Massenentlassungsschutz gilt auch in Elternzeit

Arbeitsrecht

Massenentlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen bedürfen nach § 17 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) zu ihrer Wirksamkeit einer vorherigen ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats und einer vorherigen ordnungsgemäßen Anzeige an die Agentur für Arbeit. Unterlässt der Arbeitgeber die vorstehenden Konsultationspflichten oder erfüllt er sie nur unzureichend, sind sämtliche Kündigungen, die innerhalb dieses Zeitraums ausgesprochen werden, unwirksam. Wird die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die sich in Elternzeit befindet, nur deshalb nach Ablauf des 30-Tage-Zeitraums ausgesprochen, weil die behördliche Zustimmung zum Ausspruch der Kündigung erst zu diesem Zeitpunkt vorliegt, ist auch diese Kündigung bei Verstoß gegen 17 KSchG unwirksam.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 8. Juni 2016 (1 BvR 3634/13) die vorherige Entscheidung aufhob, entscheid nunmehr auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 26. Januar 2017 (6 AZR 442/16), dass die gegenüber einer Arbeitnehmerin erklärte Kündigung unwirksam ist. Die Klägerin war bei einer griechischen Fluggesellschaft angestellt. Diese hatte Ende 2009 sämtliche Tätigkeiten in Deutschland eingestellt und allen Arbeitnehmern gekündigt. Die Kündigungen erwiesen sich im Nachhinein jedoch wegen Fehler bei der Massenentlassungsanzeige als unwirksam. Die Klägerin befand sich zum Zeitpunkt der Entlassungen noch in Elternzeit und wurde deshalb nicht im zeitlichen Zusammenhang mit den anderen Arbeitnehmern gekündigt, sondern gesondert zu einem späteren Zeitpunkt, ohne dass der Arbeitgeber hierzu noch eine neue Massenentlassungsanzeige einreichte.

Das BVerfG sah darin einen Verstoß gegen Art. 3 GG. Die Klägerin werde unzulässig wegen der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit und wegen ihres Geschlechts benachteiligt, wenn ihr der Schutz vor Massenentlassungen versagt werde, weil allein das Abwarten der wegen der Elternzeit notwendigen behördlichen Zustimmung zur Kündigung dazu geführt habe, dass die Kündigung erst nach Ablauf des 30-Tage-Zeitraums erklärt wurde. Dem schloss sich das BAG nun notgedrungen an.

Bereits der Pressemitteilung lässt sich entnehmen, dass auch die Erfurter Richter infolge dieser Entscheidung erhebliche rechtliche Unsicherheiten und praktische Folgeprobleme bei der Umsetzung von Massenentlassungen auf Arbeitgeber zukommen sehen. Insbesondere ist nicht klar welche Konsequenzen gelten, wenn die behördliche Zustimmung erst außerhalb der 90-tägigen Freifrist des § 18 Abs.4 KSchG erteilt wird. Zählt die Kündigung auch in diesem Fall zur ersten „Kündigungswelle“ oder ist in diesem Fall aufgrund der Verweisung in § 18 Abs.4 KSchG von einem neuen Zeitraum auszugehen, mit der Folge, dass die Kündigung von möglichen Mängeln der vorherigen Massenentlassungsanzeige nicht mehr betroffen ist?

Offen sind auch die Folgen, wenn bei einer Arbeitnehmerin in Elternzeit die Kündigung als solche zugleich Teil einer zweiten, § 17 KSchG unterfallenden Welle von Kündigungen ist. Dies zeigt, dass beim Stellen von Massenentlassungsanzeigen höchste Vorsicht geboten ist um die vorstehenden Probleme zu vermeiden.

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Jens Ginal, Foto: Privat

Jens Ginal

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kanzlei Weitnauer
Jens Ginal ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Weitnauer in Berlin.

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