Mit mathematischer Präzision voraussagen, wie sich Mitarbeiter entwickeln: Das verspricht People Analytics. In Deutschland wird der internationale Trend nur zurückhaltend angenommen. Das hat mit dem Datenschutz zu tun – aber auch mit Vorbehalten unter HR-Verantwortlichen.
Wie findet man heraus, ob ein Mitarbeiter energisch ans Werk geht oder vielleicht doch kurz vorm Burn-out steht? Indem man die Tastatur, an der er arbeitet, mit einer Sensorik ausstattet, die die Intensität seiner Tastenanschläge misst. Technisch ist das möglich. Auch Bewegungen des Bürostuhls sind bereits analysierbar. Die Stimme am Telefon ebenso.
All das würde, theoretisch, umfassende Psychogramme über einzelne Mitarbeiter ermöglichen. Es wäre der Traum eines Personalers ohne ethischen Schlagbaum, für jeden Mitarbeitervertreter hingegen ist das Geschilderte eine Dystopie. Und genau deshalb sollte hier gleich am Anfang festgehalten werden: Um eine Durchleuchtung von Mitarbeitern im Stile düsterster Science-Fiction-Fantasien geht es bei People Analytics nicht. Vielmehr kann diese in vielen HR-Abteilungen seit Neuestem diskutierte Innovation das unterstützen, was ohnehin Bestandteil jeder Personalarbeit sein sollte: zu entscheiden, welche Mitarbeiter wie am effizientesten im Unternehmen eingesetzt und gefördert werden können.
People Analytics ist noch ein sehr neuer HR-Trend. Prinzipiell geht es darum, Daten zu analysieren, die zum Beispiel in Personalakten, Bewerbungen oder auch Fragebögen stecken. Entwicklungen in Unternehmen, beispielsweise eine Kündigungswelle oder eine stockende interne Kommunikation, werden dann mit Persönlichkeitsmerkmalen von Mitarbeitern in Verbindung gebracht. Woraus wiederum Maßnahmen abgeleitet werden können, mit denen unerwünschte Unternehmenstrends abgestellt werden. People Analytics setzt dabei auf oft extrem große Datensätze und sehr komplexe mathematische Methoden, ist also erst mit hohen Rechner- und Speicherleistungen möglich geworden. People Analytics wird auch oft als Predictive Analytics bezeichnet, weil es um die Prognose von Entwicklungen geht.
Die hohe Form von Predictive Analytics ist eine Art HR-Glaskugel: Dabei wird zum Beispiel vorausgesagt, mit welcher Wahrscheinlichkeit einzelne Mitarbeiter kündigen werden. Im deutschsprachigen Raum, das vorweg, spielt das aber kaum eine Rolle.
People und Predictive Analytics sind dabei fast diffuse Begriffe, sogar Experten definieren sie völlig unterschiedlich. „Das Wissen zu People Analytics ist deshalb auch in deutschen Unternehmen noch sehr rudimentär“, sagt Stefanie Krügl. Sie berät Unternehmen zu People Analytics und befasst sich zudem als Business-Vorstand des „Innovationsnetzwerks“ openBIT seit mehreren Jahren intensiv mit dem Thema. Die Beraterin wurde 2014 auf das Thema aufmerksam, als Google ein People-Analytics-Projekt startete.
Unter anderem analysierte Google Tausende Mitarbeitergespräche mit einer Software und destillierte daraus acht Eigenschaften erfolgreicher Führungskräfte – datengestützt, ohne jedes HR-Bauchgefühl. „Mir wurde damals schnell klar, dass das ein tolles Instrument ist“, sagt Krügl, „aber auch ein heißes Eisen.“ Von Krügl stammen die eingangs beschriebenen Schreckensszenarien, sie weiß um die potenziellen Gefahren eines Missbrauchs von People Analytics. Krügl betont aber auch, dass die neue Methode sehr viel mehr Chancen als Risiken birgt.
Alte Methode, neue Präzision
Im Prinzip mache man mit People Analytics nichts anderes als das, was in der Sozialforschung schon hundert Jahre üblich ist, sagt Krügl. Mithilfe von Daten würde analysiert, wie Menschen beziehungsweise Mitarbeiter auf äußere Einflüsse reagierten. Nur könnten jetzt in einem Bruchteil der Zeit tausendfach mehr Daten ausgewertet werden. „Die meisten Unternehmen besitzen einen Datenschatz, der ihnen gar nicht bewusst ist“, sagt Krügl.
Stammdaten, Zeiterfassungen, Lebensläufe, Bewerbungsschreiben, Beurteilungen, Projektmanagement-Dokumentationen: Das seien nur einige der möglichen Quellen. Häufig soll mit People-Analytics-Projekten, die Krügl als Beraterin betreut, geklärt werden, wie Wissen im Unternehmen gehalten werden kann. In diesen Fällen analysiere sie, welche Mitarbeiter mit bestimmten Qualifikationen das Unternehmen wann verlassen und welche Nachwuchskräfte mit welchen Talenten dieses Wissen übernehmen könnten.
In der Folge könnten dann zum Beispiel passgenaue Tandems gebildet oder zielgerichtete Fortbildungen angeboten werden. Tandems sind dabei natürlich kein Alleinstellungsmerkmal von People Analytics – die mathematische Berechnung der Paarungen ist es sehr wohl.
Trotzdem wird People Analytics in Deutschland noch sehr zurückhaltend genutzt. „Wir sind da sehr weit hinten“, sagt Krügl. Das habe sehr viel mit dem restriktiven Datenschutzrecht zu tun. „In Deutschland geht meist nur das, was auf anonymisierten Daten beruht“ – ein großer Teil der international üblichen People-Analytics-Software könne daher in Deutschland gar nicht angewendet werden.
Derzeit arbeitet Krügl zusammen mit anderen People-Analytics-Experten, auch aus dem HR-Bereich, an einem Leitlinienprojekt. Münden soll das in einen Code of Conduct, der eindeutige Grenzen für den Einsatz von People Analytics festschreibt. Krügl und ihre Kollegen wollen damit auch Unsicherheiten in deutschen Unternehmen abbauen. „Viele haben nämlich noch Angst, dieses Instrument einzusetzen, weil sie nicht wissen, was möglich ist – und was eben nicht.“
Bessere Feedback-Kultur
Es verwundert also nicht, dass People Analytics in Deutschland eher von jungen Unternehmen genutzt wird, die per se offen sind für neue Trends. Zum Beispiel das Unternehmen Flixbus, seit 2013 am Markt. Matthias Hofmuth, verantwortlich für den HR-Bereich, erzählt: „Ich wollte versuchen, von Anfang an alles richtig zu machen.“ Als er bei Flixbus anfing, gab es dort 150 Mitarbeiter, heute sind es 1.000. „Ich habe sehr früh auf People Analytics gesetzt“, sagt Hofmuth, „weil ich nicht glaube, dass in einem dynamischen Unternehmen wie unserem Bauchentscheidungen nachhaltig sind“.
Als Datengrundlage nutzt das Bus-Unternehmen Fragebögen, die alle zwei bis drei Monate unter den Mitarbeitern verteilt werden. 25 Fragen stehen darauf, bei jedem zweiten Durchgang 15 weitere zu einem Schwerpunktthema. Fokussiert wird dabei auf das Verhalten von Führungskräften, sagt Hofmuth, und darauf, „was Mitarbeiter zufrieden macht“.
Die Auswertung der Daten findet sich dann in einem Tool im Flixbus-Intranet wieder. Hier können sich Führungskräfte einloggen und Daten zur Zufriedenheit ihres eigenen Teams mit dem Durchschnitt im gesamten Unternehmen vergleichen. „Daraus lässt sich für jeden ableiten, was gute Führungskräfte besser machen als andere“, sagt Hofmuth. „Das eigene Verhalten kann dann gegebenenfalls angepasst werden.“
Mit Hilfe des People-Analytics-Programms hat Flixbus inzwischen auch das Ausbildungsprogramm für Führungskräfte angepasst. Unter anderem geht es dort nun stärker um eine gute Feedback-Kultur, sagt Hofmuth. Diese sei nämlich, wie man jetzt wisse, ausschlaggebend für die Mitarbeiterzufriedenheit. Hofmuth betont, dass es bei den Analysen nicht um simple Korrelationen gehe, sondern um aufwendige mathematische Methoden, die falsche Schlussfolgerungen ausschlössen.
Was damit genau gemeint ist, erklärt Daniel Mühlbauer. Er verantwortet das Flixbus-Projekt und ist mit seinem Münchner Start-up functionHR auf People Analytics spezialisiert. Eine Korrelation, erklärt Mühlbauer, sei, „wenn Sie feststellen, dass die Kündigungswahrscheinlichkeit mit der relativen Lohnhöhe zusammenhängt“. People Analytics gehe aber sehr viel weiter. Indem beziffert werden könne, um wie viel Euro der Lohn steigen müsse, um die Kündigungswahrscheinlichkeit um einen bestimmten Prozentsatz zu senken. Oder indem andere Faktoren identifiziert werden, die ohne eine Lohnerhöhung die Kündigungsrate verringern – zum Beispiel mehr Familienfreundlichkeit. Das zu wissen, kann Unternehmen viel Geld sparen.
Mühlbauer kann mit Hilfe von Umfragen auch berechnen, wie die Stimmung in Teams verbessert werden kann. Das mag zunächst trivial klingen, sagt er. „Jeder HR-Verantwortliche kann wahrscheinlich aus dem Bauch heraus zehn Faktoren nennen, wie Teamfähigkeit verbessert werden kann. Aber niemand kann mit Sicherheit alle relevanten Faktoren benennen – und schon gar nicht kann er sie valide nach ihrer Wichtigkeit ranken.“
Zentral für die People-Analytics-Arbeit von functionHR ist, dass sämtliche Analysen mit einer eigens entwickelten Software für das gesamte Unternehmen verfügbar gemacht werden. „Statt 200-seitige Reports über die Mitarbeiterzufriedenheit zu erstellen, an der ein HR-Verantwortlicher zwei Wochen sitzt, kann man auf die Ergebnisse mit ein paar Klicks jederzeit zugreifen“, sagt Mühlbauer. Die Effizienzsteigerung für die HR-Arbeit sei kaum zu überschätzen.
Gegenwehr unter Personalern?
Dass Mühlbauer sich vorwiegend mit statistischen Verfahren beschäftigt und weniger mit Human Resources, ist kein Zufall. „Wir werden in Zukunft im HR-Bereich sehr viel mehr Bedarf an Datenanalysten und statistisch geschulten Menschen haben“, sagt Ingo Weller, der Lehrstuhlinhaber am Institut für Personalwirtschaft der Universität München ist und seit Jahren zu People Analytics forscht.
Auch er sieht Deutschland weit hinten, wenn es um People Analytics als HR-Instrument geht. „Der Glaube daran, dass man über statistisch sauber gesteuerte Analysen zu besseren Entscheidungen kommt, ist international weiter verbreitet“, sagt er. Das liege auch an einer „Selbstselektion“ im deutschsprachigen HR-Bereich. „Das Klischee, dass das Fach vorwiegend Leute anzieht, die lieber mit Menschen als mit Zahlen arbeiten, ist nicht ganz unbegründet.“ Wellers Befürchtung: „People Analytics muss in Unternehmen oft von denen durchgesetzt werden, die sich dazu nicht berufen fühlen.“
Weller geht deshalb davon aus, dass es noch eine Weile dauern werde, bis die Methode zum HR-Standard im deutschsprachigen Raum wird. „Aufhalten lässt sich der Trend aber sicher nicht, es geht schließlich um die generelle Konkurrenzfähigkeit.“ Wahrscheinlich sei auch, dass einige HR-Fachleute durch automatisierte People-Analytics-Verfahren ersetzt werden könnten. „Das bedeutet sicher keine vollständige Substituierung“, sagt Weller. „Aber eine gewisse Verschiebung. Datengetriebenes HR wird an Bedeutung gewinnen, und das wird sich dann auch im Berufsbild widerspiegeln.“