Klimawandel, Coronapandemie, Krieg in der Ukraine, Energieknappheit: Mittlerweile ist klar, dass Krisen uns zwingen, neue Wege zu gehen. Das betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche. Auch Unternehmen spüren den Wind der zunehmend dringlicher werdenden Nachhaltigkeitsdiskussion. So setzen die ESG-Regularien (Environmental, Social and Governance) oder der Green Deal der EU, zusammen mit der EU-Taxonomieverordnung neue und verbindliche Standards. Zusätzlich zu der Herausforderung, diese gesetzlichen Vorgaben zukünftig umzusetzen, bekommt das Thema Nachhaltigkeit noch mehr Brisanz, da Nachwuchskräfte der jüngeren Generation von ihrem Arbeitgeber einen positiven gesellschaftlichen Beitrag erwarten. Nachhaltigkeit wird bei der Gewinnung von Arbeitskräften zum Wettbewerbsfaktor. Damit ist das Thema nicht mehr Kür – sondern Nachhaltigkeit wird für Unternehmen zur Pflicht, wenn sie nicht vom Markt verschwinden wollen.
Von CSR zu ESG und SDGs zu IDGs
Der seit langem etablierte Ansatz Corporate Social Responsability (CSR) unterstützt Unternehmen, ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. Allerdings wurde schon zu Anfang der 2000er Jahre der CSR-Begriff im Wirtschaftskontext als zu eng beschrieben. So wurden Programme und Maßnahmen im Sinne globaler Herausforderungen um Regularien, Gesetzgebungen und Berichtspflicht ergänzt, um verantwortungsvolles Wirtschaften gezielt zu fördern. Ab 2014 wurde im Rahmen der Vereinten Nationen das ESG-Regelwerk als notwendige Vertiefung von CSR entwickelt. Zusammengefasst kann man sagen: CSR beschreibt die generelle soziale Verantwortung von Organisationen und die ESG-Kriterien machen sie messbar.
Als weitere Konkretisierung der ESG-Kriterien haben die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in einem mehrjährigen Prozess die „Agenda 2030“ entwickelt und 2015 veröffentlicht. Die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) sind das Kernstück der Agenda 2030. Sie zielen auf die Sicherung nachhaltiger Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene und bieten einen breiten Ansatz für ein nachhaltiges Engagement, sowohl durch konkrete Projekte als auch als strategische Leitlinie nachhaltiger unternehmerischer Ausrichtung.
Ins Handeln kommen mit IDGs
Obwohl das Thema Nachhaltigkeit populärer denn je ist, hat sich in den letzten Jahren folgende Situation entwickelt: Trotz eines breiten Spektrums an Forschung und Wissen um Lösungsansätze hinsichtlich der Zukunftszenarien in ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht sind die Fortschritte auf dem Weg zur Erreichung der SDGs eher enttäuschend. Bei gleichbleibendem Aufwand ist laut der Studie von Lukas Brunke Berücksichtigung der Sustainable Development Goals im Beteiligungsmanagement. Möglichkeiten und Hürden mit einer Zielerreichung bis zum Jahr 2030 nicht zu rechnen. Die Paradoxie ist: Wir sehen und spüren die Krisen – täglich. Wir wissen, was zu tun ist, und kennen Lösungen. Wir handeln aber bei weitem zu wenig oder zu langsam. In der psychologischen Forschung und Führungsliteratur wird dieses bekannte Phänomen als Knowing-Doing-Gap beschrieben.
Die SDGs bieten Handlungsfelder, das WAS, die Unternehmen gezielt angehen können. Doch beim WIE – wie man es in der Praxis umsetzt und welche Haltung es braucht – klafft eine Lücke. Diesen Punkt zu treffen, war der Ausgangspunkt für die Entwicklung der Inner Development Goals (IDGs). Es ist die Schnittstelle zwischen Wissen und Verhalten, die neu definiert werden muss, um die Transformationsagenda der SDGs besser umzusetzen.
Vieles, was wir im Laufe unseres Lebens lernen, bezieht sich auf die äußeren Bedingungen. Doch beim Prozess der Transformation geht es um den inneren Dialog. Es geht um Überzeugungen und Werte, wie diese einen anspornen und fördern. Genau dort, wo das Innenleben auf die Außenwirkung trifft, geschieht Transformation.
Bestimmte Kompetenzen fördern, um SDG-Ziele zu erreichen
Die Gründung der IDG-Bewegung hat ihre Wurzeln in Schweden. Tomas Björkman, einer der Initiatoren der IDG-Bewegung, beschreibt in seinem Buch The Nordic Secret, wie der Ansatz eines weitreichenden Bildungskonzeptes zu einer umfassenden Transformation der nordischen Länder von landwirtschaftlichen hin zu einer technisch orientierten Gesellschaft gelang. Mit Bezug auf entwicklungspsychologische Ansätze beschreibt er, wie Bildung Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Stellhebel und zur Grundlage einer gesellschaftspolitischen Agenda wurde: „Bildung ist die Art und Weise, wie der Einzelne reift und eine immer größere persönliche Verantwortung gegenüber seiner Familie, seinen Freunden, seinen Mitbürgern, der Gesellschaft, der Menschheit, unserem Globus und dem globalen Erbe unserer Spezies übernimmt.“
Auf Grundlage dieses Ansatzes traf sich im April 2019 eine Gruppe von Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der Insel Ekskäret im Stockholmer Schärengebiet. Sie diskutierten, wie durch Bildung Impulse für Transformation so gesetzt werden könnten, dass das Knowing-Doing-Gap, also die Lücke zwischen Wissen und Verhalten, überwunden würde. Die Gespräche führten zu der Überzeugung, dass es im Wesentlichen an einer klaren Vorstellung fehlte, welche Fähigkeiten in Bezug auf die SDG-Ziele individuell und kollektiv gefördert werden müssten, damit die Umsetzung besser gelingt. Das Fazit der Gespräche war: Erstens müssen die entsprechenden Fähigkeiten beschrieben werden, und zweitens braucht es eine breite Bewegung von Akteuren, die kontinuierlich an der Umsetzung der SDG-Ziele arbeiten. Ihr Manifest Growth that Matters fordert: Um der zunehmenden Komplexität der gesellschaftlichen Herausforderungen besser begegnen zu können, müssen wir uns als Menschen und Organisationen systematisch mit dem menschlichen Wachstum befassen. Die Grundidee der IDGs nahm Gestalt an.
2021 wurde eine erste Studie mit über 800 Personen unterschiedlicher Fachrichtungen durchgeführt – von CEOs über Personalverantwortliche sowie Expertinnen und Experten aus der Beratung und Forschung. Die Forschungsfrage war: Welche Kompetenzen und Qualitäten müssen individuell und kollektiv entwickelt werden, um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung besser zu erreichen? Aus dieser Studie ging die erste Zusammenstellung der IDGs hervor.
In weiteren Schritten wurde auf Grundlage der Studie ein praxisorientierter Rahmen entworfen, ein Set von 23 Kompetenzen, dem fünf Hauptkategorien zugeordnet wurden. Diese fünf Säulen bilden einen Spannungsbogen, ausgehend von der inneren Haltung bis hin zum aktiven Handeln. Abschließend wurden für alle Kompetenzen in einer Toolbox Ansätze zur gezielten Förderung zusammengestellt.
Von der Forschung in die Praxis
Der Spannungsbogen der IDGs mit seinen Kompetenzen zielt darauf, innere Entwicklung mit dem Zielhorizont der SDGs zu verknüpfen. Das führt zu der Frage: Wie lässt sich das einüben? Die Stockholm School of Economics leistet Pionierarbeit zur Verankerung der IDGs. Alle Studierenden im Studiengang Wirtschaftswissenschaften sind verpflichtet, Kurse zum Thema Nachhaltigkeit zu belegen. Zu Beginn des Kurses werden die 23 IDG-Kompetenzen vorgestellt, gefolgt von praktischen Übungen. Diese ersten Testläufe sind vielversprechend. Allerdings steckt eine konsequente Nutzung der IDGs für Führungskräfte- und Personalentwicklung noch in den Anfängen.
Wie kann das umgesetzt werden? Nehmen wir an, eine Organisation priorisiert bestimmte SDG-Ziele im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie. Zum Beispiel die Ziele Klimaschutz (SDG 13) und die ausschließliche Nutzung sauberer Energie (SDG 12). Im nächsten Schritt erarbeiten Mitarbeitende und Führungskräfte, welche der 23 IDG-Komponenten für das Erreichen der gewählten SDG-Ziele entscheidend sind, und schätzen so die aktuelle sowie eine angestrebte Ausprägung und einen möglichen Entwicklungsbedarf ein.
Ein Blick auf das IDG-Toolkit bietet eine breite Palette wissenschaftlich fundierter Ansätze, durch die einzelne IDG-Kompetenzen gezielt gefördert werden können. Die SDG-Ziele zu Klima und Energie wären rahmengebend und die IDGs lenken den Blick unter anderem auf einen wertorientierten Umgang mit Energie. Damit zahlt die durch die IDGs eingeübte Haltung auf die Nachhaltigkeitsstrategie ein.
Aus der Umwelt- und der Gesundheitspsychologie wissen wir, dass jede Veränderung ein langfristiger Prozess ist. So misst sich die Qualität von Weiterbildung daran, wie Lerninhalte dauerhaft im Alltag umgesetzt werden. Jerry Sternin, Begründer des Positive-Deviance–Ansatzes, sagt dazu: „It is easier to act yourself into a new way of thinking than it is to think yourself into a new way of acting.“ (Zu Deutsch: „Es ist einfacher, durch Handeln zu einer neuen Denkweise zu gelangen, als durch Gedanken neue Taten zu erzeugen.“) Die IDGs als Grundhaltung und Kompetenzset zur Umsetzung der SDGs müssen diesem Test standhalten.
IDGs in der Führungskräfteentwicklung
Es wird deutlich, dass bei der Nutzung der IDGs auf dem Weg zu nachhaltigem Verhalten viele Verbindungen zu bereits gelingender Entwicklungs- und Lernpraxis gezogen werden können. Doch die IDG-Kompetenzen koppeln in erster Linie persönliche und organisationale Entwicklungsfragen direkt und stringent mit dem Thema Nachhaltigkeit. Damit flankieren sie den Korridor, den Organisationen, Führungskräfte und Mitarbeitende gezielt bei der Umsetzung der Transformationsagenda der SDGs durchschreiten.
In einem Führungskräfteprogramm wird der innere Kompass mit Blick auf persönliche Ziele, Stärken und Sinn ausgeleuchtet. Lernziele werden für eine dauerhafte Verankerung nach aktuellem Stand der Forschung aufgeladen und Hindernisse mitgedacht. Stärken zu stärken hat sich als wirksamer Selbstentwicklungsansatz erwiesen. Der bewusste Umgang mit Stärken wird von vielen Führungskräften als aktive Entlastung und als Element von Integrität und Authentizität erlebt. Zentral im Sinne der IDGs und SDGs ist nun, dass die Führungskräfte die Stärkenübung auch mit dem Team umsetzen – und die Teamstärken wiederum mit Standardtätigkeiten und nachhaltigem Verhalten verbunden werden: Wie zahlen die Stärken auf unsere Aufgaben und unser (nachhaltiges) Verhalten ein? Wie können wir das konkret verankern?
Gemeinsam den Wandel vorantreiben
Im Sinne der organisationalen Umsetzung der Nachhaltigkeitsthemen braucht es noch einen weiteren Schritt: die Reflexion auf der kollektiven Ebene. Die Frage stellt sich dann: Wie tragen unsere jeweiligen Stärken gebündelt zur Klimaneutralität bei? Wie treiben wir gemeinsam aktiv den Wandel weiter voran?
Insofern bieten IDG-basierte Entwicklungsprogramme mit der Zielsetzung, SDG-Ziele anzusteuern und zu vertiefen, die Gelegenheit, Führung wirksamer für sich selbst, die Mitarbeitenden und die Organisation zu gestalten. Dies eröffnet die Chance, präsenter und engagierter im Umgang mit den Menschen zu sein, mit denen wir zusammenarbeiten, und fördert so den Aufbau und die Pflege positiverer Beziehungen. Diese Führungshaltung, so schreibt der Neurowissenschaftler Richard Boyatzis (2011), bestärkt den positiven Einfluss auf andere, trägt zur Verbindung bei und fördert unsere Fähigkeit, zu inspirieren. So können wir besser die Ergebnisse erzielen, die für eine nachhaltige Entwicklung so dringend erforderlich sind.
Es ist zu erwarten, dass die seit 2022 in Kraft getretenen Nachhaltigkeitsregularien immer mehr Unternehmen dazu bringen werden, sich bei der Führungskräfteentwicklung an den IDGs zu orientieren. Das Erfreuliche ist, dass die Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit einzelner der IDG-Kompetenzen eindeutig sind: Sie führen messbar zu einem Aufblühen von Menschen und Organisationen. Damit stellen die IDGs schon jetzt eine attraktive Grundlage der Führungskräfteentwicklung dar.
Weitere Beiträge zum Thema:
- 4 Software-Systeme für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen
- 5 Tipps für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen
- 6 Dimensionen von Sustainable Leadership
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Spielen. Das Heft können Sie hier bestellen.