Menschen mit Hördefizit fällt das Verstehen schwerer, wenn ihr Gegenüber einen Mundschutz trägt. Die entstehende Beeinträchtigung darf kein Tabuthema sein
Die Corona-Pandemie stellte gerade Unternehmer und HR-Verantwortliche von einem auf den anderen Tag vor Herkulesaufgaben. Im März sollte alles, was nicht niet- und nagelfest ist, ins Homeoffice umziehen. Seit Beginn der zweiten Welle gehen Unternehmen vermehrt dazu über, ihre Mitarbeiter durch Abstands- und Hygieneregeln sowie ein strenges Maskengebot zu schützen. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – so viel dürfte allen klar sein – wird uns und unser Personal also noch über einen längeren Zeitraum begleiten. Was vielen dabei nicht bewusst ist: Die Kommunikation wird durch die Maske massiv erschwert.
Viren- und Mimikblocker
Im Gespräch nehmen wir unbewusst, aber kontinuierlich die Gesichtsregungen unseres Gesprächspartners auf. Sie helfen uns beim Verstehen und können Gesagtes emotional verstärken. Werden große Teile des Gesichts bedeckt, wie beim Gebrauch einer Mund-Nasen-Maske, bleiben nahezu alle Gesichtsregungen verborgen. Durch das fehlende Lippenbild sowie nicht sichtbare Mimik fällt es ungleich schwerer, das Gegenüber zu verstehen und das Gesagte einzuordnen.
Das Lippenbild hilft beim Verstehen
Menschen mit Hördefizit beeinträchtigt das fehlende Mundbild in besonderem Maß – den anderen zu verstehen, wird eine fast unmögliche Herausforderung. Sie sind darauf angewiesen, das Lippenbild lesen zu können – unabhängig davon, ob sie bereits mit Hörgeräten versorgt sind oder (noch) nicht. Für Hörgeschädigte verändert sich die alltägliche Kommunikation durch die Maskenpflicht also viel tiefgreifender als für „normal Hörende“. Inzwischen hat der Markt mit optimierten Masken, die über ein Sichtfenster im Mundbereich verfügen, reagiert. Eine Erleichterung, für Menschen mit behandelbarer Hörminderung aber längst keine nachhaltige Lösung.
Wenn plötzlich 12 dB fehlen
Zum fehlenden Mundbild addiert sich der dämpfende Faktor des Maskengewebes als weitere Versteh-Hürde. Dass eine Maske wie ein Sprachfilter wirkt, belegt auch eine kürzlich erschienene Studie [1]: Demnach werden Töne und Sprache beeinträchtigt, das Hören und Verstehen komplexer bis unmöglich. Bereits eine herkömmliche medizinische Maske dämpft hohe Frequenzen zwischen 2.000 und 7.000 Hz um 3 bis 4 Dezibel (dB). Die dickeren N95- beziehungsweise FFP2-Masken schlucken sogar an die 12dB – ein Wert, der ungefähr dem Rascheln von trockenem Laub, durch das man läuft, entspricht. Plexiglasscheiben, die an vielen Arbeitsplätzen als ergänzende Schutzmaßnahme aufgestellt sind, verstärken die Schalldämpfung zusätzlich, Hören und Verstehen werden so nochmals erschwert
Echte Hürde versus idealer Vorwand
Schwerhörige sind durch die die geltenden Maskenpflicht in ihrer täglichen Kommunikationsfähigkeit faktisch eingeschränkt. Manch anderer mag darin hingegen den idealen Vorwand finden, um sein eigenes schlechtes Hören zu verbergen und zu rechtfertigen. „Ich höre nicht mehr so gut“ ist ein Ausspruch, der nur den Allerwenigsten ungehemmt über die Lippen rutschen dürfte. Denn auch in unserer modernen Gesellschaft wird Schwerhörigkeit nach wie vor (zu Unrecht) tabuisiert.
Der Ursache auf den Grund gehen: Maske oder Gehör?
Tatsächlich können Betroffene einen Hörverlust noch relativ lange nach Auftreten kompensieren, indem sie das Mundbild lesen. Corona hat diese Möglichkeit von jetzt auf gleich wegradiert. Die zentrale Frage lautet deshalb: Hat das schlechte Verstehen seinen Ursprung wirklich in den schalldämpfenden Masken und Plexiglaswänden? Oder liegt vielleicht doch eine nachlassende Hörleistung vor? Zur Klärung der Faktenlage und zur Wahrung der Gesundheit empfiehlt sich eine Überprüfung des Gehörs durch einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt und/oder Hörakustiker. Für gutes Verstehen im Job, im Alltag, mit oder ohne Maske.
[1] Goldin A, Weinstein BE, Shiman N. How do medical masks degrade speech perception? Hearing Review. 2020;27(5):8-9.