Wie die Pinguine

Personalmanagement

Angesichts der wachsenden Informationsflut ist es heute wichtiger denn je, dass Unternehmen eine Kultur der Neugier und des Lernens etablieren. Personalmanager können in dieser Hinsicht mit kleinen Veränderungen viel bewirken.

Pinguine sind kluge Tiere. Haben sie Hunger und wollen auf Fischjagd gehen, nähern sie sich dem Wasser zunächst zögerlich in kleinen Gruppen. Im Meer könnten Fressfeinde lauern, deshalb will kein Pinguin den ersten Schritt machen. Sobald aber eines der Tiere den Sprung ins kalte Wasser wagt, folgen ihm die anderen. Denn nun kann die Gruppe die Gefahr, die im Meer eventuell lauert, besser einschätzen. Viele Unternehmen und Organisationen, vor allem solche aus der IT-Branche, finden dieses Verhalten vorbildlich: Sie vergeben spezielle „Pinguin-Preise“ an Mitarbeiter, die im Bewusstsein eines möglichen Scheiterns etwas Neues gewagt haben.

Die International Game Developers Association (IGDA) verleiht seit 2001 den „First Penguin Award“, der vor einigen Jahren in „Pioneer Award“ umbenannt wurde, an Computerspieleentwickler, die neue Wege beschritten haben und anderen Entwicklern als Inspiration und Vorbild dienen. Der Suchmaschinenriese Google vergibt einen „Penguin Award“ an Mitarbeiter, die mit Projekten gescheitert sind. So will der Konzern Angestellte dazu ermutigen, ohne Versagensangst Neues auszuprobieren – und die Belegschaft kann die Fehler der Pioniere künftig vermeiden..

Die Märkte werden komplexer

Lernt ein Mitarbeiter etwas Neues, ist das gut. Lernt ein ganzes Unternehmen etwas Neues, ist das besser. Sogenanntes organisationales Lernen wird für Unternehmen immer wichtiger, je komplexer die Märkte werden und je mehr Informationen es zu verarbeiten gilt. In den meisten Firmen steckt diese Art des Lernens allerdings noch in den Kinderschuhen. Das liegt vor allem daran, dass organisationales Lernen schwer greifbar ist. „Wir haben es dabei nicht mit einer klar umrissenen Praktik zu tun, sondern eher mit einer Metapher“, sagt Hermann Laßleben, Professor für International Human Resource Management an der ESB Business School der Universität Reutlingen. Es liegt an Personalmanagern, die Metapher mit Leben zu füllen.

Die Idee, dass nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Organisationen lernen können, wurde bereits in den 80er Jahren populär. „Im Kern geht es darum, eine von Neugierde geprägte Unternehmenskultur zu schaffen“, erklärt Laßleben. Weil die wissenschaftliche Theorie über die Jahrzehnte hinweg relativ abstrakt und blutleer geblieben ist, findet man heute in der unternehmerischen Praxis kaum jemanden, der von organisationalem Lernen spricht. Praktiken wie Wissensmanagement oder Change Management zielen aber auf dasselbe Ergebnis: Auf ein Unternehmen, das willens und in der Lage ist, neues Wissen zu erwerben, zu verarbeiten und zu speichern.

Personalmanager können einiges tun, um eine Kultur zu schaffen, in der möglichst viele Mitarbeiter möglichst viel lernen wollen und bereit sind, Wissen an Kollegen weiterzugeben. „Man kann Menschen nicht dazu zwingen, ihr Wissen zu teilen“, sagt Christiane Prange, Professorin für Managementstrategie und Organisation an der Emlyon Business School im französischen Écully. Damit Fachkräfte ihr Wissen dem gesamten Unternehmen zur Verfügung stellen, müssen sie sich in erster Linie sicher fühlen, sagt die Expertin. Wer den Eindruck hat, seine Position nur über exklusive Kenntnisse halten zu können, wird sich hüten, diese zu teilen – schließlich macht er sich damit zu einem gewissen Grad selbst überflüssig.

Auch finanzielle Anreize können dabei helfen, eine Kultur des Lernens zu etablieren, sagt Prange. Das weiß sie aus eigener Erfahrung: Prange hat früher als Projektleiterin bei SAP gearbeitet. Bei dem Softwareunternehmen seien viele Projekte nebeneinander her gelaufen, erzählt sie. Die Mitarbeiter des einen Projekts hatten keine Ahnung, woran ihre Kollegen gerade arbeiteten. Um das zu ändern, überlegte man sich bei SAP, dass Mitarbeiter Informationen über ihr jeweiliges Projekt in eine Datenbank einpflegen sollten. Wurden die Informationen von Kollegen abgerufen und genutzt, bekam derjenige, der sie eingepflegt hatte, einen Bonus. So konnte der Konzern die Weitergabe von Wissen attraktiv machen. „Personalmanager müssen Anreize schaffen“, betont Prange.

Eine schlechte Idee ist besser als keine Idee

Damit Unternehmen lernen können, müssen deren Führungskräfte souverän mit Fehlern umgehen. „Eine schlechte Idee ist besser als keine Idee“, sagt Hannah Noriko Richta, Analystin für Effizienz und Projektmanagement beim Logistikkonzern DB Schenker Rail. Das bedeutet nicht, dass die Unternehmensführung jedes Hirngespinst in die Praxis umsetzen sollte. Wer aber Ideen von vornherein abqualifiziert, weil er Angst vor negativen Folgen hat, wird kaum Innovationen entwickeln können. Sogar Ideen, die sich als schlecht entpuppen, können als Ausgangspunkt für einen Prozess dienen, an dessen Ende eine Verbesserung steht. Das hat Google erkannt, und aus dieser Haltung heraus wurde der „Penguin Award“ geboren.

Eine positive Fehlerkultur ist nicht zu unterschätzen. Das ist auch der Konsens bei DB Schenker Rail. Das Logistikunternehmen bemüht sich, den Prozess hin zur lernenden Organisation voranzutreiben. Dazu veranstalten Personalmanager unter anderem Workshops für Mitarbeiter auf allen Unternehmensebenen, bis hin zu den Arbeitern in Güterbahnhöfen und Werkstätten. In den Workshops sollen die Mitarbeiter eigene Ideen äußern, etwa dazu, wie man Arbeitsabläufe effizienter gestalten könnte. „Wenn möglich, sollen diese Ideen in konkrete Maßnahmen übersetzt werden“, sagt Richta. „Ziel der Workshops ist es, den Mitarbeitern zu zeigen: Wir hören euch zu und nehmen euch ernst.“

Unternehmen brauchen mehr Mut zum Risiko

In deutschen Unternehmen ist es um die Fehlerkultur generell nicht gut bestellt. „Amerikaner sind den Deutschen in dieser Hinsicht weit voraus“, sagt Georg Schreyögg, Professor für Organisation und Führung an der Freien Universität Berlin. Seine Erfahrung: In vielen deutschen Firmen ist der Umgang mit Fehlern und schlechten Ideen viel zu verkrampft. Läuft etwas schief, wird es oft totgeschwiegen – Lerneffekt: keiner. Eine ihm bekannte US-Firma dagegen habe sich sogar eine kleine Kanone zugelegt, um gescheiterte Projekte mit einem Salut zu würdigen, berichtet Schreyögg. „Deutsche Unternehmen brauchen mehr Mut zum Risiko“, sagt er. Wenn neue Ideen angenommen würden, seien es allzu oft lediglich solche, die in bestehende Muster passten. Wer wirklich innovativ sein will, muss aber bereit sein, seine Komfortzone zu verlassen.

Gewohnheit und Bequemlichkeit verhindern in vielen Fällen, dass ein Rahmen entsteht, in dem organisationales Lernen möglich ist, meint auch Effizienzexpertin Richta. „Menschen und Organisationen hängen oft sehr am Status Quo“, sagt sie. Das könne über kurz oder lang fatale Folgen haben. „Das Wissen nimmt weltweit zu, die Märkte werden offener, der Wettbewerbsdruck steigt. Unternehmen müssen dazulernen, wenn sie mithalten wollen“, warnt Richta.

Oft suchten Unternehmen die Schuld für nachlassende Wettbewerbsfähigkeit bei der Konkurrenz, statt die eigenen Lernprozesse zu überprüfen, kritisiert Laßleben von der ESB Business School. Als Beispiel führt er den Einzelhandel an: Immer mehr Unternehmer klagen über die wachsende Konkurrenz durch den Online-Händler Amazon. Der sei aber nicht schuld daran, dass der Trend zum Einkaufen im Internet an vielen Einzelhändlern vorübergegangen ist, sagt Laßleben. „Da hat man schlichtweg Veränderungen verschlafen.“

Freiräume, um dazuzulernen

Nur Unternehmen, die ständig neue Informationen aufnehmen und flexibel verarbeiten – also Unternehmen, die lernen – können auf sich schnell wandelnden Märkten bestehen. Personalmanager können mit Fragebögen herausfinden, ob die Belegschaft in dieser Hinsicht auf einem guten Weg ist. Dabei ist es einfacher, Lernhindernisse aufzuspüren als Erfolge zu dokumentieren. Es gibt zwar Fragebögen, die darauf abzielen, etwas über die Lernbereitschaft der Arbeitnehmer zu erfahren, etwa mit Fragen wie „Lesen Sie regelmäßig die internationale Fachpresse?“ oder „Wie oft gehen Sie auf Fortbildungen?“. Das Ergebnis bleibt aber in der Regel schwammig. „Eine Bereitschaft zu etwas lässt sich nur schwer messen“, sagt Schreyögg von der Freien Universität Berlin. Personalmanager sollten Mitarbeiter besser nach konkreten Lernhindernissen fragen, sagt er. Etwa danach, ob sie zu wenig Zeit haben, um sich fortzubilden.

Wollen Unternehmen, dass ihre Mitarbeiter auf breiter Front lernen, müssen sie ihnen Freiräume dafür geben. Google räumte seinen Mitarbeitern jahrelang einen Tag pro Woche ein, den die Mitarbeiter mit der Arbeit an eigenen Projekten verbringen sollten. In diesem Umfeld entstanden hochprofitable Online-Dienste wie der E-Mail-Service Gmail. Im vergangenen Jahr kündigte der Konzern an, den Freiarbeitstag nicht in seiner bisherigen Form fortzuführen und die unternehmenseigene Innovationskultur anders fördern zu wollen. Dieser Entschluss wurde zwar in der Öffentlichkeit hart kritisiert. Er deutet aber darauf hin, dass Google das Prinzip des ständigen Dazulernens und des ständigen Wandels besser verstanden hat als die meisten anderen Unternehmen. Der erste Pinguin hat es eben nicht immer leicht.

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Julia Groth

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