Projektteams bilden das Rückgrat von Unternehmen, die auf Veränderungen des Marktes, auf den technischen Fortschritt oder auch regulatorische Anforderungen reagieren müssen. Schlüsselelement für den Projekterfolg ist, wie gut das Projektteam, auch in Drucksituationen, zusammenarbeitet. Mit Hilfe der Persönlichkeitsdiagnostik lassen sich Teams optimal zusammenstellen. Wir zeigen, welche Motive – oder auch emotionale Trigger – entscheidend sind und wie Menschen handeln, die ihre Motivausprägung ausleben.
In Unternehmen werden Projekte sowohl klassisch, nach dem Wasserfall-Modell, als auch agil nach Scrum organisiert. Der klassische Projektplanungsansatz bietet eine hohe Planungssicherheit, ist aber schwerfällig und wenig flexibel, wenn sich im Projekt Änderungen ergeben. Die Alternative ist ein agiles Vorgehen, bei dem nicht alles fest bis zum Projektabschluss durchgeplant wird, sondern kurze Sprints die Grundlage für die nächsten Schritte bilden.
Der Schlüssel für erfolgreiche Projektteams liegt darin, die emotionalen Motive der Projektbeteiligten zu identifizieren. Wenn eine Führungskraft weiß, unter welchen Bedingungen ein Mitarbeiter beziehungsweise eine Mitarbeiterin seine oder ihre Leistung frei entfalten kann, können die Rollen im Team dadurch effektiver besetzt werden. Zudem fühlen sich Projektmitarbeitende auch emotional von ihrer Rolle abgeholt. Was bedeutet agiles Projektmanagement für die Art der Zusammenarbeit in Projektteams? Hier kommt die Persönlichkeitsdiagnostik ins Spiel.
Der Schlüssel für den Projekterfolg: Emotionale Treiber identifizieren
Die Persönlichkeitsdiagnostik bietet zahlreiche Erklärungsansätze für menschliches Handeln. Manche davon fokussieren auf das Verhalten von Menschen, andere gehen tiefer und wollen die hinter dem Verhalten liegenden Motive entdecken. Zu den verhaltenspsychologischen Ansätzen zählen Insights Discovery und DISG/DISC. Motivationspsychologische Ansätze stellen hingegen das „Mensch sein“ in den Vordergrund und sind deshalb nach unserer Erfahrung umfassender und deutlich aussagekräftiger.
Aber was ist ein Motiv? Motive sind in jedem Menschen liegende emotionale Zielzustände. Werden diese Zielzustände erreicht, reagiert der Körper mit der Ausschüttung von Endorphinen (Glückshormonen). Deshalb möchte jede Person ihre Motive erfüllen.
In diesem Beitrag bedienen wir uns der 16 intrinsischen Motivkonstrukte, die 2017 von der Universität Luxemburg normiert und validiert wurden. Das Team um die Professoren Samuel und Christoph Kemper hat 16 trennscharfe Motive herausgearbeitet, die die Beweggründe menschlichen Verhaltens beschreiben (siehe Abbildung). Im Life-Coaching werden alle 16 Motive beleuchtet, im Business-Kontext wird eine -Skala mit 15 Motiven, ohne das Motiv „Sinnlichkeit“, genutzt.
Die jeweiligen Ausprägungen ermöglichen klare Aussagen dazu, wie eine Person in bestimmten Situationen handeln wird, weil sie einen emotionalen Glückszustand erreichen beziehungsweise emotionalen Stress vermeiden möchte. Die beiden Endpunkte der Skala (rot und blau, siehe Abbildung 1) beschreiben jeweils, wie eine Person mit dem Motiv umgeht. Falsch wäre, daraus abzuleiten, ein Motiv wäre vorhanden oder nicht vorhanden.
Aus dem oben genannten 16er-Set konzentrieren wir uns exemplarisch auf fünf Motive, die nach unserer Erfahrung im Projektalltag signifikante Auswirkungen haben:
- Neugier
- Soziale Anerkennung
- Einfluss
- Autonomie
- Struktur
Neugier: Neue Wege suchen oder Bekanntes anwenden
„Neugier“ beschreibt, wie sich jemand für Themen, Sachverhalte beziehungsweise Dinge im Allgemeinen interessiert. Auf der einen Seite (blau) stehen handlungs- und anwendungsorientierte Menschen, die gerne bekannte Inhalte vertiefen beziehungsweise wiederholen.
Auf der anderen Seite der Skala (rot) finden wir Personen, die sich immer wieder in neue Sachverhalte reindenken, also gedanklich „frisches Terrain“ beschreiten wollen, also eher theorieorientiert denken und handeln. Letztgenannte bringen gerne und häufig Ideen ein, die sie individuell für spannend halten.
Wir sprechen also nicht von Menschen, die „neugierig“ oder „nicht neugierig“ sind, sondern darüber, wie diese Personen mit Aufgaben und Fragestellungen umgehen.
Soziale Anerkennung: Nicht geschimpft ist doch gelobt
Ein zweites bedeutendes Motiv ist das Streben nach sozialer Anerkennung. Dieses Motiv beschreibt, wie jemand mit Bestätigung und Feedback umgeht. Menschen mit der Ausprägung dieses Motivs im blauen Bereich (siehe Abbildung) sind aus sich selbst heraus sehr selbstsicher. Sie benötigen kein Feedback von Dritten; anders gesagt: Sie finden es unnötig solches Feedback zu bekommen (insbesondere Lob), weil sie bereits davon überzeugt sind, dass ihr Handeln hervorragend ist. Das geht so weit, dass sie Kritik gegenüber nicht aufgeschlossen sind und nur von, aus ihrer Sicht, „qualifizierten“ Personen annehmen. Auch finden sie es grundsätzlich unnötig, andere zu loben oder ihnen Bestätigung zu geben. Auf den Aspekt des „blinden Flecks kommen wir am Ende dieses Beitrags.
„Soziale Anerkennung“ im roten Bereich beschreibt laut dem Modell Menschen, die die eigene Leistung immer wieder von selbst hinterfragen und für die die positive Anerkennung durch andere sehr wichtig ist. Der Antrieb steckt hier im Erreichen der Perfektion – man will etwas so gut machen, dass der oder die andere das wertschätzen muss. Ein aufrichtiges (!) positives Feedback, abseits von Kritik ist für diese Menschen sehr wichtig. Sie sind auch diejenigen, die sich in Aufgaben und Themen „vergraben“ und ein perfektes Ergebnis abliefern können. Ohne Menschen mit einer roten Ausprägung in diesem Motiv funktioniert kein Projekt.
Einfluss: Entscheidungen schnell selbst treffen oder von anderen geführt werden
Das dritte Motiv ist das Streben nach Einfluss. Hier geht es um die Frage, wie sehr eine Person danach strebt, Entscheidungen zu treffen oder Ratschläge zu erteilen, und dadurch Einfluss auszuüben. Während jemand mit dem Motiv „Einfluss“ im roten Bereich gerne die Verantwortung für Entscheidungen übernimmt, bevorzugt eine Person mit „Einfluss“ im blauen Bereich, die Verantwortung der Umsetzung zu übernehmen. Im Teamalltag ist das ein sehr ausschlaggebendes Motiv.
Für Menschen mit „Einfluss blau“ bedeutet Entscheidungsverantwortung zu haben, Stress ausgesetzt zu sein. Hier liegt der Leistungsmotor in der Umsetzung, im Handeln nach bekanntem und erprobtem Wissen. Dieses Wissen kann aus einer Anweisung oder auch aus der Erfahrung heraus entstehen.
Kein Projekt funktioniert, wenn nur der eine oder der andere „Typ“ im Projektteam vertreten sind. Übrigens: Menschen mit „Einfluss rot“ kommen in der Regel sehr gut miteinander klar.
Autonomie: Das Team als emotionale Heimat oder temporäre Organisationsform
In der Praxis von erheblicher Relevanz ist das Streben nach Autonomie. Hier geht es darum, ob eine Person eher (emotional) selbstständig und autonom vorgehen möchte, oder ob sie nach emotionaler Verbindung sucht und ihr Handeln darauf ausrichtet. Konkret bedeutet das: Einer Person mit „Autonomie blau“ sind emotionale Beziehungen mit Dritten sehr wichtig. Das zeigt sich in einem intensiven Austausch mit den Teammitgliedern, in einer gemeinschaftlichen Aufgabenerledigung und einer engen und regelmäßigen Kommunikation untereinander, bis ins Private hinein. Für diese Typen ist ein Team eine Gemeinsamkeit von Menschen, die in der Gruppe aufgehen.
„Autonomie rot“ hingegen findet seine Erfüllung und leistet auch seinen größten Wert in Aufgaben, die allein bearbeitet werden können. Menschen mit dieser Motivausprägung können problemlos im Team arbeiten; für sie ist ein Team aber eine Mehrzahl von Individuen.
Struktur: Grundlage für Projekterfolg – Planung oder Spontaneität und Flexibilität?
Abschließend wollen wir das Motiv „Struktur“ betrachten: Personen mit „Struktur“ im roten Bereich finden ihre Erfüllung darin, etwas akkurat zu organisieren und detaillierte Planungen aufzustellen. Angestrebt wird, alles so zu strukturieren, dass es möglichst wenige Überraschungen gibt.
„Struktur blau“ beschreibt Personen, die nach Flexibilität und Spontaneität streben. Das bedeutet nicht, chaotisch zu sein; es geht sich vielmehr um ein anderes Verständnis von Planung und Ordnung. „Struktur rot“ und „Struktur blau“ haben beispielsweise ein völlig unterschiedliches Verständnis von „rechtzeitig“, was in Projektsituationen regelmäßig zu Missverständnissen führt.
Es ist offensichtlich, dass das Motiv „Struktur“ in agilen Projekten einen völlig anderen Zeithorizont hat als in klassischen Projekten. Dazu später mehr.
Wie wirken Motive in agilen Projekten?
In agilen Projekten steht nicht der langfristige Plan, sondern die Verabredung für ein phasenweises koordiniertes Vorgehen im Vordergrund. Nicht die Umsetzung des „gesamten Gemäldes“, wie es zum Projektstart geplant war, sondern die Realisierung der nächsten Entwicklungsstufe. Diese bildet dann die Basis für den nächsten „Sprint“, der kurzfristig inhaltlich durchgeplant wird. Während in einem klassischen Projekt das „Durchpeitschen“ von Plänen essenziell ist, spielt bei Scrum die Erarbeitung des nächsten Teilschritts die zentrale Rolle. Das spiegelt unser Motiv-Modell wider, indem sich Phasen der kreativen, gegebenenfalls innovativen Konzeption („Neugier rot“, „Struktur blau“) mit Phasen der konzentrierten Umsetzung („Neugier blau“, „Einfluss rot“, „Struktur rot“) abwechseln.
Im agilen Projektmanagement wird die Projektleitung zum Moderator beziehungsweise der Moderatorin, der oder die kognitiv sehr flexibel agieren beziehungsweise reagieren können muss. Die Führungsaufgabe ist hier, die Rahmenbedingungen und das Mindset zu kreieren, sodass das Team eigenverantwortlich und motiviert arbeiten kann. Das bedeutet auch Störungen aus dem Weg zu räumen; Störungen sind hier auch im Sinne der Motive zu betrachten. Beispielsweise muss der Mitarbeiter mit der Motivausprägung „Struktur rot“ vor Störungen des Plans im Sinne von „Kannst Du mal eben?“ nach Möglichkeit geschützt werden.
Auch muss sich die Leitung regelmäßig zurücknehmen, wenn die Scrum-Teams ihren Sprint planen. Das ist eine Anforderung, die sie aus klassischen Projekten nicht in dieser Relevanz kennt. Sie muss lernen, dass auch Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit gegensätzlichen Ausprägungen eine absolute Bereicherung sind. So sind beispielsweise Mitarbeitende mit der Motivausprägung „Struktur blau“ für eine Leitung mit der Ausprägung „Struktur rot“ insofern eine Bereicherung, als sie mit ihrem Hang zu Flexibilität und Spontaneität unerwartete Änderungen gut auffangen können.
Generell spielt im Scrum-Modell die intensive Kommunikation im Team die entscheidende Rolle. Menschen mit „Autonomie blau“ fühlen sich hier spontan sehr wohl, weil es in agilen Projekten häufig „stark menschelt“. Personen mit „Autonomie rot“ müssen erst „an Bord“ geholt werden. Andererseits gibt es auch in agilen Projekten wichtige einzeln zu bearbeitende Aufgaben, die für diese Personen ideal sind.
Das Geheimnis erfolgreicher Projektteams ist die Kombination von Persönlichkeiten. In jedem Projektteam benötigen wir sowohl Menschen
- die einen Plan umsetzen als auch solche, die spontan handeln
- die gerne und schnell entscheiden als auch solche, die gerne Entscheidungen umsetzen
- die das Bekannte und Erprobte beherrschen als auch solche, die neue Wege suchen
Menschen mit einem starken, roten oder blauen Motiv haben in aller Regel einen blinden Fleck für die entgegengesetzte Ausprägung.
- Jemand mit „Soziale Anerkennung blau“ kann sich kaum in jemanden hineinversetzen, der oder die immer wieder nach einer Bestätigung für seine oder ihre Arbeit sucht.
- Oder jemand, dem Entscheidungen („Einfluss rot“) schnell und leicht von der Hand gehen, sind Menschen suspekt, die eine lange Bedenkzeit brauchen.
Erkennen diese Personen aber den Wert des anderen, können beide viel souveräner miteinander umgehen und von den Fähigkeiten/Eigenheiten des anderen profitieren. Das macht natürlich auch das Team erfolgreicher!
Fazit
Agile Teams sind dann effektiv, wenn sie auch über ihre fachlichen Kenntnisse hinausdenken. Erkennen die Beteiligten den Wert der gegensätzlich Ausgeprägten, erhöht das den Respekt füreinander und verbessert die Kooperation miteinander.
Eine Projektleitung, die die Motivstruktur der Teammitglieder kennt und versteht, kann das Team nicht nur effektiver besetzen, sondern auch während der Projektlaufzeit das individuelle Teammitglied ideal einsetzen und die die Kooperation im Team stärken.