Viele Unternehmen setzen noch auf Talent-Management-Lösungen, die auf der Grundannahme eines „Verkäufer“-Arbeitsmarktes basieren. Zeitgemäß ist das nicht.
Ganztägige Kinderbetreuung, moderne Fitnesseinrichtungen, eine Kantine, die eher einem Restaurant gleicht, sowie beispielsweise fortlaufend wertvolle Team-Building-Maßnahmen: Moderne Unternehmen haben erkannt, dass auch in Sachen Human Resources aus dem Verkäufer- ein Käufermarkt geworden ist. Das heißt, Unternehmen gestalten sich gleich auf mehreren Wegen attraktiv für die besten Mitarbeiter. Die Gründe dafür zeigen sich auch in Studien oder Forschungsergebnissen. Nach einer Kienbaum-Studie sagen 58 Prozent der Verantwortlichen in Unternehmen, dass sie darunter zu leiden haben, keine ausreichende Zahl an Top-Kandidaten in ihren Reihen zu haben. Bereits 40 Prozent der Mitarbeiter in der deutschen Wirtschaft sind zwischen 50 und 65 Jahren alt. Ein Drittel der Mitarbeiter, so eine Gallup-Studie, tendiert zu einem Unternehmenswechsel. Sogar 40 Prozent der Unternehmen, sagt eine Untersuchung von Manpower, können nicht mehr die Gesamtheit aller Kundenanforderungen erfüllen, bedingt durch einen Mangel an Talenten.
Nun sollte man meinen, dass diese Situation längst ein übergreifendes Talent Management bei den meisten Organisationen hervorgerufen hat – eines, das in seiner Gesamtheit lückenlos die wichtigsten Prozesse abdeckt, von der Rekrutierung über das Performance Management bis hin zum Kompetenzmanagement. Denn bekanntermaßen ist keine Trendentwicklung derart valide vorhersagbar wie die Demographie. Und deshalb ist eine weitere Verschärfung dieser Problematik so gut wie sicher als gesetzt zu sehen.
Aber leider Fehlanzeige: In vielen Unternehmen existieren immer noch unternehmenszentrierte Technologien, die ihren Ursprung im „Verkäufermarkt“ der knappen Arbeitsplätze der 80er-Jahre haben. Mit vorgefertigten standardisierten Kompetenzmodellen, Anforderungsprofilen und in Summe einer viel zu intensiven Fokussierung auf periodische Prozesse — wie jährliche Gehaltsrunden und Bonuszahlungen, zeitlich fixierte Beurteilungsphasen und vorgegebene Schulungen.
Derlei Personalmanagementsysteme lassen dabei außer Acht, dass sich der Markt gedreht hat. In der Vollbeschäftigung befinden sich die Talente in Machtpositionen gegenüber Unternehmen; sie definieren die Arbeitsbedingungen. Es gibt jederzeit eine große Menge an Jobangeboten für qualifizierte Arbeitnehmer. Und die ehemals vorhandene Unsicherheit den Job zu verlieren, wandelt sich in eine Bereitschaft, von sich aus zu kündigen. Fakt ist also: Es hat eine Demokratisierung des Arbeitslebens stattgefunden, seiner Strukturen und Prozesse; und die gilt es durch ein integriertes Talent-Management abzubilden.
Was muss dieses System können: Waren in tradierten Ansätzen die Personalabteilungen die treibende Kraft, sind dies nun Mitarbeiter und Manager. Ebenso sollte mit der Lösung der Wechsel von präskriptiven, vorschreibenden und periodisch kontrollgetriebenen Ansätzen hin zu einem selbstgesteuerten, kontinuierlichen und autarken Arbeiten möglich sein. Letztlich sollten Unternehmen damit weg von standardisierten Vorgaben, beispielsweise was die Fortbildung angeht. Hier muss in der demokratisierten Arbeitswelt mehr Individualität vorherrschen.
In der Praxis gestaltet sich der Wandel derart, dass Mitarbeiter durch das Talent Management selbstständig Skills generieren, diese durch Kollegen bestätigt bekommen und sich auch eigenverantwortliche neue Fähigkeiten aneignen können. In Zeiten von Vertrauensarbeitsorten und Abkehr von der klassischen 40-Stunden-Woche sollte ein modernes Talent Management dementsprechend eigenverantwortliches Arbeiten ermöglichen, zum Beispiel in Form eines Ziele- und Ergebnis-Trackings mit Fokus auf die Ausführung.
In der digitalen Welt nimmt die Halbwertszeit von Wissen rapide ab. Produkte werden komplexer, der Konkurrenzdruck steigt und die Produktlebenszyklen werden immer kürzer. War gestern noch der Ingenieur ein Top-Verdiener, der sich mit Dieseltechnologie hervorragend auskennt, ist es morgen bereits derjenige, der sich auf Batterien spezialisiert hat. Die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter sichert die Kenntnisse für sowohl aktuelle als auch zukünftige Anforderungen. Die Konsequenz daraus ist: Lern- und Arbeitssysteme müssen eng miteinander verzahnt werden. Es muss möglich sein, dass Unternehmen ein arbeitsplatzbasiertes Lernen einfach und komfortabel zur Verfügung stellen.
Fazit: Das Talent Management ist ein wichtiger Baustein für ein erfolgreiches Unternehmen. Dazu muss es aber ganzheitlich etabliert, nicht allein auf HR beschränkt sein und den Mitarbeiter ins Zentrum der Prozesse stellen. Also ein gewissermaßen demokratisches Werkzeug, was in die Demokratisierung der Arbeitswelt passt.
Autor Christian Grimm referiert zu diesem Thema in seiner Expert Session „Vision eines integrierten Talent Managements – Business Impact durch Employee Experience“ auf dem diesjährigen Personalmanagementkongress. Die Session findet im Panel I von 10:30 bis 11:30 Uhr am ersten Kongresstag (Donnerstag, 29. Juni 2017) statt.