Mit Long Covid zurück in den Job?

Personalmanagement

Die Symptome einer Erkrankung an Covid-19 können Monate anhalten und Betroffene einschränken. Wie das betriebliche Eingliederungsmanagement beim Wiedereinstieg unterstützen kann.

Hunderttausende Menschen, viele im berufstätigen Alter, leiden an den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung – auch bekannt als Long Covid. Nach Schätzungen des Bundesforschungsministeriums beläuft sich die Zahl allein in Deutschland auf rund 350.000. Aktuell ist davon auszugehen, dass etwa zehn Prozent aller Corona-Infektionen Long Covid zur Folge haben. Betroffene berichten auch Monate nach ihrer Infektion von Konzentrationsschwierigkeiten, anhaltender Müdigkeit und tiefer Erschöpfung. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen treten in diesem Zusammenhang auf. Dadurch wird Long Covid über die Pandemie hinaus zu einer Herausforderung für die Arbeitswelt. Arbeitgeber sind nun gefragt, Beschäftigten mit Corona-Spätfolgen gezielt zu helfen und den Wiedereinstieg in das Arbeitsleben zu ermöglichen.

Bei Long Covid liegen die Dinge in den Prozessen des betrieblichen Eingliederungsmanagements oft anders als bei anderen Erkrankungen. Zum einen ist das Krankheitsbild sehr uneinheitlich und kann zeitverzögert auftreten, nachdem zuerst alles wieder gut zu sein schien. Zum anderen kommen neben den körperlichen Symptomen bei Long Covid häufig auch psychische Probleme hinzu. Daher stehen die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen im betrieblichen Eingliederungsmanagement stärker im Vordergrund – noch mehr als beispielsweise bei Muskel-Skelett-Erkrankungen oder der Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einem Unfall.

Die Diagnose Corona-Infektion ist den Arbeitgebern meist bekannt. Ein Grund dafür ist, dass bei einer Quarantäne in der Regel die Bundesländer die Entschädigung für den Verdienstausfall übernehmen. Tatsächlich erleichtert dies den Umgang mit Long Covid in der Praxis des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Denn normalerweise ist es den Angestellten überlassen, ob sie den medizinischen Grund für ihre Ausfallzeiten im Prozess des betrieblichen Eingliederungsmanagements bekannt geben, um von gezielteren Maßnahmen zu profitieren. Dabei gilt: Je genauer Verantwortliche die Hintergründe einer Arbeitsunfähigkeit kennen, desto gezielter können passgenaue Maßnahmen zur schnellen Wiedereingliederung vorgeschlagen und vereinbart werden.

Um es anschaulich zu machen: Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements können neben der stufenweisen Eingliederung mit reduzierten Stunden – das sogenannte Hamburger Modell – vielfältige andere Entlastungen beinhalten. Bei Stressfolgeerkrankungen und mentalen Belastungen zum Beispiel das Herausnehmen aus Frühschichten für Alleinerziehende, die keine alternativen Betreuungsmöglichkeiten haben. Oder die ergonomische Büroarbeitsplatzgestaltung für Menschen mit Rückenproblemen, außerdem Kurse zur allgemeinen Stressreduktion für all jene, die Anzeichen von Stressfolgeerkrankungen zeigen. Diese Maßnahmen sind nur möglich, wenn Betroffene sich im Eingliederungsprozess öffnen und ihre Bedürfnisse transparent machen.

Individualität schlägt Standardverfahren

So unterschiedlich Long Covid in seiner Symptomatik sein kann, so variabel können auch die Maßnahmen im betrieblichen Eingliederungsprozess sein. Neben der vorübergehenden Arbeitszeitreduzierung können von Arbeitgeberseite Unterstützungsangebote zur Kinderbetreuung oder zur Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger gemacht werden. Oft helfen auch das Nachhalten von Pausenzeiten durch die Führungskraft, bildschirmfreie Zeiten sowie dievorübergehende Reduktion von Aufgaben oder die Vereinbarung über mehr Zeit für bestimmte Tätigkeiten.

Ein Fallbeispiel, das die Wichtigkeit eines präventiven Ansatzes belegt: Eine Mitarbeiterin, die sich an uns im Rahmen der Mitarbeiterberatung (EAP) gewandt hatte, stand kurz vor der Kündigung. Sie sah sich mit starken Konzentrationsausfällen einfach nicht mehr in der Lage, ihrem Job nachzugehen. Die Kündigung dieser langjährigen Mitarbeiterin wäre ein großer Verlust für das Unternehmen gewesen. Für die Betroffene hätte es große Unsicherheit und Stress bedeutet. Nach unserer Beratung ist sie von sich aus auf die Personalabteilung zugegangen und hat sich in einen präventiven betrieblichen Eingliederungsprozess begeben – also bevor die obligatorischen 42 Fehltage erreicht waren. Optimal wäre es gewesen, wenn das Unternehmen die Betroffene schon früher im Blick gehabt hätte. Deswegen raten wir, mit den Menschen, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben, auch ohne vermehrte Fehlzeiten immer gut im Kontakt zu bleiben. Außerdem ist es hilfreich, das betriebliche Eingliederungsmanagement im Unternehmen bekannter zu machen – oder es überhaupt erst zu initiieren. Es ist ein wichtiges Tool, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Beschäftigten zu stärken und zu erhalten.

Aufholbedarf bei betrieblichen Angeboten

Seit 2004 sind Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, ein betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten. Ziel ist immer ein ergebnisoffener Suchprozess. Dieser soll zeigen, ob und wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann. Zugleich ist auch die Prävention neuer Fehlzeiten ein Ziel. Abwarten, bis die Sechs-Wochen-Fristen erfüllt sind, ist keine gute Idee.

Doch trotz dieser gesetzlichen Regelung zum Eingliederungsmanagement erhalten nur 40 Prozent aller Berechtigten dieses Angebot, wie eine Auswertung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt. Das heißt im Umkehrschluss: Die Mehrheit – also 60 Prozent – erhält keine Hilfe. Damit verstoßen viele Firmen gegen geltendes Recht, vernachlässigen ihre Fürsorgepflicht und schaden zudem auch langfristig dem Unternehmenserfolg. Bieten Arbeitgeber betriebliches Eingliederungsmanagement an, im besten Fall präventiv und in die betriebliche Gesundheitsförderung integriert, stärken sie damit nicht nur die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Belegschaft. Gesunde und unterstützende Führung wirkt sich meistauch positiv auf die Entwicklung der Fehlzeiten aus und erhöht die Attraktivität der Arbeitgebermarke.

Die Sensibilität für das Thema Long Covid hat deutlich zugenommen. Das merken wir im Austausch mit unseren Kundenunternehmen. Meine Empfehlung: Betriebliches Eingliederungsmanagement gerade jetzt noch einen Schritt weiterdenken. Denn auch die sozialen Folgen der Pandemie wie Doppelbelastung, Angst vor Jobverlust und Krankheit oder Erfahrung von Isolation haben bei den Menschen Spuren hinterlassen. Deutlich mehr Menschen leiden an Depressionen, Suchterkrankungen, Angstzuständen bis hin zu Suizidgedanken oder fühlen sich erschöpft und kraftlos. Damit einhergehend nehmen Stressfolgeerkrankungen deutlich zu. Mit einem Anteil von rund 20 Prozent machen die psychischen Diagnosen den höchsten Anteil der krankheitsbedingten Fehlzeiten aus, noch vor Rückenbeschwerden und Erkältungskrankheiten. Von 2006 bis 2020 sind Fehlzeiten unter diesen Diagnosen bei Erwerbspersonen um insgesamt 109 Prozent gestiegen. Das belegen Auswertungen der Techniker Krankenkasse und der Kaufmännischen Krankenkasse. Auch in unserem Employee Assistance Program (EAP) verzeichnen wir eine deutliche Erhöhung beim Thema psychischer Belastungen und Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch. Gut zu wissen, dass auch Suchterkrankungen im betrieblichen Eingliederungsmanagement ihren Platz haben. Von besonderer Bedeutung ist, dass sich Arbeitgeber künftig bewusster werden, dass Eingliederungsmanagement keine Kür ist, sondern eine gelebte Fürsorgepflicht.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Ideale. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Susanne Tiedemann, Regionalleiterin am Fürstenberg Institut

Susanne Tiedemann

Susanne Tiedemann ist Regionalleiterin am Fürstenberg Institut, das Firmen unterstützt, Beschäftigte mental gesund und leistungsstark zu halten. Die Arbeits- und Organisationspsychologin studierte Psychologie an der Universität in Hamburg.

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