Nur ein gekürztes Budget ist ein gutes Budget

Business-Satire

The same procedure as every year!“ Die Stellenabbaupläne in den Gremien von Hannes‘ Unternehmen gleichen dem Tisch von Miss Sophie in dem Silvesterstück Dinner for One. Da fehlt jedes Jahr einer mehr, sodass zu hoffen ist, dass irgendwann in der Zukunft nicht nur der Chef und ein Butler übrig bleiben.

Noch ist es aber nicht so weit. Trotzdem sind gewisse Rituale gegen Jahresende stets die gleichen. Das Schlagwort lautet „Budgetrunde“ – gepaart mit dem Zusatz „Kosten runter“. The same procedure as every year. Sobald ein neues Planungsjahr näherkommt, trifft pünktlich vom Chef-­Controller eine Nachricht ein, die das Spiel eröffnet: Bis zum Tag X haben sämtliche Divisionsleiter ihre Budgets einzureichen. Im Nachgang von etwa einer halben Stunde kommt dann eine zweite E-Mail mit dem Nachsatz des CEO, dass alle heuer den Gürtel enger schnallen müssen. Auch dieser Begriff ist immer der gleiche. Die Zeiten sind anspruchsvoll – der CEO pflegt dafür den in seinen Augen sympathischen Begriff „sportlich“ zu proklamieren. Gemäß dem unausgesprochenen Glaubensbekenntnis der Geschäftsleitung ist daher nur ein gekürztes Budget ein gutes Budget. An jeder Stelle und bei jedem Beteiligten im und am Unternehmen ist nach Möglichkeit zu sparen, jedes Jahr. Die Frage, weshalb das so ist, stellt schon längst keiner mehr.

Bloß nicht weniger Geld ausgeben

Also macht sich Hannes daran, mit den Zahlen so zu jonglieren, dass der Controller und der Chef seinen eisernen Sparwillen zwar erkennen können, er aber gleichzeitig nicht die momentan voll ausgelastete Produktion runterfahren muss. Denn wer weniger ausgibt, ist auch weniger produktiv – obwohl im Moment der Kunde mehr nachfragt, als möglich ist. Auf dem Papier respektive im System zu sparen, ist nicht dasselbe, wie weniger Geld auszugeben. Das hat Hannes inzwischen begriffen.

So zählt er einfach alles zusammen, was so oder so anfällt. In erster Linie sind das in der Produktion die Energie- und Personalkosten. Daran kann man eigentlich nicht viel ändern. Der administrative Bereich ist im Gesamtkuchen seiner Division eine Marginalie. Aber genau deshalb kommt ihm die erste Idee, wie er das Budget aufhübschen oder eben mit ersten Sparmaßnahmen versehen kann. Er holt sich den kleinsten Budgetposten aus der Administration, die Portoauslagen der physischen Post. Diese werden sowieso immer weniger. Also staucht er die voraussichtlichen Portoauslagen um zwanzig Prozent herunter. „Ja, zwanzig Prozent macht sich gut“, denkt sich Hannes. Der Nominalwert der Einsparung war noch nie entscheidend – der Wortlaut zählt. „In der Administration in gewissen Bereichen bis zu zwanzig Prozent Kosten einzusparen“ verfängt als Formulierung dermaßen, dass fürs Erste die Rückfragen, wo und wie viel eingespart wird, ausbleiben.

Ran an die großen Brocken

Dann geht’s ans Eingemachte. Hannes holt die Energie­rechnung und budgetiert den gleichen Betrag. Denn bei etwas mehr Produktion und vielleicht etwas günstigeren Energiekosten ergibt das den gleichen Wert. Daraus resultiert eine Einsparung pro produziertem Teil von einigen Prozenten. Das macht sich gut. Wobei – wie er es anstellt, dass er zu günstigeren Energiekosten kommt, weiß er noch nicht. Aber das kann er an die Einkaufsabteilung delegieren, die gefälligst mit dem Stromanbieter neu verhandeln soll. Da ist Hannes fein raus – Hauptsache, er kann das Budget frisieren. Was der andere macht, ist nicht sein Problem.

Die Krux bleiben die Personalkosten. Digitalisierung hin, Automation her: Die vergangenen Jahre zeigten, dass mehr IT und Roboterisierung tendenziell auch die Personalkosten ansteigen ließen. Den Mann an der Maschine braucht’s weniger, dafür die teureren IT-Spezialisten, den Pikettdienst (also auf gut Deutsch: den Bereitschaftsdienst), die Notfalleinsätze, die Programmierer und die Ausfallstunden wegen Systempannen.
Also ist der nächste Schritt klar: Personalkosten runter – und das trotz mehr Aufgaben. Hannes dreht sich im Kreis, bis er den Dreh raus hat.

Eine neue Kostenstelle hilft

Er unterteilt das Produktionspersonal neu in verschiedene Kategorien. Auf der einen Seite belässt er rund drei Viertel der Belegschaft in der ordentlichen Kostenstelle. Das bedeutet für die Präsentation beim Controller: Kostenstelle Produktionspersonal geht um rund zwanzig Prozent runter. Dafür ist ihm der Applaus sicher.

Auf der anderen Seite schafft Hannes eine neue „virtuelle“ Abteilung, die nur im System tatsächlich existiert. Damit ergibt sich eine neue Kostenstelle. Neue Kostenstellen werden nicht vom Sparhammer gedemütigt, da keine Vorjahresvergleiche möglich sind. Die neue Kostenstelle bezeichnet Hannes als „Security & Safe“. Er verlagert rund ein Viertel seiner Mitarbeiter formell dahin, um zu zeigen, dass im Moment nichts wichtiger ist als die Faktoren Sicherheit und Schutz. Hier sind Investitionen möglich, so wie es vor Jahren en vogue war, in das Marketing zu investieren.

Niemand stellt infrage, dass Sicherheit ein zentrales Argument ist. Was letztendlich unter Sicherheit verstanden wird und was in der Abteilung gemacht werden würde, wenn man es denn täte, ist nicht Gegenstand der Finanzdiskussionen. Jetzt geht es nur ums Geld.

So findet Hannes noch die eine oder andere Möglichkeit, um einmal mehr als Sparmeister zu brillieren und gleichzeitig keinen Cent weniger auszugeben. Tja, er beginnt allmählich so sehr an das System zu glauben, dass er das gleiche Konzept auch zu Hause umsetzen möchte. Nur – seine Frau kauft ihm einmal mehr seine geniale Idee nicht ab. The same procedure …

Ein richtig neuer Reorganisationsprozess

„Der Markt ist unberechenbarer und schneller geworden, die Anforderungen der Kunden steigen, die Digitalisierung hält Einzug und verlangt Flexibilität.“ Mit diesem Satz leitet der CEO in Hannes‘ Unternehmen die aktuelle Ausgangslage ein, zeigt 3-D-animierte PowerPoint-Slides und schließt nach dem Sechzig-Minuten-Elaborat mit den Worten: „Wir müssen unsere Organisation diesen neuen Begebenheiten anpassen.“

Selbstverständlich sind die Termine wie gewohnt sportlich, selbstverständlich bleibt uns keine Wahl, wenn wir keine Marktanteile verlieren möchten, selbstverständlich sichern wir Arbeitsplätze, wenn auch weniger, so dennoch auf lange Sicht. Vielleicht zumindest. Selbstverständlich werden Lösungen für alle Mitarbeitenden gesucht und wohl in einigen Fällen auch gefunden.

Das Beratungsunternehmen, das dem CEO zur Seite stand, hat bereits einen Vorschlag für eine neue Organisation skizziert. Man sieht das Ergebnis auf dem Slide, die Worte ergänzen die Idee: Man wird von der Vertikalisierung, der strikten Trennung der Geschäftsbereiche wegkommen und alles unter einem Dach vereinigen. Anstatt fünf HR-Abteilungen gibt es zukünftig eine zentrale, aus fünf Buying-Centern wird ein großes geschmolzen. Der Kunde hat neuerdings anstatt seinen fünf Account-Managern und fünf Client-Prozess-Beratern dank der Strategie One-client-one-face jetzt nur noch einen Ansprechpartner.

Der Applaus ist dem CEO sicher, denn genau DAS war ja das Problem in der letzten Zeit und jeder stimmt in den Chorus ein, dass das ja absolut richtig ist, dem Client-Fokus-Gedanken entspricht und by the way auch Synergien genutzt werden können. Heißt übersetzt wieder: Kosten runter.

Hannes sinniert: Er ist mit gut fünfzig Lebensjahren der Älteste in der Gruppe, mit bald zwanzig Jahren Betriebszugehörigkeit für viele nicht nur ein Fossil, sondern je nach Perspektive der innerbetrieblichen Zielgruppe entweder unersetzlich oder ein Bremsklotz. Wie auch immer: In den bald zwanzig Jahren ist das nun die sechste Reorganisation, die er miterleben darf. „Man gewöhnt sich ja auch irgendwie noch daran“, schießt es ihm durch den Kopf.

Hannes erinnert sich: Vor vier Jahren, noch beim alten CEO, war es eine seiner letzten Errungenschaften, die Vertikalisierung zwecks Kostenkontrolle einzusetzen. Er meinte, das sei absolut nötig, denn „der Markt sei unberechenbarer und schneller geworden, die Anforderungen der Kunden steigen, die Digitalisierung hält Einzug und verlangt Flexibilität.“ Nur eine klare Zuordnung sichert die Prozesssicherheit, was am Ende des Tages auch wieder dem Kunden zugutekommt. Der Gedanke, dass man nur noch die Spezialisten aus den Geschäftsbereichen auf die Kunden loslässt, war, weil nur so wirkliches Fach-Know-how direkt dem Kunden hilft.

Wiederum drei Jahre zuvor war das hohe Lied von One company, one spirit, one face allerorts in der Firma zu hören. Man hatte damals die Dach-Strategie eingeführt und die Organisation zentral, ohne diese lästigen Geschäftsbereiche geschaffen. In der Zeit, als Hannes begann, war es gerade Usus, dass man vertikalisiert …

So findet Hannes gar in alten Ordnern (ja, er hat die alle brav behalten) noch allerlei Material dazu, wie die Organisation aussah, was die CEO-Argumente waren und wie man damals die Felder im Organigramm zu füllen versuchte. Tatsächlich hatte es schon damals mehr Menschen als Felder …

Wenn er nun alle Organigramme der letzten Reorganisationen vergleicht, fällt auf: Jedes Mal wurde einfach die Matrix gedreht, jedes Mal war ein anderer CEO am Hebel, aber jedes Mal wurde die gleiche Argumentation verwendet: „Der Markt ist unberechenbarer und schneller geworden, die Anforderungen der Kunden steigen, die Digitalisierung hält Einzug und verlangt Flexibilität“.

Hannes hat eben einen Einfall. Er schreibt zwei Bücher zum Thema Organisation im neuen Zeitalter. Das scheint ein zeitloser Titel zu sein. Im ersten Buch beschreibt er das hohe Lied der vertikalen Organisationsstruktur, im anderen beleuchtet er die Dach-Struktur als die eigentlich richtige Methode. Je nach Trend im Beratermarkt gibt er dann einfach das eine oder andere heraus. Man wird sehen …

Stefan Häseli enttarnt in "Kick-Off" schonungslos die Management-Etage.
© Business Village

Diese Geschichte ist ein leicht bearbeiteter Buchabdruck von zwei Kapiteln aus Kick- off. Was so alles im Business-Alltag gesagt, erwartet und gemacht wird. Das Satirebuch ist im April 2022 erschienen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Humor. Das Heft können Sie hier bestellen.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Stefan Häseli ist Business Comedian und ausgebildeter Schauspieler. Der Schweizer Kommunikationsexperte berät Unternehmen und Führungskräfte und ist Autor mehrerer Publikationen wie Best Practice Leadershit. Absurde Wahrheiten aus den Chefetagen.

Stefan Häseli

Stefan Häseli ist Business Comedian und ausgebildeter Schauspieler. Der Schweizer Kommunikationsexperte berät Unternehmen und Führungskräfte und ist Autor mehrerer Publikationen wie Best Practice Leadershit. Absurde Wahrheiten aus den Chefetagen.

Weitere Artikel