühlt.
Ratschlag 4: Nehmen Sie Fehlern den emotionalen Wind aus den Segeln
Fehler werden in unserer Kultur mit einer Reihe von negativen Eigenschaften und Emotionen konnotiert. Schuld, Scham, Unzulänglichkeit – dies sind allesamt Gefühle, die nachhaltig an unserem Selbstwert nagen können. Natürlich werden wir auch künftig keine Luftsprünge machen, wenn uns Schnitzer unterlaufen – wenn etwas schief geht, dann ist dies erst einmal unangenehmen. Es geht also nicht darum, diese Gefühle auf Knopfdruck abzuschaffen. Die Aufgabe besteht darin, den Fokus von einer übertriebenen Scham und unnötigen Selbstvorwürfen auf die konstruktive Lösungssuche zu verlagern. Je schneller wir uns selbst einen Fehler verzeihen, umso souveräner können wir uns entschuldigen, den Fehler wiedergutmachen und vor allem aus einem Irrtum zu lernen. Heben Sie Fehler deshalb von der emotionalen auf die Sachebene. Am besten erreichen Sie dieses Ziel, indem Sie diesen Glaubenssatz offen kommunizieren. Manifestieren Sie: Der Fehler ist das Problem. Nicht der Mensch, der ihn gemacht hat.
Ratschlag 5: Humor trumpft auch beim Scheitern
Der deutsche Musiker Stoppok besang einst augenzwinkernd die Gefahr des Zündelns – mit dem Song „Learning by Burning“ nimmt er den pädagogischen Wert des Ausprobierens gnadenlos aufs Korn. Was aus lernpsychologischer Sicht leicht martialisch anmuten mag, beweist vor allem eines: den nötigen Humor und etwas Gelassenheit. Nehmen Sie sich, Ihr Unternehmen und damit auch die Fehltritte Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst, aber nicht zu ernst. Gehen Sie stattdessen kreativ mit Patzern um. Wieso führen Sie in Ihrem Unternehmen nicht den jährlichen „Faulty turn clever“-Award ein – wie aus einem kleinen Irrtum eine großartige Idee wurde? Oder verteilen Sie Kantinen-Bonus-Punkte für den originellsten Fehler der Woche – „Schnitzer mit Pommes“ ist das Motto. Was auch immer Sie sich einfallen lassen, behalten Sie vor allem Ihr Ziel vor Augen: Den Fehlern in Ihrem Unternehmen den Wind aus den Schuldsegeln zu nehmen. Das geht am besten mit einer humorvollen Brise Leichtigkeit. Es muss ja nicht immer gleich ein Flächenbrand sein.
Ratschlag 6: Beschönigen Sie nicht im Rückblick
Wir tendieren einfach dazu: Im Nachhinein war alles nicht so schlimm. Doch das macht getane Fehler nicht ungeschehen und schon gar nicht lehrreich. Deshalb ist es wichtig, schon während eines Projektes oder bestimmter Abläufe sowohl Gelungenes als eben auch über weniger optimal Gelaufenes zu erfassen. Sie tun gut daran, Fehler (ganz sachlich!) aufzuschreiben, zu analysieren und in die Optimierung von bestehenden Prozessen und Abläufen einzubinden. Entwickeln Sie eine Art Error -Lifecycle-Management. Damit Sie und Ihre Leute es beim nächsten Mal tatsächlich besser machen können.
Ratschlag 7: Authentizität gewinnt: Seien Sie Vorbild
Führungskräfte sollten Exempel statuieren. Das Tabu des Scheiterns lässt sich besser brechen, wenn sie selbst dazu stehen, nicht unfehlbar zu sein. Dazu müssen Sie nicht unbedingt einen „Fehlerfall“ fingieren, aber vielleicht wählen Sie doch hin und wieder gezielt einen Fauxpas aus, den Sie offen kommunizieren. Und wenn Sie schon dabei sind, dann erwähnen Sie doch gleich, wie Sie diesen Fehler künftig vermeiden werden. Denn genau das ist es, was wir letzten Endes erreichen wollen: Das Fehlertabu durch Lern- und Innovationsoffenheit zu ersetzen. Eines ist im Hinblick auf ein positives Role Model ebenfalls von großer Bedeutung: Entschuldigen Sie sich, falls jemand aufgrund Ihres Fehlers Nachteile erlitten hat. Es tut nicht weh und ist – anders als viele von uns es noch gelernt haben – ein Zeichen von Stärke.
Wenn Sie es schaffen, in den Köpfen Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Gedanken zu verankern, dass Fehler kein Beweis für Unvollkommenheit, sondern ein Anlass zum Lernen und Nährboden für neues Wissen sind, dann können sie nur eins: gewinnen!