„New Wertschöpfung“: Neu verhandeln, was uns wichtig ist

Future of Work

Zu Beginn dieser Dekade sehen wir uns durch Corona, aber auch durch die immer realer werdende Klimakrise entsprechend mit grundsätzlichen Fragen konfrontiert: Wie wollen wir in Zukunft leben und arbeiten? Was ist für uns wertvoll? Und was verstehen wir eigentlich unter dem Begriff Wert?

Wert – was ist das eigentlich?

Wert, das ist keine gottgegebene Setzung oder eine Naturkonstante. Wert ist vielmehr eine soziale Konstruktion, eine gesellschaftliche Übereinkunft über das, was uns wichtig und teuer ist. Wert ist, was wir für wertvoll halten. Und in einer Zeit des Umbruchs müssen wir uns genau diese Frage von Neuem stellen: Was halten wir für wertvoll – und was nicht (mehr)?

Die alten Narrative vom ewigen Wachstum scheinen dabei zunehmend aus der Zeit gefallen, plumpe ökonomische Antworten auf immer lauter werdende Fragen nach dem Warum und Wohin befriedigen kaum mehr die Bedürfnisse insbesondere jüngerer Generationen. Der Grund dafür ist simpel: Wir sind mehrheitlich längst an einem glücksmaximierenden Level von ökonomischem Wohlstand angelangt. Wir sind auf der Bedürfnispyramide soweit nach oben geklettert, dass die einfache Gleichung mehr Wohlstand bedeutet mehr Wert nicht mehr funktioniert.

Diese sich verändernden Bedürfnisse unserer Mehrheitsgesellschaft bleiben nicht ohne Konsequenz – sie verändern die Spielfläche, auf der Unternehmen agieren, radikal. Mehr noch: Sie stellen die Frage, welchem Zweck unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen in Zukunft eigentlich dienen sollen.

Vom Shareholder- zum Stakeholder-Value-Ansatz

Die Idee des Shareholder-Value hat die globale wirtschaftliche Dominanz des Westens in den letzten Jahrzehnten massiv begünstigt: Die Fokussierung auf die Maximierung des wirtschaftlichen Ertrags hat binnen weniger Jahrzehnte ein nie dagewesenes Maß an Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Wohlstand erzeugt.

Und doch, das dämmert uns in den letzten Jahren, erschöpft sich der scheuklappenhafte Blick auf kurzfristigen Profit und Wachstum – nicht zuletzt, da er immer mehr auf Kosten von Umwelt und wachsender sozialer Ungleichheit vonstatten geht. Nicht erst seit Fridays for Future ist klar: Ein Wachstum, das sich lediglich noch selbst zum Zweck hat, delegitimiert sich zunehmend im gesellschaftlichen Diskurs. Entsprechend wandelt sich das Paradigma unseres Wirtschaftens dieser Tage vom Shareholder- zum Stakeholder-zentrierten Denken.

Die Logik ist so einfach, wie bestechend: Es soll immer weniger um die einseitige Maximierung von Profiten gehen und immer mehr um die bestmögliche Integration und Befriedigung von Stakeholder-Bedürfnissen. Unternehmen sollen sich als ein Teil der Welt verstehen, nicht länger als ihr Nabel. Unter Stakeholdern versteht das Wirtschaftslexikon Gabler dabei „alle Anspruchsgruppen, ohne deren Unterstützung das Unternehmen nicht überlebensfähig wäre“: Von Arbeitnehmer*innen über Kund*innen und Lieferant*innen bis hin zur Gesellschaft und Öffentlichkeit.

Wert ist, was unseren Bedürfnissen dient

Klar ist: Das erfolgreiche Unternehmen von heute und morgen inkorporiert genau diesen multiperspektivischen Stakeholder-Ansatz: Es versteht sich als Teil eines größeren Ganzen, verortet sich und sein Handeln in diesem größeren Ganzen und kann seinen Sinn und Zweck entsprechend klar artikulieren. In dieser Integration von ökonomischen, ökologischen, sozialen und partizipativen Anforderungen aus den unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen entsteht so auf leisen Sohlen: eine neue Definition von Wert.

Wert, der sich nicht mehr stumpf nach bilanziertem Gewinn oder Umsatzwachstum beziffert, sondern nach dem Grad der Befriedigung heterogener, multidimensionaler Stakeholder-Anforderungen. Der Stakeholder-zentrierte Ansatz der Unternehmensführung hat dabei das Potential, den Menschen mitsamt seinen Bedürfnissen zurück in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens zu rücken: Wert ist, was für uns wertvoll ist. Wir entscheiden, was wertvoll ist.

Und genau an dieser Stelle brauchen wir eine Debatte über das, was denn für uns als Gesellschaft eigentlich Wert hat – für jede:n Einzelne:n und für uns gemeinsam. Denn die Bedingung eines solchen Stakeholder-zentrierten Ansatzes des Wirtschaftens sind letztlich mündige, empowerte Individuen, die als Mitarbeiter:innen, als Konsument:innen, als Bürger:innen oder als Unternehmer:innen Tag für Tag mitbestimmen können und wollen, was ihnen wichtig ist – und was nicht.

Wir können von der New-Work-Bewegung lernen

Ich bin seit Jahren ein großer Verfechter der New-Work-Bewegung und setze mich in meiner Arbeit und meinen Texten häufig mit New Work auseinander und für New Work ein. Was ich an der New-Work-Idee besonders schätze, ist, dass sie im Kern eine Mündigmachung jedes Einzelnen will. Zwar ist auch New Work kein Selbstzweck, sondern vielmehr eine notwendige Konsequenz aus den sich verändernden Arbeitsanforderungen der postindustriellen Wertschöpfung; doch glaube ich, dass ihr empowernder, menschenfreundlicher Kern letztlich auf uns als Gesellschaft übertragbar ist.

Wir stehen – anders als in der vordigitalen Zeit – nicht nur als Unternehmen, sondern als Gesamtgesellschaft vor unzähligen ungelösten und komplexen Problemen, die keinen eindeutigen Lösungsweg kennen. Die Mitbestimmung und das Mitbestimmen-Wollen jedes und jeder Einzelnen ist kein Nice-to-have mehr, sondern Conditio sine qua non, wenn wir im Morgen erfolgreich sein wollen. Wir brauchen die Ideen, das Engagement, die Intelligenz der Vielen. Oder platt gesagt: Ohne New Work keine New Wertschöpfung – weder als einzelnes Unternehmen noch als gesamte Gesellschaft.

Wenn wir also auf die Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft in dieser Phase des Einschnitts und Übergangs schauen, können wir von dem empowernden Geist der New-Work-Bewegung lernen und versuchen ihn zu skalieren, um gemeinsam die ungelösten Probleme von Morgen zu lösen.

Die Grundlage dafür ist jedoch, dass wir uns als Gesellschaft, als Unternehmen und als Individuen darüber verständigen, was für uns wertvoll ist. Wir müssen den Begriff des Werts mit neuem Leben füllen, wenn wir die vor uns liegende Epoche nach unserem Willen gestalten wollen. Es ist das Privileg unserer Zeit, dass wir uns diese Fragen stellen dürfen, und gleichzeitig die Herausforderung unserer Zeit, dass wir uns diese Fragen stellen müssen.

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Björn Waide, CEO von Smartsteuer

Björn Waide

Björn Waide ist Geschäftsführer von Smartsteuer, einem Anbieter für Online-Steuererklärungen. Das Fintech-­Unternehmen gehört zur Haufe-Gruppe und ­beschäftigt über 30 Menschen. Der 41-Jährige befasst sich in Linkedin-­Beiträgen und Kolumnen mit Themen wie Selbstwirksamkeit oder moderner Führung im digitalen Zeitalter.

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