Die Karrieresterne stehen günstig für die Generation der Millennials. Doch wo sie mit Macht in die Führung drängen, treffen sie auf ältere Mitmenschen, die ganz anders ticken.
In Deutschland geht aktuell und in den nächsten Jahren eine Ära zu Ende. Die erste Nachkriegsgeneration, die Babyboomer, verlässt die Schiffsbrücken der Unternehmen und macht Platz für die dort bereits etablierte Gen X und die mit Macht in Führung und Management strebenden Millennials, die Gen Y. Diese Verjüngung der Unternehmensspitzen ist zugleich ein fundamentaler Umbruch in Haltung, Kultur, Anspruchsdenken und Verhalten der Führungskräfte.
Merkmale und Konfliktpotenzial
Der Begriff der Babyboomer verdankt sich den geburtenstarken Jahrgängen nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich in Deutschland um 1955 entwickelt haben und bis Ende der sechziger Jahre datiert werden. Ab dem Jahr 1964 fielen die Geburtenraten angesichts des Pillenknicks langsam wieder ab, während das gesellschaftliche Aufbauklima der Wirtschaftswunderjahre noch bis zu Beginn der Siebzigerjahre anhielt. Die Ära der Gen X beinhaltet die Geburtsjahre von Mitte bis Ende der Sechziger bis 1980. Von dort an bis zur Jahrtausendwende erblickten die Angehörigen der Gen Y, die Millennials, das Licht der Welt.
Mit ihnen entstand ein spürbarer Riss zwischen den Generationen. In den USA etablierte sich die Betitelung Generation ME. Dabei steht das ME zugleich für Millennium und das englische Wort für mich. Entsprechend klingen die Vorurteile: die Millennials seien eigensinnig, idealistisch, verwöhnt und willensschwach. Sie hätten nur ihren Vorteil und ein schönes Leben im Kopf. Auf der Seite der Jüngeren hingegen ist seit einiger Zeit die Phrase „Okay Boomer!“ in aller Munde. Sie etablierte sich im Jahr 2019 als Meme auf die Vorurteile, mit denen Millennials durch die ältere Generation konfrontiert werden. Diese unterstellt ihnen eine Haltung à la: „Erzähl doch, was du willst, Babyboomer. Du bist ein konservativer Dinosaurier, den ich nicht ernst nehmen muss, weil er bald schon Geschichte sein wird.“
Andere Erziehung, andere Haltung
Die Ursache dieser verhärteten Fronten liegt in den verschiedenen Sozialisationen der Gruppen: Während die Babyboomer und die Gen X von Eltern mit Weltkriegserfahrungen erzogen wurden, sind diese in den Familien der Millennials kaum noch aus erster Hand präsent. Als der kalte Krieg endete, ging die Gen Y noch in den Kindergarten, in die Grundschule oder war noch nicht geboren.
Für die Millennials ist angstfreier Wohlstand eine Selbstverständlichkeit und keine Sache des Kampfes mehr. Ihr Fokus verschiebt sich vom Erhalt des existenziellen Status quo auf gefühlt größere Dinge: Klimawandel, Genderfragen und alternative Lebenskonzepte, in denen Abwechslungsreichtum, Abenteuer und Veränderungsfreude das Sagen haben. Man lebt ein freies Mindset, das sich unverfroren und furchtlos von der vorherigen Ära emanzipiert und Konflikte erzeugt. Die Gen Y geht fordernd nach vorn, ohne sich den Mund verbieten zu lassen und erst einmal kleine Brötchen zu backen.
Immense Chancen und Risiken
Dem auf Stabilität orientierten und konservativ-reflektierten Mindset der ersten Nachkriegsgenerationen und dem umstürzlerischen, risikobereiten Denken der Gen Y wohnt ein immenses gegenseitiges Befruchtungspotenzial inne.
Wenn man die beiden älteren Kohorten wegen ihres ähnlichen Lebenshorizonts und Wertesystems zusammenfasst und den Millennials gegenüberstellt, ist der gemeinsam angestrebte Status Generativität, also die Fähigkeit zur Sorge um eine andere Generation: Beide Gruppen überwinden ihre Vorurteile und Widerstände und verstehen die je andere aus deren speziellem Wert für das übergeordnete Ganze heraus. Die größere Erfahrung und das bedächtige Risikomanagement der Älteren gehen einen offenen Dialog mit der Flexibilität und dem Wagemut der Jüngeren ein. Die beiden Wertesysteme konkurrieren nicht, sondern kooperieren miteinander.
Auf den Kopf gestellte Verhältnisse
Wichtig dafür ist es, die formellen und informellen Rollen entlang der Demarkationslinien zu verteilen. Ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlen sich in Positionen wohl, in denen sie ihren Wissensschatz führend oder mitwirkend einbringen können. Die jüngeren aus dem Kollegenkreis schätzen Gedanken- und Handlungsfreiheit. Ihre Vorschläge vorschnell als Hirngespinste abzutun, ist ebenso falsch, wie die Argumente der Älteren als reaktionär zu diskreditieren.
In Unternehmensleitung und Personalführung gilt es, den Wert beider Elemente unablässig zu betonen und die im Schulterschluss erzielten Erfolge ausgiebig zu feiern. Wenn der Führungsanteil der Millennials wegen ihrer Dynamik, Modernität und technischen Affinität zunimmt, sollten die auf den Kopf gestellten Verhältnisse ein offenes Thema sein. Die Boomer und Gen X sind gewohnt, nach einem Leitungswechsel auf einen vertrauten Charakter mit Identifikationspotenzial zu treffen. Das ändert sich nun, und häufig stellt sich das Gefühl ein, dass den Jüngeren die höheren Weihen nicht zustehen.
Prinzipien des Reverse Coachings
- Die Beteiligten müssen freiwillig mitmachen und offen dafür sein.
- Coach und Coachee müssen eine Grundsympathie füreinander haben.
- Gegenseitiges Vertrauen und Respekt sind gewährleistet. Verschwiegenheit ist selbstredend und Grundvoraussetzung.
- Die hierarchische Position sollte verschieden sein, was zusätzlich neue Perspektiven ermöglicht.
- Weder sollte untereinander Konkurrenz bestehen noch ein Machtverhältnis, in dem einer den anderen dominieren kann.
- Eine Art Meta-Coach oder -Coachin sollte existieren, um Fragen zu klären und bei der Lösung von möglichen Konflikten zu helfen.
- Idealerweise wird Reverse Coaching von der Personalabteilung initiiert. Damit hat es auch einen offiziellen Rahmen und wird professionell von Anfang bis Ende begleitet.
- Die Personalabteilung kann darüber hinaus dabei behilflich sein, die passenden Coachees zusammenzubringen und Interessierte dafür vorzuschlagen.
- Wenn die Personalabteilung sogar damit vorlegt und zeigt, wie es funktionieren kann, dann werden hierbei mögliche Barrieren durchbrochen.
Wie tragen junge Führungskräfte bei?
Für die jungen Führungskräfte gilt es deshalb, den Okay-Boomer-Eindruck gar nicht erst aufkommen zu lassen. Was sie sagen, begründen sie inhaltlich und nur in seltenen Ausnahmen hierarchisch. Das Gefühl, von einem Grünschnabel untergebuttert zu werden, wird vermieden. Höflichkeit, Diskretion, Wertschätzung und dienendes Führen sind die Säulen dieser Zusammenarbeit, die keinen Knacks bekommen dürfen. Entscheidungen gegen traditionelle Vorgehensweisen und für disruptive Veränderungen sollten die konservativen Gegenargumente wertschätzend reflektieren.
Jegliches Protzen mit den Insignien der Macht verbietet sich, um das Klima nicht zu vergiften. Wer als junger Mensch führt, muss zugleich die Haltung gleichaltriger Mitarbeiter gegenüber der Vorgängergeneration im Auge behalten. Vielen Gipfelstürmern der Gen Y fehlt noch das Bewusstsein für den Wert von Erfahrung, die als Fessel wahrgenommen und fälschlicherweise verbal abgewertet wird.
Was das Unternehmen tun kann
Selbstreflektiertes Verhalten, gepaart mit der nötigen Empathie, ist nicht jedem Menschen in die Wiege gelegt und kann durch Coaching sowie Training in verbaler und nonverbaler Kommunikation unterstützt werden. Es ist wichtig, jungen FührendenRaum für einen coachiven Führungsstil zu geben, in dem übliche Kontroll- und Administrationsaufgaben auf den Prüfstand gestellt, eliminiert oder wegdelegiert werden. Millennials sind diese Instrumente ohnehin ein Dorn im Auge, während ältere Kollegen daraus Sicherheit und Orientierung beziehen. Insofern muss Zeit und Gelegenheit sein, kontrollfixierte Führung behutsam durch vertrauensbasierte zu ersetzen.
Bei beiderseits gutem Willen hat sich als wirkungsvolles Hilfsmittel das sogenannte Reverse Coaching etabliert. Während den Millennials das Mindset der Älteren aus Kindheit und Jugend vertraut ist, ist dies umgekehrt weniger der Fall. Wenn sich Kinder nach und nach von ihrer Familie emanzipieren, begeben sie sich in eine den Eltern oft schwer verständliche Welt. Dies ist im Unternehmen vergleichbar.
Im Reverse Coaching geben die Jüngeren ihr spezifisches Wissen an die Älteren weiter. Zeitgleich laden sie diese in ihre Welt ein, in der Erfolgshunger und Leistungswille keineswegs geringer sind als unter den alteingesessenen Kollegen. Der Prozess selbst funktioniert auch umgekehrt, weil die Jüngeren der Erfahrung, dem Denken und dem Wertesystem ihrer Coachees in einem Klima des Vertrauens und der Verschwiegenheit begegnen. Mit den geschilderten Maßnahmen und dem Instrument des Jünger coacht Älter wird die fruchtbare Zusammenarbeit der Generationen zur Realität.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Vernetzung. Das Heft können Sie hier bestellen.