Verschiedene Studien zeigen, dass Unternehmen, die nach purposeorientierten Grundsätzen agieren, einen höheren Innovationsgrad erreichen, schneller wachsen und mehr Marktanteile erobern als andere. Sie haben außerdem die loyalere Kundschaft und engagiertere Mitarbeitende mit einer höheren Unternehmensbindung.
Unter einer idealen, vom Purpose geleiteten Firma soll an dieser Stelle ein Unternehmen verstanden werden, das über einen reflektierten Unternehmenszweck wie einer Vision oder einer Mission, definierte Werte und entsprechender erwarteter Verhaltensweisen verfügt. Diese existieren nicht nur auf dem Papier als Marketinginstrument, sondern sind Bestandteil der strategischen Unternehmensführung und werden von Führungskräften und Mitarbeitenden täglich praktiziert und kontextualisiert.
Zwei weitere Faktoren spielen eine wesentliche Rolle: Die persönlichen Präferenzen und Prioritäten von Menschen bei der Wahl ihres zukünftigen Arbeitgebers beziehungsweise für den Verbleib beim aktuellen Arbeitgeber ändern sich. Jüngste Studien wie die Deloitte Global 2022 Gen Z and Millennial Survey zeigen, dass eine positive Arbeitsplatzkultur wesentlichen Einfluss auf das Gefühl der Zugehörigkeit hat. Die Möglichkeit, einen Sinn aus der Arbeit zu ziehen, wird als genauso wichtig bewertet, wie ein hohes Gehalt – wenn nicht sogar als wichtiger. Hinzu kommt der steigende Druck von Investoren und Institutionen, purposeorientierte Elemente und KPIs bei der Unternehmensführung zu berücksichtigen, zum Beispiel im Bereich ESG. Das Thema wandelt sich damit von der Kategorie „nice to have“ zu einer wichtigen Grundvoraussetzung, um Fremdkapital zu erhalten.
Die gemeinsamen Werte
Angesichts dieser enormen Potenziale und Chancen verwundert es nicht, dass der Bundesverband der Personalmanager*innen das Thema in einer seiner Hauptthesen für das Jahr 2023 aufgegriffen hat. In der betrieblichen Praxis stellt sich allerdings für viele Unternehmen die Frage, wie vorgegangen werden muss, um das Thema zu einem Erfolgsfaktor zu machen. Wie kaum ein anderes Thema erfordert sie ein Commitment der wichtigsten Stakeholder im Unternehmen, allen voran der Unternehmensleitung. Gleichzeitig braucht es eine breite Beteiligung aller Beschäftigtengruppen sowie einen langen Atem und Disziplin bei der Etablierung und Pflege der Werte. Kurzum: Purpose ist die Königsdisziplin der Personalarbeit.
Wie ein erfolgreiches Vorgehen in der Praxis aussehen kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Klar ist jedoch: HR nimmt hier eine Schlüsselrolle ein. Das Energieunternehmen Q Energy ist hierbei gestuft vorgegangen. Gesteuert von einem Projektteam, bestehend aus Verantwortlichen der HR und der Unternehmenskommunikation, wurde zunächst in enger Abstimmung mit der Unternehmensleitung die Vision und Mission erarbeitet. Dieser Prozess war aufgrund seiner engen Verbindung mit der Unternehmensstrategie eher top-down konzipiert.
Nach der Finalisierung von Vision und Mission folgte die Arbeit an der Ausformulierung der Unternehmenswerte. Alles begann mit einer Befragung der gesamten Belegschaft, gefolgt von Workshops an den Unternehmenstandorten in Madrid, Paris und Berlin. Die involvierten Kolleginnen und Kollegen engagierten sich freiwillig, aufgeteilt in eine gleichbleibende Kerngruppe sowie in lokale Teams jeweils an den Workshop-Standorten. Zwischen den Workshops gab es Shareback-Sessions um den aktuellen Stand der Unternehmensleitung zu spiegeln – und natürlich, um die Ergebnisse der erweiterten Projektteams schlussendlich zu beschließen. Am Ende standen die finalen Unternehmenswerte und deren Beschreibungen, die gemeinsam mit der Vision und Mission die neue Corporate Identity bilden. Anschließend erarbeitete die zentrale Projektgruppe aus HR und Unternehmenskommunikation einen Implementierungsplan. Dieser war einerseits darauf fokussiert, den Purpose und die Unternehmenswerte in allen Personalprozessen über den kompletten Employee Lifecycle zu verankern. Das betrifft das Employer Branding, den Recruitingprozess, die Integration in das Performance Management und die regelmäßigen Kompetenz- und Leistungsbewertungen. Aber auch in Führungsgrundsätzen und die kontinuierliche Information aller Beschäftigten über regelmäßige Kommunikationsinitiativen und Workshopangebote sollte der Purpose integriert werden.
Die Purpose-Strategie
Auch wenn die Implementierungsphase der Strategie noch läuft, lässt sich eines bereits heute sagen: Eine breite Beteiligung im Unternehmen ist ein Erfolgsfaktor und quasi der erste Schritt der erfolgreichen Implementierung. Denn sie öffnet Kommunikationskanäle und ermöglicht eine Reflexion auf allen Ebenen zum Thema Purpose und Werte. Der nachhaltige Erfolg hängt maßgeblich davon ab, wie gut es neben zentral geplanten Implementierungsmaßnahmen gelingt, auch die Mitarbeitenden und Führungskräfte für das Thema zu aktivieren. Denn wenn das Business sich den Purpose und die Werte nicht zu eigen macht und für Mitarbeitende und Führungskräfte nicht klar definiert ist, wie sie dies in ihrer täglichen Arbeit in die Tat umsetzen, droht die Gefahr, dass es als „HR-Thema“ abgetan wird.
Jedes Unternehmen muss seinen Weg finden, um sich von den anderen abzuheben. Dies wird nicht nur durch das beste Vergütungs- und Leistungsportfolio möglich sein. Ein effektiver, purposeorientierter Ansatz der Unternehmensführung kann zu einer unverwechselbaren Unternehmensidentität und -kultur führen, die zu einem Wettbewerbsvorteil werden kann. Die Umsetzung ist allerdings kein Selbstläufer, sondern erfordert große Anstrengungen. Gelingen diese, kann eine purposeorientierte Unternehmensführung jedoch sehr wirkungsvoll sein und wird daher in den kommenden Jahren einen festen Platz auf der HR-Agenda haben.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Emotionen. Das Heft können Sie hier bestellen.