Ablauf und Ausgang von Betriebsratswahlen bilden immer wieder den Gegenstand von Streitigkeiten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun – rechtzeitig zu den Betriebsratswahlen im Frühjahr 2018 – eine generelle Frage geklärt und entschieden, dass das angewandte Verfahren zur Sitzverteilung (das sogenannte d’Hondtsche Höchstzahlverfahren) verfassungsgemäß ist.
Der Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Betriebsratswahl. Streitig ist, ob das angewandte Verfahren zur Verteilung der Sitze, das sogenannte d’Hondtsche Höchstzahlverfahren gemäß §15 Abs.1 und 2 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (WO BetrVG), im Einklang mit der Verfassung steht. Das Verfahren soll ermöglichen, eine Sitzverteilung zu ermitteln, wobei naturgemäß keine Teilsitze vergeben werden können. Deshalb wird nicht allein auf das prozentuale Wahlergebnis abgestellt. Anders als etwa bei einer Bundestagswahl soll auch das Gremium – dessen Kosten ja der Arbeitgeber tragen muss – nur die vorab im Betriebsverfassungsgesetz definierte Größe haben.
Das Verfahren funktioniert so, dass man die Zahl der erhaltenen Stimmen einer Wahlliste nacheinander durch eine aufsteigende Folge natürlicher Zahlen (1, 2, 3, 4 etc.) teilt und das Ergebnis in eine weitere Tabellenzeile zu dieser Wahlliste einträgt. Alle sich hieraus ergebenden sogenannten Höchstzahlen werden der Größe nach absteigend sortiert und die verfügbaren Betriebsratssitze entsprechend der Reihenfolge der Höchstzahlen den jeweiligen Wahllisten zugeordnet, bis alle Plätze verteilt sind.
Nach Durchführung der Betriebsratswahl im Mai 2014 sollte die Sitzverteilung für den 17-köpfigen Betriebsrat nach dem d’Hondt-Verfahren wie folgt stattfinden:
Division durch:
Liste V
Liste D
Liste H
1
(entspricht der Stimmabgabe)
557 (1)
306 (2)
279 (3)
2
278,5 (4)
153 (6)
139,5 (7)
3
185,7 (5)
102 (10)
93 (11)
4
139,3 (8)
76,5 (14)
69,8 (15)
5
111,4 (9)
61,2
55,8
6
92,8 (12)
51
46,5
7
79,6 (13)
43,7
39,9
8
69,6 (16)
38,3
34,9
9
61,9 (17)
34
31
Summe
9 Sitze
4 Sitze
4 Sitze
Drei Arbeitnehmer haben die Betriebsratswahl beim Arbeitsgericht Magdeburg angefochten und argumentiert, Höchstzahlverfahren verletze wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG und sei nicht mit Art.3 Abs.1 GG vereinbar, da es kleinere Gruppierungen benachteilige. Der Erfolgswert der jeweiligen Wählerstimme weiche zu stark vom Stimmwert ab. Dies verletze den Grundsatz der Wahlgleichheit, insbesondere der Spiegelbildlichkeit zwischen abgegebenen Stimmen und Verteilung der Sitze. Eine Verteilung der Sitze nach den auf Bundesebene früher beziehungsweise aktuell angewandten Verfahren Hare/Niemeyer oder Sainte-Laguë/Schepers hätten den Grundsatz der Wahlgleichheit besser gewahrt. Hierbei hätte die Liste D einen Sitz mehr und die Liste V einen Sitz weniger erhalten.
Das Arbeitsgericht Magdeburg hatte den Antrag mit der Begründung, die Verfassungsmäßigkeit des §15 WO BetrVG sei im Anfechtungsverfahren nicht zu prüfen, zurückgewiesen. Auch das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt hatte die darauf folgende Beschwerde zurückgewiesen. Es bejahte zwar die grundsätzliche Überprüfbarkeit der Norm, lehnte aber einen Verstoß gegen §19 Abs.1 BetrVG ab.
Das Wahlverfahren nach d’Hondt verletze nicht den Gleichheitsgrundsatz aus Art.3 Abs.1 GG. Auch wenn das Verfahren nach d’Hondt zu einer stärkeren Benachteiligung von Gruppen mit einem geringen Stimmenanteil bei der Sitzverteilung führt, so seien die Auswirkungen nicht derart gravierend, dass die Auswahl dieses Auszählungsverfahrens per se mit Art.3 Abs.1 GG unvereinbar sei. Der Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit, dass jede Stimme denselben Erfolgswert hat, könne durch einen legitimen Zweck eingeschränkt werden. Dies gelte insbesondere bei nicht politischen Gremien wie dem Betriebsrat. Dessen Struktur sei gerade nicht darauf ausgelegt, die Belegschaft „streng“ nach inhaltlich orientierten Gruppen spiegelbildlich zu repräsentieren. Es ginge vielmehr darum, dass sich die Belegschaft entsprechend der im Betrieb bestehenden Organisationsstrukturen „wiederfinde“. Der Verordnungsgeber habe daher einen gewissen Gestaltungsspielraum und sei im Hinblick auf § 15 Abs. 2 WahlO nicht gehalten gewesen, das Verfahren zur Ermittlung der Sitzverteilung nach Hare/Niemeyer oder Sainte-Laguë/Schepers vorzuschreiben.
Die Entscheidung
Der Antrag der Arbeitnehmer hatte auch beim BAG keinen Erfolg.
Nach Auffassung des BAG (Urt. v. 22. Nov. 2017 – 7 ABR 35/16) ist die in §15 Abs. 1 und 2 WO BetrVG vorgesehene Sitzverteilung nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren verfassungsgemäß. Eine vollständige Gleichheit des Erfolgswertes einer Wählerstimme lasse sich bei der Umrechnung von Wählerstimmen in Betriebsratssitze mit keinem der gängigen Sitzzuteilungsverfahren erreichen, da nur ganze Sitze verteilt werden könnten. Daher falle die Entscheidung, wie die Sitzverteilung vorzunehmen sei, in den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers. Das d’Hondtsche Höchstzahlverfahren fördere zudem ein unter Berücksichtigung der Funktion der betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmervertretung anzuerkennendes Ziel, nämlich die Mehrheitssicherung.
Hinweise für die Praxis
Das Urteil des BAG bedeutet Klarstellung gerade rechtzeitig vor den nächsten Betriebsratswahlen im Frühjahr 2018: Bei der der Wahl von Arbeitnehmergremien (zum Beispiel Betriebsrat) – und wohl auch von Arbeitnehmervertretern für Gremien (zum Beispiel Aufsichtsrat, vgl. §40 1.WO MitbestG) – darf das d’Hondtsche Höchstzahlverfahren für die Sitzverteilung weiterhin genutzt werden.
Arbeitgeber brauchen nicht befürchten, dass die Wahl im Hinblick auf das angewandte Sitzverteilungsverfahren erfolgreich angefochten werden kann.