Von Einhörnern lernen

Personalmanagement

Investoren von Start-ups sind immer auf der Suche nach dem nächsten Einhorn, also einer Firma, die eines Tages eine Milliarde Euro oder mehr wert ist. Es gibt mittlerweile unzählige Einhörner in den USA und China. Was kann HR von ihnen lernen? Neun Impulse.

Im Jahr 2013 führte die Vermögensverwalterin Aileen Lee den Begriff „Unicorn“ für Start-ups ein, deren Wert Investoren mit über einer Milliarde Dollar bewerten. Sie fand damals 38 dieser Einhörner in ihrer US-amerikanischen Datenbank. CB Insights, ein Dienstleister für Finanzinformationen, schätzt die Anzahl von zukunftsträchtigen Start-ups mittlerweile weltweit auf über 450. In den vergangenen sieben Jahren hat sich die Population der Einhörner in kurzer Zeit mehr als verzehnfacht und über den ganzen Planeten verteilt. Die meisten Einhörner gibt es in China und den USA. Europa hat vergleichsweise nur wenige von ihnen.

Das ist deswegen problematisch, weil nur aus ihnen mächtige Unternehmen der Zukunft hervorgehen werden – und Europa bereits heute nicht ganz oben im digitalen Wettbewerb mitspielt. Die meisten dieser Start-ups sind in den Bereichen Fintech, Software und Internet Services tätig. Typisch sind ihre neuen Technologien und Geschäftsmodelle. Viele von ihnen streben nach Disruption, einer Neuordnung der Märkte oder sogar der Gesellschaft als Ganzes. Dazu erzählen sie fantastische Geschichten: Tesla-Gründer Elon Musk will mit seiner Traumfabrik Spacex zum Beispiel auf Asteroiden Rohstoffe abbauen.

In ihren Geschäftsmodellen setzen die Einhörner auf Plattformen: Taxis, Essenslieferungen oder Ferienwohnungen werden online angeboten und vermarktet, die in Anspruch genommenen Dienstleistungen direkt verrechnet. Die Plattformen werden umso wertvoller, je mehr Kunden und Angebote sie vereinen. Deshalb gilt es, um jeden Preis zu wachsen. Die Einhörner hoffen, aus den resultierenden Daten neues Wissen zu generieren und neue Märkte zu erobern. An der Spitze des Rankings stehen zwei chinesische Plattformen: Bytedance, das Unternehmen hinter der App Tiktok, die bei Teenies sehr beliebt ist, und Didi Chuxing, das chinesische Uber-Pendant. Zu den Top Ten des Klubs gehören weiter der Zahlungsabwickler Stripe und Airbnb.

Eine eindimensionale digitale Zukunft

Aus der Innovationsperspektive fallen zwei Dinge kritisch auf: die Dominanz der US-amerikanischen und chinesischen Einhörner und wie einheitlich diese die Zukunft denken. In der Tendenz setzen sie aufgrund der erwünschten Netzwerkeffekte alle auf einen Megatrend: die Digitalisierung. Sie wollen Märkte privatisieren und Plattformen mit vielen Daten und großer Marktmacht sein. Zudem ist ihr Umgang mit Daten wenig zimperlich. Das erlaubt ihnen Dinge früher und aggressiver als europäische Unternehmen zu tun.

Zwar arbeiten die Einhörner alle an der Zukunft, es fehlen jedoch Unternehmen, die sich Megatrends unabhängig von digitalen Technologien widmen. Bisher behandeln die mächtigsten Start-ups der Welt zum Beispiel die grüne Transformation oder den demografischen Wandel eher stiefmütterlich – zu wenig lukrativ erscheinen diese Märkte. Bisher. Es wird interessant sein zu beobachten, ob Corona zu einer Hyperdigitalisierung führt oder ob andere Bedürfnisse und Trends auch für die Einhörner in den Vordergrund rücken.

Diese Überlegungen werfen die Frage nach dem Wesen des Fortschritts auf. Brauchen wir nicht eher neue Energiequellen, Materialien, Wohnformen und Bildungswege statt E-Zigaretten und E-Scooter? Und: Welchen übergeordneten Wert haben die marktbeherrschenden Einhörner – jenseits der hohen Bewertungen in Finanzkreisen? Wie groß ist der Wert von E-Zigaretten und E-Scooter für unsere Gesellschaft tatsächlich? An welcher Stelle ist die digitale Befriedigung eines Bedürfnisses wirklich eine Innovation?

Impulse für HR

Egal wie ernst man die sagenhaften Zukunftsstorys der Einhörner nimmt: Sie können darauf hinweisen, welche Chancen und Gefahren uns in Zukunft erwarten. Um diese zu verstehen, genügt es, einen Nachmittag durch die Visionen und Produkte der Start-ups zu surfen. Als farbenfrohe Botschafter der Zukunft geben sie den einen oder anderen Impuls für HR.

1. Erzählen Sie eine Geschichte

Die Gründer eines Einhorns haben begriffen, wie wichtig eine gute Story ist. Sie ist die Grundlage ihrer hohen Bewertungen, die weit über die realisierten Gewinne hinausgehen. Auch HR braucht eine Story, für die man die Abteilung bewundert und finanzielle Mittel bereitstellt. Wer aber eine gute Geschichte erzählen will, braucht Kenntnisse über die Gegenwart und eine Vorstellung, was sich schon bald zum Besseren wenden könnte.

2. Begreifen Sie Ihr Unternehmen als Narrativ

Das Unternehmen selbst sollte als Narrativ verstanden werden. Mitarbeiter sind in dieser Vorstellung dazu da, die Geschichte immer wieder zu hinterfragen und vor allem gemäß den Trends in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft weiterzuentwickeln. Das bedeutet, dass HR Karrieren, in denen Mitarbeiter sich in Themen vertiefen und profilieren können, mehr Bedeutung schenken sollte.

3. Nutzen Sie die Visionen der Einhörner

Durch ihre allen zugänglichen Zukunftspläne sind Einhörner ein kostenloses Hilfsmittel der strategischen Personalplanung. Beobachter erkennen, auf welche Technologien und Geschäftsmodelle ihre künftige Konkurrenz setzt. Davon lässt sich ableiten, welche Fähigkeiten und Denkmodelle wichtig sein werden. Zudem treten Einhörner in den Arbeitsmarkt ein und verstärken dadurch die digitale Transformation und damit auch den Wettbewerb aller Branchen um dieselben Spezialisten.

4. Schaffen Sie Raum für echte Gespräche

Einhörner verstehen sich als Plattform. Will auch HR eine Plattform sein, müssen sämtliche Anfänge von Prozessen digitalisiert werden. Viele Dienstleistungen von HR werden zu Services, welche die Mitarbeiter online rund um die Uhr selbstständig erledigen können – die Buchung von Weiterbildungen, die Abrechnung von Spesen, das Abrufen eines Arbeitszeugnisses. Durch die Digitalisierung entsteht für HR-Mitarbeiter mehr Raum für persönliche Kontakte und Transformationsaufgaben.

5. Nutzen Sie Ihre Daten für Zukunfts­prognosen

Plattformen führen zu mehr Daten. Viele Einhörner ernähren sich von ihnen. Sie nutzen diese, um datenbasiert die Zukunft zu erkennen, um Maßnahmen zu individualisieren und smart zu vernetzen. Auch HR hat viele Daten – über Stärken, Wissensnetzwerke, die Nutzung von Arbeitsräumen oder die Stimmung im Unternehmen. Smart zu vernetzen, heißt, die Mitarbeiter zur richtigen Zeit in den richtigen Projekten zusammenzuführen.

6. Werden Sie Gestalter

Viele etablierte Unternehmen möchten sich gerne etwas von der Innovationskraft der Einhörner abschauen. Das bedeutet, HR sollte die Arbeitsumgebung, Organisation, Führung und Kultur umgestalten. Die Eigenschaften und Fähigkeiten, die uns von den Maschinen unterscheiden, sollten dabei zur Geltung kommen: unsere Kreativität, unsere Gefühle, unser kritisches Denken. Unternehmen umzubauen, heißt, unbequeme Machtfragen zu stellen. Wer darf welche Entscheidungen treffen? Wer darf Projekte in der Geschäftsleitung präsentieren? Welche Manager sind wirklich digital kompetent?

7. Fördern Sie kritisches Denken

Kritisieren Sie die Versprechen der Einhörner: Anstatt die Visionen und ewig gleichen Beispiele aus dem Valley zu wiederholen, sollte HR das kritische Denken seiner Mitarbeiter fördern. Innovativ zu sein, bedeutet mehr als nur Digitalisierung. Um herauszufinden, was über die Digitalisierung hinaus eine Rolle spielt, karikieren Einhörner die Zukunft so sehr, dass Alternativen offensichtlich werden.

8. Arbeiten Sie mit anderen Unternehmen zusammen

Bereits heute stammen die zukunftsbestimmenden Mega­plattformen aus den USA und China. Hierzulande gibt es noch vergleichsweise wenig Einhörner. Um aufzuholen und radikale Innovation selbst hervorzubringen, könnten europäische Unternehmen stärker miteinander kooperieren. Eine unternehmensübergreifende HR kann dadurch geeignete Partner für Rekrutierung, Entwicklung und Laufbahnangebote finden.

9. Denken Sie jenseits der Digitalisierung

Schließlich denken die meisten Einhörner die Zukunft nur digital. Das ist gefährlich für die Einhörner, für die Gesellschaft, aber auch für jedes Unternehmen. HR sollte in der Personalentwicklung, -planung und -rekrutierung diesen Fehler nicht wiederholen. Insbesondere sollte den Megatrends im Schatten der Digitalisierung, der grünen Transformation und dem demografischen Wandel genug Beachtung geschenkt werden. Diese Trends werden umso wichtiger, je selbstverständlicher das Digitale wird.

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Joël Luc Cachelin, Wissenfabrik

Joël Luc Cachelin

Joël Luc Cachelin ist Gründer der Wissensfabrik, einem Thinktank, das Unternehmen in Zukunftsfragen berät. Der studierte Betriebswirt hat verschiedene Sachbücher zur digitalen Transformation veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm „Einhorn-Kapitalismus: Wie die mächtigsten Start-ups der Welt unsere Zukunft bestimmen“.

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