Die Brust wird eng, der Puls steigt an. Was hat dieser Blick von meinem Chef zu bedeuten? War meine Leistung diese Woche schlecht? Werde ich gefeuert? Was mache ich dann? Wir alle kennen diese Gedankenspiralen.
Kampf, Flucht oder Erstarrung
Schuld daran sind unsere Gene; die Reaktionen sind evolutionär angelegt. Denn viel hat sich an unserem Nervensystem seit der Steinzeit nicht geändert. Ohne Stresshormone und Gefahrentrigger hat uns damals schnell der Säbelzahltiger erwischt. Obwohl wir heute nicht mehr vor wilden Tieren wegrennen, haben wir immer noch die gleichen drei Reaktionen auf Stress: Kampf, Flucht oder Erstarrung (Todesstarre).
Moderne Stressoren sind überwiegend psychischer Natur. Oftmals sehen wir uns mit dem Druck unserer Leistungsgesellschaft konfrontiert – und erstarren. Wir versuchen die Angst, die sich in Gedankenschleifen und Sorgen äußert, durch Grübeln zu lösen. Dadurch entsteht jedoch nur noch mehr Unruhe, Stress und kreisende Gedanken. Dieser chronische Stress ist nicht nur unangenehm, sondern kann auf Dauer auch gesundheitliche Probleme auslösen.
Stress durch Prägungen aus der Kindheit
Trigger von sozialem und psychologischem Druck stammen größtenteils aus der Kindheit. Als Kinder ist die Zuwendung unserer Eltern für uns überlebensnotwendig. Deshalb tun wir automatisch alles, um von unseren Eltern geliebt zu werden. Was auch immer das ist – es prägt uns bis in unser Erwachsenenleben.
Beispielsweise könnte ein Leistungsanspruch der Eltern unterbewusst der Auslöser dafür sein, dass wir verbissen Überstunden machen. Durch Leistung fühlen wir uns sicher. Erhalten wir dann aber einen negativen Kommentar zu unserer Arbeit, geht das voll an die Substanz. Wir fühlen uns im wahrsten Sinne „angegriffen“.
Wir erleben bestimmte Situationen als Reinszenierung prägender Momente: Der Körper und das Nervensystem springen an, wir wechseln schlagartig in den Überlebensmodus. Irgendeinem Teil in uns kommt die Situation bekannt vor. In der Psychologie wird das häufig auch als Körpergedächtnis bezeichnet. Worauf wir reagieren, ist dabei nicht nur die Situation selbst, sondern unsere (unterbewusste) Interpretation derer.
Beispiele für unterbewusste Stressbildung
1) Prägung aus der Kindheit: Ich wurde ausgelacht, als ich vor der Klasse sprechen sollte.
Folge: Wenn ich heute meine Arbeit präsentieren soll, schlafe ich schlecht und bin fahrig.
2) Prägung aus der Kindheit: Ich habe gelernt, den Schein nach außen zu wahren, keine Probleme einzugestehen und perfekt zu erscheinen. So habe ich Anerkennung von meinen Eltern und im Freundeskreis bekommen.
Folge: Ich habe Schwierigkeiten, über Probleme zu sprechen und Hilfe anzunehmen. Das Gefühl, es allein schaffen zu müssen, verfolgt mich. Teamarbeit fällt mir schwer und ich lästere, um weniger Druck durch das positive Bild anderer zu spüren.
3) Prägung aus der Kindheit: Liebe war für mich an Bedingungen gekoppelt: Nur wenn ich lieb und ruhig war, und machte, was andere von mir wollten, bekam ich Aufmerksamkeit und Liebe.
Folge: Ich sage zu allem Ja und Amen, ziehe keine Grenzen bei der Arbeit und spüre Überforderung, weil ich tausend Aufgaben zugesagt habe.
Ein Beispiel aus der Praxis:
Führungskraft Daniela hat von einem Elternteil immer zu spüren bekommen, dass sie nicht ausreicht und die Geschwister besser sind. Sie wurde mit ihren Bedürfnissen nicht genug gesehen. Daraufhin hat sich folgendes Muster gefestigt: „Nur wenn ich leiste und perfekt bin, werde ich gesehen und erfahre Liebe und Anerkennung“. Aber auch: „Ich muss es allen recht machen, um anerkannt zu werden.“
So ähnlich geht es Danielas Mitarbeiterin Stefanie. Sie hatte als Kind ebenfalls das Gefühl, nicht gehört und gesehen zu werden – und dass sie immer leisten müsse, um Liebe und Anerkennung zu erhalten. Außerdem hat ihre Mutter ihr wenig Vertrauen geschenkt. Deshalb ist es ihr heute wichtig, Freiraum zu bekommen, denn das zeugt für sie von Vertrauen.
Nun prallen die beiden aufeinander: Stefanies Mutter wird krank. Sie teilt ihrer Chefin Daniela mit, dass sie sich zu Hause um ihre Mutter kümmern wolle. Daniela meldet Stefanie krank und verteilt ihre Aufgaben an andere Teammitglieder. Zwei Tage darauf herrscht Durcheinander im Teammeeting, denn die Arbeit wurde doppelt erledigt. Stefanie wollte sich gar nicht krankmelden, sondern einfach nur von zu Hause aus arbeiten. Dieses Missverständnis könnte jetzt durch wertschätzende Kommunikation aufgelöst werden. Stattdessen folgt ein wütender Kommentar von Stefanie zu Danielas mangelnder Organisationskompetenz.
Aber wieso? Das Gefühl des „nicht gut genug Seins“ aus der Kindheit machte sich in Stefanies Magengegend breit – wie damals mit Ihrer Mutter, als sie sich klein und unzulänglich fühlte. Diese ließ nämlich oft Kommentare los, wie: „Ach komm, Steffi – stell dich nicht so an! Dann nehm’ ich’s dir lieber ab! Du schaffst es sowieso nicht.“ Das „Wegnehmen“ ihrer Arbeit durch Daniela ließ Stefanie hilflos und wütend fühlen. Ihr wurde die Möglichkeit, zu leisten – und sich unterbewusst gut genug zu fühlen – genommen. Gegen ihren Willen.
Aber auch Daniela hat mit der Situation zu kämpfen: Sie, die „gute und fleißige Daniela“ fühlt sich in Ihrem Entgegenkommen nicht gesehen. Dass sich ihre Mitarbeiterin dann noch über sie hinwegsetzt, lässt sie wieder so fühlen wie damals mit ihren Geschwistern. Sie wollte ernst genommen und in ihrer Kompetenz bestätigt werden. Damals von den Eltern, heute von ihrem Team. Für die nächsten Monate herrscht angespannte Stimmung zwischen den beiden. Zusätzlicher Stress, der für alle zu dem Druck durch die Arbeit noch obendrauf kommt.
Was wir daraus lernen? Wenn Stefanie und Daniela sich besser kennen würden, indem sie über ihre No-gos und Trigger sprächen, könnten sie in Stresssituationen wie dieser gegensteuern und Empathie aufbringen. Daniela könnte diese offene Kultur als Führungskraft proaktiv fördern.
Wie Sie unbewusste Stresstrigger im Team vorbeugen
Für Personalverantwortliche und Führungskräfte gilt es zunächst, sich selbst besser kennenzulernen und sich der eigenen Glaubenssätze und Trigger bewusst zu werden. Dazu eignen sich zum Beispiel Einzelcoachings und Entwicklungstage.
Auch diese sieben Schritte sind ein guter Start:
- Innehalten: Agieren statt reagieren – die Lücke zwischen Trigger und Reaktion ist ausschlaggebend.
- Bewusst werden: Den Stress aktiv fühlen, im Körper verorten, und beobachten. Etwa der Druck in der Brust.
- Trigger erkennen: Was hat diesen Stress bei mir ausgelöst?
- Rückverfolgung: Woher kenne ich dieses Gefühl? Wann habe ich mich zum ersten Mal so gefühlt?
- Aufschreiben: Alles notieren, was in den Sinn kommt, auch wenn es unsinnig wirkt.
- Deutung: Was bedeutet es für mich, wenn so eine Situation eintritt? Was hätte diese Situation für mein Sicherheitsgefühl als Kind bedeutet? Was sagt es über mich aus?
- Explorieren: Was passiert, wenn ich meinem Bedürfnis Raum gebe? Wie kann ich mich sicherer fühlen? Was kann ich an meinem Umfeld ändern? Wie kann ich rund um dieses Thema besser kommunizieren?
Ist es bereits zu einer Konfliktsituation gekommen, dann hilft Mediation: Es kann sinnvoll sein, eine dritte Person hinzuzunehmen, die entwicklungspsychologisch ausgebildet ist. Sie kann helfen, die Kommunikation wertschätzend zu halten und den Konflikt erfolgreich zu lösen.
Schulungen und andere Maßnahmen zum Thema Teamentwicklung helfen den Mitarbeitenden, herauszufinden, wer im Team welche Rollen einnimmt. Darüber sollte sich auch die Teamleitung bewusst zu sein; wenn sie weiß, wen welche Themen beschäftigen, kann sie eine gute Arbeitsatmosphäre und -bedingungen für die einzelnen Teammitglieder schaffen. Das beugt Stress vor und schafft für alle Beteiligten ein angenehmeres und gesünderes Arbeitsklima.