Personalrisiken in der digitalen Transformation

Analyse

Die digitale Transformation durchdringt mittlerweile nahezu alle Lebensbereiche. So stehen auch Unternehmen mehr und mehr vor der Herausforderung, die Digitalisierung nicht nur in einzelnen Bereichen umzusetzen, sondern das gesamte Unternehmen zu „digitalisieren“. Dafür bedarf es jedoch einer ganzheitlichen Sicht und die Einbindung aller Unternehmensbereiche, insbesondere des Personalmanagements (und bestenfalls eines Betriebs- oder Personalrats), denn die Change-Prozesse betreffen Veränderungen der Arbeitstätigkeiten und Arbeitsformen. Für das Personalmanagement sprechen Thorsten Petry und Wolfgang Jäger in ihrem Buch Digital HR aus dem Jahr 2021 von einer „doppelten Digitalisierungsherausforderung für HR“. Die Betroffenheit in zweifacher Form drückt sich zum einen dadurch aus, dass die technologischen Entwicklungen Einfluss auf die im Unternehmen tätigen Menschen haben. Dies zum Beispiel durch den Wegfall bestehender und die Schaffung neuer Stellen oder der Veränderung von Anforderungen an die Qualifikationen und Kompetenzen. Daraus ergeben sich entsprechende Risiken für das Personal, das diese Transformation „mitgehen“ muss. Diese Bedarfe, die den „Faktor Mensch“ betreffen, liegen im Verantwortungsbereich von HR. Dadurch ergebe sich laut Petry und Jäger jedoch auch explizit die Chance, sich als zentraler Gestalter der Transformation zu positionieren. Zum anderen steht HR außerdem vor der Aufgabe, die eigene Funktion neu auszurichten. Hierbei geht es um die Optimierung und Anpassung der sich unter den Einflüssen der Digitalisierung verändernden HR-Prozesse, Systeme, Stellen und Strukturen. Mithin um Risiken für das Personalmanagement selbst. Die Studie Personalstrategie und Transformation liefert Informationen zu diesen Personalrisiken, der digitalen Transformation generell sowie der Transformation im HR.

Stand der Transformation noch nicht sehr ­fortgeschritten

Im Rahmen des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekts „Transformation und Personalstrategie – Steuerung von Personalrisiken im Aufsichtsrat“ hat die Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart (DHBW) unter den Mitgliedern des Bundesverbands der Personalmanager*innen (BPM) eine Onlinebefragung zu ihrem Eindruck der digitalen Transformation durchgeführt. Die Untersuchung zeigt, dass die meisten Unternehmen bereits von der digitalen Transformation betroffen sind (88 %). Dieses Ergebnis deckt sich nicht nur mit vorangehenden Studienergebnissen, sondern auch mit dem Diskurs zum Thema in der breiteren Öffentlichkeit. Lediglich 12,5 Prozent der Personalmanagerinnen und -manager bezeichnen den Stand der Transformation in ihrem Unternehmen bisher als sehr fortgeschritten, während 22,5 Prozent davon berichten, noch am Anfang zu stehen. Hier spielen digitale Transformationsmaßnahmen im Personalmanagement bislang noch keine besondere Rolle. Die Mehrheit der Befragten (65 %) beschreibt den Stand als mittelmäßig. Bei der Umsetzung der Digitalisierung im HR der Unternehmen zeigte sich ein Schwerpunkt auf der Digitalisierung von administrativen Prozessen. Personalstrategische und -planerische Prozesse wurden nur selten thematisiert. Typische Beispiele für Themenschwerpunkte sind die Einführung „einer digitalen Personalakte“, das „Verwalten der wesentlichen HR-Themen digital (Urlaub, Abwesenheit, Zeiterfassung, Abrechnung)“ sowie das „papierlose Arbeiten“.

Mehr Prozessanpassung als Strategie

Insgesamt bestätigte sich das Ergebnis früherer Studien, zum Beispiel von Petry und Biemann aus dem Jahr 2022, dass die Umsetzung der digitalen Transformation zwar in den meisten Unternehmen bereits stattfindet, hierbei jedoch weniger auf strategische Zielsetzungen als vielmehr auf die Anpassung operativer Prozesse gesetzt wird. Dies haben wir in wesentlichen Aussagen zu den Problemen der digitalen Transformation aus Sicht der Teilnehmenden in der Abbildung zusammengefasst. Es zeigen sich dabei zwei große Problembereiche: fehlende Ressourcen und eine fehlerhafte Umsetzung.

Die fehlende strategische Perspektive verdeutlicht sich auch bei der Beantwortung der Frage, ob im Unternehmen eine Digitalisierungsstrategie schriftlich fixiert ist. Dies war lediglich in etwa 35 Prozent der Unternehmen der Fall. Noch gravierender wird der Eindruck bei der Frage nach einer auf HR ausgelegten Digitalisierungsstrategie: diese existiert nur in rund 15 Prozent der Unternehmen. Dabei scheinen größere Unternehmen etwas besser aufgestellt. Wir konnten außerdem weitere Zusammenhänge mit der Digitalisierungsstrategie feststellen: In Unternehmen mit schriftlich fixierter Digitalisierungsstrategie zeigten Personalmanagerinnen und -manager eine deutlich stärkere Betroffenheit von der digitalen Transformation und sie gaben häufiger an, dass die digitale Transformation zu erhöhten Risiken für das Personal führt. Außerdem werden in diesen Unternehmen Personalrisiken bereits besser identifiziert, gemessen, gesteuert und überwacht.

Eine mögliche Erklärung könnte an einer erhöhten Sensibilisierung liegen. So könnte gerade die Implementierung einer entsprechenden Strategie und eine Auseinandersetzung mit beziehungsweise Kommunikation über die Thematik mit einem geschärften Bewusstsein zu digitalen Transformationsprozessen einhergehen. Andererseits könnten auch gerade die Unternehmen bereits eine Digitalisierungsstrategie implementiert haben, die besonders von der Transformation betroffen sind.

Als Teil der Studie wurde auch die Relevanz einzelner Personalrisikoarten während der digitalen Transformation abgefragt. Dabei wurden die sieben meistdiskutierten Personalrisiken aus Theorie und Praxis berücksichtigt:

  • Engpassrisiko (das Fehlen von Leistungsträgern)
  • Anpassungsrisiko (falsch qualifizierte Mitarbeitende)
  • Motivationsrisiko (das Zurückhalten von Leistung, geringes Engagement, Überlastung, innerliche Kündigung)
  • Austrittsrisiko (Schlüsselpersonen verlassen das Unternehmen)
  • Führungsrisiko (Führungskräfte führen nicht adäquat auf die Situation oder die Personen oder das Leitbild abgestimmt)
  • HRM-Risiko (das Personalmanagement stellt selbst einen Risikofaktor dar)
  • Integritätsrisiken (betrifft Mitarbeitende, die nicht integer sind (z. B. Korruption))

Von den Personalmanagerinnen und -managern am häufigsten genannt wurde hierbei das Anpassungsrisiko (25,5 %), gefolgt von Risiken aus der Führung (23 %) und Motivationsrisiken (18,3 %). Während sich Anpassungs- und Motivationsrisiken auf die Beschäftigten konzentrieren, werden mit diesem Ergebnis explizit auch die Risiken durch Führungs­kräfte in den Vordergrund gestellt. Demnach sehen Personalmanagerinnen und -manager Personalrisiken im Hinblick auf Transformationsprozesse aus zwei wesentlichen Perspektiven: einerseits aus der Perspektive, dass Mitarbeitende nicht gut in die Transformationsprozesse eingebunden werden können oder wollen (zum Beispiel aus einer fehlenden Motivation der Mitarbeitenden, aber auch aus falschen Anpassungsprozessen). Andererseits vor dem Hintergrund der Gefahr, dass Führungskräfte nicht in der Lage sind, die Mitarbeitenden angemessen durch die Transformation zu führen.

Um auch die Perspektive anderer Unternehmensakteure einzuholen, haben wir außerdem in weiteren Onlinebefragungen Personen aus dem Risikomanagement und Arbeitnehmervertretungen im Aufsichtsrat nach ihrer Perspektive gefragt. Wie die Personalmanagerinnen und -manager nannten auch die Risikomanagerinnen und -manager Anpassungsrisiken (21,9 %) als das relevanteste Personalrisikofeld. Im Vergleich zum Personalmanagement zeigt sich jedoch, dass daneben vor allem das Integritätsrisiko eine zentrale Rolle spielte. So sieht das Risikomanagement neben einer adäquaten Anpassung der Mitarbeitenden durch die digitale Transformation ein erhöhtes Risiko in der Integrität der Beschäftigten, während Personalmanagerinnen und -manager befürchten, dass Führungskräfte nicht in der Lage sind, die Mitarbeitenden gut durch den Transformationsprozess zu führen.
Arbeitnehmervertretungen im Aufsichtsrat nannten vor allem Führungsrisiken (25,9 %), gefolgt von Anpassungs- und Motivationsrisiken (21,1 % beziehungsweise 19,5 %) als relevanteste Personalrisiken der Transformation und zeigten somit ebenfalls die zweiseitige Perspektive auf das Thema wie die Experten aus dem Personalmanagement. Es zeigt sich also, dass die Relevanz personalpolitischer Themen im Rahmen der Transformation auch außerhalb des HRM ähnlich gesehen wird.

Dieses Ergebnis unterstreicht einmal mehr die Tatsache, dass das Personalmanagement als relevanter Unternehmensakteur wahrgenommen wird (und werden sollte), sich die Wahrnehmung in Bezug auf Personalrisiken nicht wesentlich von denen anderer Akteure unterscheidet und HR-Belange gerade auch in strategische Entscheidungen miteinfließen müssen. Denn aus potenziellen Personalrisiken kann durch eine frühzeitige und wirksame Strategie auch eine Chance für das Unternehmen werden.

Anpassungs- und Motivationsrisiken im HR

Die meisten Unternehmen sind bereits von der digitalen Transformation betroffen und befinden sich in der Umsetzungsphase. Unsere Studie deutet aber auch auf klare Defizite hin. Zu nennen ist hier zunächst eine fehlende Digitalisierungsstrategie, auch für das Personalmanagement. Die Mehrheit befasst sich im Rahmen der digitalen Transformation eher mit der Digitalisierung administrativer HR-Prozesse und Schnittstellenmanagement statt mit Kompetenzentwicklung oder Mitarbeiterbindung. Die Befragten weisen dabei eindeutig darauf hin, was für eine erfolgreiche Umsetzung fehlt: personelle und finanzielle Ressourcen, eine einheitliche Digitalisierungsstrategie, die von allen Unternehmensakteuren befolgt wird und eine geordnete Umsetzung. Zudem sollte auch auf die Ausarbeitung einer HR-Digitalisierungsstrategie Wert gelegt werden, die auf die Digitalisierungsstrategie des Unternehmens abgestimmt ist. Dabei sollte das Personalmanagement vermehrt auf Anpassungs- und Motivationsrisiken als zentrale Personalrisiken der digitalen Transformation achten. Eine Abstimmung mit dem Risikomanagement ist sinnvoll, da diese Personalrisiken auch in anderen Bereichen Wirkung entfalten werden, wodurch ihre Relevanz nochmals erhöht wird. Bei dieser Abstimmung spielt es auch eine Rolle, dass die Frage der Quantifizierung der Personalrisiken adressiert wird, da Risiken immer quantifiziert verarbeitet werden, um zum Beispiel den Grad der Bestandsgefährdung des Unternehmens ableiten zu können.

Weitere Details zu der Studie gibt es hier: Vom Risiko zur erfolgreichen Digitalstrategie

Die Studie

Für die Studie Transformation und Personalstrategie wurden 102 Mitglieder des Bundesverbandes der Personalmanager*innen im Zeitraum von August bis Oktober 2023 online befragt. Außerdem fanden zwei Onlinebefragungen mit Arbeitnehmervertretungen im Aufsichtsrat (mit 329 beziehungsweise 359 Teilnehmenden) und eine Onlinebefragung von Personen aus dem Risikomanagement statt. Hieran beteiligten sich 136 Risikomanagerinnen und -manager.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Tech. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Thomas Berger

Thomas Berger ist promovierter Regionalökonom und Professor für Betriebswirtschaft im Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen an der DHBW Stuttgart. Er forscht unter anderem zu Risikomanagement, Projektmanagement und internationalem Vertrieb.

Julia Büchel

Julia Büchel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen an der DHBW Stuttgart.

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