Stellen Sie sich vor, bei einem Fußballspiel müsste vor jeder größeren Entscheidung, wenn also zum Beispiel ein Tor geschossen werden soll, zunächst eine Genehmigung „von oben“, also beim Trainer eingeholt werden. Wieviel Spaß hätten die Spieler dann noch an diesem Spiel? Und wieviel Spaß würde das Ganze den Zuschauern machen?
Die fachlichen Kompetenzen liegen heute vor allem bei den Spezialisten im Team. Wer die Tore schießt, sollte auch die dazu notwendigen Entscheidungen treffen. Doch Chefs alter Prägung sehen sich noch immer gern als Alleinentscheider. Das ist, als ob der Trainer die Elfmeter schießen müsste. So sind Fehlleistungen vorprogrammiert.
Beispiel 1: Entscheidungsprozess in einem tradierten Unternehmen
Je weiter eine Entscheidung „nach oben“ verlagert wird, desto eher sitzen dort Leute, die, pardon, kaum eine Ahnung von den Details einer Materie haben – weil das auch nicht ihre Aufgabe ist. Und trotzdem: Zum Beispiel legt im Geschäftsleitungsmeeting der „Head of Legal“ eine juristische Sache zur Entscheidung vor. Doch den anwesenden Leitern Einkauf, Produktion, Marketing, Vertrieb und Digitales fehlt jeglicher juristische Sachverstand.
Zur Absicherung wird also ein Gutachten verlangt oder zwecks Evaluierung noch diese und jene Ergänzung gefordert. Das macht Entscheidungsprozesse langwierig und teuer. Oder aber, genauso schlimm: In Hinterzimmern werden nach dem Motto „Helf ich dir, dann hilfst du mir“ Zweckbündnisse geschmiedet, die eigene Interessen verfolgen, aber nicht der Sache dienen.
Dabei gäbe es eine Person im Unternehmen, die alle notwendigen Detailkenntnisse hätte, um zu einer fundierten Entscheidung zu kommen. Doch sie zählt zu den „unteren Chargen“ und ist deshalb im Meeting der Top-Entscheider nicht erwünscht. Der weniger detailkompetente Abteilungsleiter hat den Fall vorzutragen. Leute, mal ehrlich, sowas ist eine Farce.
Beispiel 2: Opportunitätskosten in klassischen Entscheidungsprozessen
Gute und zügige Entscheidungen sind für jedes Unternehmen lebensnotwendig. Doch viele Firmen sind davon weit entfernt. Anschaffungen ab 100 Euro brauchen dort die Unterschrift des nächsthöheren Vorgesetzten. Hierfür ist aufwendig ein Formular auszufüllen. Zudem dürfen nur gelistete Teile eingekauft werden, obwohl viel besser Geeignetes im Web gerad sehr viel günstiger wäre – und mit einem Klick bestellbar.
Zu allem Übel ist der Chef zwei Wochen in Urlaub, danach türmt sich bei ihm die Arbeit. Als endlich grünes Licht kommt, ist der Kunde, für dessen Auftrag dieses Teil notwendig war, weg. Er konnte nicht länger warten. Neben den Kosten für die interne Prozessabwicklung beläuft sich der entgangene Umsatz auf 10.000 Euro.
Der ganz normale Wahnsinn in autokratischen Unternehmen: Erst wollen die Firmen die besten Mitarbeiter und dann werden diese geführt, als ob sie keine eigenen Entscheidungen treffen könnten. Zudem werden die Opportunitätskosten, die aus zentralistischen Entscheidungen erwachsen, überhaupt nicht gerechnet.
Übliche Entscheidungsmethoden: Mehrheitsentscheid und Konsens
Entscheidungen fallen in aller Regel auf dreierlei Weise: per Chefentscheid, per Mehrheitsentscheid oder per Konsensentscheid. Beim Mehrheitsentscheid wird eine Entscheidung nach einem vorgegebenen Mehrheitsschlüssel getroffen. Bis zu 49 Prozent aller Stimmen werden dabei zum Verlierer. Viel Unzufriedenheit kann so entstehen – und die Tragfähigkeit einer Entscheidung wird leicht unterminiert.
Demgegenüber benötigt ein Konsensentscheid die ausdrückliche Zustimmung aller. Dem eilen oft lange Diskussionen voraus. Schließlich einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dies ist wohl der schlechteste aller Wege in neuen Zeiten. Wie man also zu schnelleren Entscheidungen kommt und zugleich deren Qualität steigert?
Der konsultative Einzelentscheid: mit der „Weisheit der Vielen“
Diese Methode bewährt sich immer dann, wenn eigenständig entschieden werden soll, insbesondere also auch in selbstorganisierten Kontexten. Ziel ist es, die Expertise Dritter in seine Entscheidung miteinzubeziehen. So kann zum Beispiel bestimmt werden, dass, bevor eine Entscheidung getroffen wird, immer mindestens zwei sachkundige (!) Personen befragt werden müssen – und nicht etwa bequeme Kollegen.
Auch ein fachfremder Blick auf ein Thema kann manchmal sehr hilfreich sein, um mehr Klarheit zu gewinnen und seine Gedankengänge zu präzisieren. Dafür kommen Personen innerhalb oder außerhalb der Firma infrage. Die Verantwortung, wie am Ende entschieden wird, verbleibt allerdings bei der entscheidenden Person oder Gruppe. So umgeht man langwierige Abstimmungsrunden, verbessert die Entscheidungsgrundlage, erhöht die Handlungssicherheit und beschleunigt die Umsetzungsgeschwindigkeit.
Der Konsent-Entscheid: Hat jemand ernste Bedenken?
Beim Konsent geht es um eine zügige Entscheidungsfindung in operativen Belangen. Zähe Diskussionen, Meeting-Marathons und/oder wachsweiche Gruppenbeschlüsse können damit vermieden werden. Der Konsent will kein Maximum an Zustimmung, sondern vielmehr klären, ob jemand gravierende Vorbehalte oder ernsthafte Bedenken gegenüber einem Vorschlag hat. Also nicht „Ja, ich stimme zu!“, sondern „Nein, ich habe keinen schwerwiegenden, begründeten Einwand.“ So stützt sich der Konsent auf Entscheide, die „gut genug für den Moment und sicher genug für einen Versuch“ sind.
Dazu unterbreitet man den Entscheidungsvorschlag, klärt etwaige Unklarheiten und fragt dann so: „Sieht jemand einen wichtigen Grund oder eine ernste Bedrohung, weshalb dieser Vorschlag Schaden anrichten könnte?“ Ein „ungutes Gefühl im Bauch“ reicht nicht. Es braucht triftige Hinweise auf womöglich gefährliche Konsequenzen. Die konkrete Entscheidung fällt so: Auf Kommando eins zwei drei trifft jeder seine Wahl.
- Faust mit Daumen nach oben bedeutet: alles okay.
- Ausgestreckte wackelnde Hand mit der Handfläche nach unten bedeutet: Ich habe leichte Bedenken, die aber unschädlich für die Annahme des Vorschlags sind.
- Ausgestreckte Hand mit der Handfläche nach oben bedeutet: Ich habe gravierende Bedenken und konkrete Hinweise auf einen bedrohlichen Schaden.
Wer die dritte Variante gewählt hat, nennt seine konkreten Bedenken. Zunächst fragt man den Vorschlaggeber, ob er seinen Vorschlag dementsprechend modifizieren kann. Sieht der keine Möglichkeit, fragt man den Bedenkengeber, ob er eine Idee dazu hat. Gegebenenfalls bittet man die gesamte Gruppe um Lösungsvorschläge. Nach der Modifizierung erfolgt eine zweite Abstimmung. Gibt es kein Veto mehr, ist der Vorschlag angenommen, man setzt ihn zunächst versuchsweise um. Gibt es weiterhin ernste Bedenken, geht man in eine zweite Runde oder legt den Vorschlag ad acta.
Die Elfer-Skala für eine zügige Entscheidungsfindung
Auch dies ist eine Methode, die in einer Gruppe oder in einem Meeting für gemeinsam getragene zügige Entscheidungen sorgt. Dazu wird zunächst das Thema vorgestellt, zu dem eine Entscheidung ansteht. Danach ist Zeit für Verständnisfragen. Im Anschluss daran wird den Teilnehmern eine erste Bewertungsfrage gestellt:
„Auf dieser Skala von 0 bis 10: Wie wichtig und dringlich ist dieses Thema für uns?“
Jeder entscheidet verdeckt. Danach werden stellvertretend je zwei Meinungen aus dem niedrigen (0 bis 3) und dem hohen Bewertungsbereich (7 bis 10) gehört. Hiernach gibt es eine zweite verdeckte Bewertung mit der gleichen Frage auf einer neugezeichneten Skala. Liegen alle Bewertungen nun zwischen sieben und zehn, ist das Thema angenommen und damit eine Entscheidung gefallen. Liegen Bewertungen noch immer darunter, kann eine entsprechende Konsent-Frage helfen.
Durch die Skalierungsmethode kann ein gefühlter Zustand visuell deutlich gemacht werden, ohne dass man ihn lang und breit erklären muss. Statt eines kategorischen Ja oder Nein werden Grauzonen optisch sichtbar.
Lesen Sie auch:Die 8 Todsünden der Entscheidungsfindung
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller, Alex T. Steffen
Die Orbit-Organisation
In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft
Gabal Verlag 2019, 312 Seiten
ISBN: 978-3869368993