Organisationen sind per Definition auf Dauer angelegt und dienen einem (Unternehmens-)zweck. Change Management bedeutet immer den Eingriff in dieses lebendige, hoch-vernetztes soziales Gefüge mit eingespielten Routinen. Die Energie der zu verändernden Organisation ist dabei sehr oft auf die Aufrechterhaltung dieser „bewährten“ Routineprozesse gerichtet. Denn diese Routinen stellen Sicherheit, Orientierung und Berechenbarkeit sicher – damit die Organisation funktioniert. Wer also hier etwas verändern will, tut gut daran, die grundlegenden Prinzipien jeder Organisation im Blick zu haben.
Struktur kommt vor Psyche
Der Startpunkt jeder wirksamen Transformation sollte bei Prozessen und Strukturen liegen, in denen das Unternehmen heute organisiert ist. Was soll verändert werden, was kann so bleiben?
Struktur kommt vor Psyche, lautet einer der Grundsätze erfolgreicher Transformation, die die konkrete Arbeitsumgebung und nicht die psychische Disposition der Menschen in der Organisation in den Vordergrund stellt. Denn vergessen wir nicht: Die Menschen sind auf der Arbeit, das heißt, sie verbinden mit der Tätigkeit in einer Organisation auch immer den Zweck des Broterwerbes. In Ihrem Team sind sie meist mit Menschen zusammen, die sie sich nicht ausgesucht haben, sondern Führungskräfte und Personalreferenten haben diese Gruppe nach vornehmlich fachlichen Gründen zusammengestellt. Deshalb sind es ja auch Kollegen und nicht meine Freunde, mit denen ich einen Teamentwicklungsworkshop mache!
Wer erfolgreich den Wandel managen will, geht deshalb weg vom Psyche-Fokus hin zu einem systemischen Verständnis von Führung. Hier geht der Blick auf den Kontext, die Organisation und die Struktur. Denn Mitarbeiter eines Unternehmens, die klug und nicht naiv sind, richten ihr Verhalten natürlich an den Richtlinien und Gepflogenheiten in diesem Unternehmen aus; seien sie nun formell oder nur informell bekannt. Sie erkundigen sich, wie die Usancen sind, wen man besser nicht fragt und wo man die Berechtigungen für die Team-Laufwerke erhält.
Typische Beispiele formeller Art sind Rollenmodelle, Kompetenzregelungen, Prozessbeschreibungen, Organisationshandbücher, Organigramme, aber auch Grundsätze der Zusammenarbeit und Führung oder Unternehmenswerte. Diese Strukturen im Unternehmen sind es, die den Rahmen bilden, in dem die Veränderung stattfindet. Daher muss wirksames Change Management diese Strukturen ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen.
Change Management ist ein Verhandlungsprozess
Das zweite Prinzip nimmt die Form und Art der Zusammenarbeit im Unternehmen in den Fokus. Denn jede Veränderung stellt die klassischen Fragen der Zusammenarbeit in Gruppen wieder neu:
- Wie komme ich an die nötigen Informationen, um meine Rolle erfolgreich auszufüllen?
- Wer darf hier was?
- Wen kann ich fragen, wen muss ich einbinden?
- Wie wird hier entschieden?
- Auf was muss ich hier besonders aufpassen?
Change Management bedeutet, dass unterschiedliche Erwartungen und Interessen neu justiert werden: Bereits bestehende Spielregeln der Kooperation müssen im Zuge einer Veränderung neu verhandelt werden. Es werden Aufgaben, Befugnisse und Verantwortung neu geklärt, die aktuellen Rollen müssen neu ausgehandelt werden.
Verhaltensänderung ist eine individuelle Entscheidung
Das dritte Prinzip wendet sich dem Arbeitsverhalten von Individuen in der Organisation zu. Der Blick auf typische Veränderungen zeigt es: Immer wenn es um Veränderung geht, geht es für die Individuen in der Organisation letztlich um eine Verhaltensänderung. Denn Veränderung ist meist nicht nur technischer Natur, sondern hat fast immer Auswirkungen auf die Menschen der Organisation. Sie möchten, wollen, dürfen und sollen ihr Arbeitsverhalten anpassen: schneller oder langsamer werden, bisher selbst ausgeführte Tätigkeiten an die IT oder eine Maschine übergeben oder selbst statt fremdbestimmt agieren…
Diese Veränderung ist nicht trivial, denn nach meiner Beobachtung sind Erwachsene meistens stabile und reife Persönlichkeiten, die sich nicht gern von einer Organisation beziehungsweise ihren Führungskräften „verändern lassen“. Sie ziehen es eher vor, „das Neue“ aus eigenem Antrieb oder Neugier auszuprobieren. Daher ist der Umgang mit Emotionen so zentral für ein wirksames Change Management, weshalb diesem Thema auch viele Artikel und Bücher gewidmet werden.
Wer bildet die Koalition der Willigen?
Und das vierte Prinzip bildet die zentrale Frage nach dem Wer:
- Wer hat die Idee der Veränderung und macht sie bekannt?
- Wer engagiert sich in der Transformation und bringt die Veränderung in die Organisation?
- Wer ist anzusprechen und einzuladen, damit die Transformation gelingen kann?
In der Literatur hat sich für diese Gruppe der Personen der Begriff der „Koalition der Willigen“ etabliert. Es sind die Personen, die aus eigenem Antrieb oder Neugier „das Neue“ bewegen möchten. Diese Gruppe, die sich aus Persönlichkeiten ungeachtet der Hierarchie und der formalen Qualifikationen bildet, ist der notwendige Kern des Change-Prozesses.
4 Erfolgsfaktoren wirksamer Transformation
Wie für jedes Spiel Spielregeln existieren, so gibt es für wirksame Veränderungsprozesse grundlegende Erfolgsfaktoren. Daher lege ich Ihnen diese Basics sehr ans Herz und empfehle Ihnen, sich von Zeit zu Zeit zu vergewissern, ob Ihr Veränderungsprozess noch diesen Faktoren folgt.
- Veränderung geschieht immer nur am Rande des Chaos, nie mittendrin. Change Management gefährdet nie den Bestand der Organisation. Ganz im Gegenteil: die Veränderung soll ja gerade die Leistungsfähigkeit einer Unternehmung sichern oder erhöhen. Natürlich beginnt mancher Veränderungsprozess mit Überraschung, Krise, Katastrophe oder „Disruption“. Diese „chaotischen“ Phänomene sind Anlass oder Treiber einer Veränderung, aber nie ein Charakteristikum für den Veränderungsprozess selbst. Professionelle Transformation bringt das Unternehmensschiff auf Kurs und sicher durch den Sturm der Veränderung und nicht auf das Riff!
- Jede Struktur (Organigramme, Meetings, Dienstwagenregelung) kann thematisiert und bearbeitet werden, dass es ohne Strukturen im Unternehmen nicht geht, muss aber klar sein. Wer Strukturen und Prozesse verändert, muss manchmal Mauern einreißen und tiefe Löcher bohren. Aber nie wird man das gesamte Haus sprengen und den Rest sich selbst überlassen. Strukturen, Prozesse und dahinterliegende Verabredungen sind sinnvoll, wenn Menschen in Organisationen zusammen etwas erreichen wollen. Wie diese Strukturen, Prozesse und Regeln aussehen sollen, muss bearbeitet werden. Dass es welche gibt, ist nicht diskutierbar.
- Im Veränderungsprozess kommt es auf Unterschiede und Widerstände an. Wie sollte sonst der Wandel auch deutlich werden? Eine Organisation ist auf die Stabilisierung der „bewährten“ Routineprozesse gerichtet. Denn diese Routinen stellen Sicherheit, Orientierung und Berechenbarkeit her. Wenn Sie also Routinen hinterfragen, verändern oder gar abschaffen, sind Widerstände zu erwarten! Das Auftreten von Widerstand und anderen Emotionen ist aber ein natürlicher Vorgang in Veränderungsprozessen. Sie sollten sich eher Gedanken machen, falls Widerstand ausbleibt.
- Interessen sollen geäußert und gehört werden, aber die eigene Perspektive ist nicht unantastbar. Für einen erfolgreichen Veränderungsprozess ist es notwendig, dass alle Beteiligten und Betroffenen ihre Interessen äußern. Ein professionelles Change Management stellt sicher, dass dafür ausreichend Zeit und Raum zur Verfügung stehen. Die Tatsache, dass jede und jeder zu Wort kommt, führt aber nicht dazu, dass die Interessen auch vollständige Berücksichtigung finden. Denn wenn sich eine Unternehmung auf den Weg der Veränderung macht, ist Wechsel gefragt. Da kann die eigene Perspektive nicht unantastbar bleiben.
Das Buch zum Thema:
Olaf Hinz:
Change Maker – Wirksame Veränderungen unter maximaler Unsicherheit.
Vahlen, 144 Seiten
ISBN-10 :3800662396