Kulturellen Austausch gab es schon immer. Gleichzeitig gilt jedoch, dass Wissen und Menschen noch nie so beweglich waren wie heutzutage. Damit ist auch die Fähigkeit zu kultursensibler Kommunikation wichtiger geworden. Um in unseren immer diverser aufgestellten Teams zu einem echten Miteinander zu finden, sollten wir drei Schritte durchlaufen: erstens dem eigenen Kulturverständnis kritisch auf den Zahn fühlen, zweitens den Blick für kulturelle Besonderheiten und Unterschiede schärfen und drittens das Gegenüber als Menschen mit multiplen kulturellen Zugehörigkeiten wahrnehmen. Im Folgenden werden diese drei Schritte anhand der Modelle des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun illustriert.
Bis heute konnte sich keine einheitliche Definition für den Begriff „Kultur“ durchsetzen. Kultur wird als Kitt beschrieben, der soziale Gruppen zusammenhält und Zugehörigkeit schafft, sowie als Orientierungssystem, das von einer sozialen Gruppe geteilt wird. Ein System, das beeinflusst, wie die Mitglieder sich in der Welt bewegen und sie erleben. Wie wir Kultur verstehen, zeigt sich in den Metaphern wie jenen von Edward T. Hall. Der US-amerikanische Anthropologe prägte das Bild des berühmten Eisberg, der verdeutlicht, dass Kulturen aus sichtbaren und unsichtbaren Elementen bestehen. Er veranschaulicht aber auch ein Verständnis von Kultur als statisches Gebilde, das – nach wie vor vorrangig auf Nationalkulturen angewendet – nach innen Einheit und nach außen Grenzen aufweist. Hall gilt als Begründer der Interkulturellen Kommunikation, ein Feld, das zur Zeit des Kalten Krieges entstanden ist und dessen Ziel zumindest am Anfang darin bestand, das Verhalten von Menschen aus anderen Ländern berechenbar und kontrollierbar zu machen. Viele Ratgeber und länderspezifische Trainings bauen heutzutage auf dieser Sichtweise auf, wenn sie etwa „die Inder“ und „die Deutschen“ gegenüberstellen und konkrete Dos and Dont’s vorschlagen.
Von wissenschaftlicher Seite wird diese Sichtweite kritisiert. Denn natürlich vereinfacht sie stark und stempelt Menschen als reine Kulturvertreter ab, meistens aufgrund von Religion, Nationalität oder ethnischer Zugehörigkeit. Zudem beschwört sie langlebige Stereotypen und Vorurteile herauf. Neuere Ansätze heben hingegen das Prozesshafte an Kultur hervor. Sie vergleichen Kultur eher mit einer Flusslandschaft, als ein hochgradig dynamisches und verflochtenes Gebilde. Transkulturalität berücksichtigt laut dem Philosophen Wolfgang Welsch, dass Kulturen nicht zwingend an Schlagbäumen enden, sondern sich gegenseitig durchdringen und dass Menschen von vielen Kulturen geprägt werden. Das Kulturverständnis verlagert somit den Fokus von kulturellen Unterschieden auf Anknüpfungsmöglichkeiten und Gemeinsamkeiten. Allerdings läuft auch ein rein transkulturelles Verständnis Gefahr, zu vereinseitigen: Wer nicht um kulturelle Unterschiede weiß, misst fremdes Verhalten ganz automatisch an den eigenen kulturgeprägten Spielregeln und verliert somit eine wichtige verständnisfördernde Orientierungshilfe.
Die Fusion beider Sichtweisen
Daraus ergeben sich Fragen: Ist es notwendig, die verschiedenen Ansätze gegeneinander auszuspielen? Sollten wir nicht vielmehr akzeptieren, dass beide Sichtweisen einen Teil der Komplexität kulturübergreifender Begegnungen greifbar machen können? Aber auch, dass beide Ansätze aber eben auch übertrieben werden können
Wo immer Menschen kulturübergreifend mit Menschen arbeiten – sei es als global agierende Führungskräfte, Mitglieder internationaler Teams und selbstverständlich auch als HR- und Personalverantwortliche –, braucht es beide Sichtweisen. Die Eisbergperspektive blickt von weit oben auf Kulturen, ermöglicht kulturelle Unterschiede zu verstehen und sprachfähig zu machen. Darüber hinaus gilt es aber unbedingt heranzuzoomen, einen zweiten, dritten und vierten Blick zu riskieren und Menschen mit all ihren individuellen Eigenheiten, zwischenmenschlichen Beziehungsgeflechten und sozialen Zugehörigkeiten zu erkennen.
Kulturelle Unterschiede sind real
Im kulturübergreifenden Kontakt ist es hilfreich, Unterschiede in Kommunikationsstil, Gesprächsrhythmen oder Formen der Körpersprache zu kennen. Dabei kann das Kommunikationsquadrat als bewusstseinsbildendes Modell helfen, die Aufmerksamkeit dafür zu schärfen, dass „die Deutschen“ in kulturübergreifenden Begegnungen oftmals Menschen begegnen werden, in denen die Beziehungsseite deutlich stärker gewichtet wird als sie es gewohnt sind; etwa in Form einer überschwänglichen Kompliment-Dank-und-Lob-Kultur. Klartext, also eine starke Gewichtung der Sachseite, ist deswegen nicht immer zielführend. Appelle haben in einigen Kulturen zwar eine besonders große Bedeutung – müssen jedoch gerade in diesen oftmals ohne Worte gelesen werden . Es kann auch vorkommen, dass kulturelle Normen festlegen, bis zu welchem Grad Menschen sich, ihre Gefühle und Bedürfnisse zeigen dürfen (Selbstkundgabe).
Solche kulturellen Prägungen lassen sich auch mit dem Modell vom Inneren Team von Schulz von Thun abbilden. Es besagt, dass jeder Mensch zu jeder Gelegenheit mehrere Seelen in der Brust hat. Indem wir innermenschliche Tendenzen, Impulse oder Persönlichkeitsanteile als innere Teammitglieder darstellen, machen wir sie greifbar und beschreibbar. Das gilt auch für innermenschliche Kulturvertreter. So können wir kulturellen Prägungen regelrecht Leben einhauchen. Wann beherrscht beispielsweise Ihr inneres Teammitglied Frau oder Herr Explizit das kommunikative Geschehen besonders stark? Also der innere Anteil, der gelernt hat, klar und direkt zu kommunizieren, etwa was die eigenen Erwartungen an andere angeht. Wann bringen Sie Ihr inneres Teammitglied Frau oder Herr Implizit zum Zug? Den Anteil, der lieber durch die Blume spricht, als unverblümt zu sein, und dafür Hinweisreize mithilfe von Gesprächspausen, Themen- oder Wortwahl indirekt platziert? Welche Stimme wurde in Ihren sozialen Bezugssystemen, also von Ihrer Umwelt, besonders gefordert und gefördert?
Oder gibt es wiederkehrende interkulturelle Konflikte in Ihrem Arbeitsumfeld? Beispielsweise weil der Spanier Herr Gonzales deutlich öfter dem inneren Teammitglied Herr Implizit den Vorrang lässt, die deutsche Frau Müller das aber gar nicht bemerkt und seine Vorschläge und Anmerkungen somit regelmäßig übergeht? Ließen sich hier vielleicht kulturtypische innere Teams oder gar ein interkultureller Teufelskreis entdecken, in dem beide Seiten das Verhalten ihres Gegenübers durch die eigene kulturelle Brille be- oder abwerten und durch ihr eigenes kulturtypisches Verhalten auch noch anheizen?
Wir brauchen transkulturellen Realismus
Dieser interkulturelle Pragmatismus steht uns oft im Wege, denn manchmal führt er dazu, dass wir Menschen als reine Kulturvertreter sehen, sie abstempeln und unsere Unbefangenheit verlieren. Deswegen braucht es auch transkulturellen Realismus: also eine Perspektive, die die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen berücksichtigt. Denn letztendlich treffen immer Personen, aber niemals Kulturen aufeinander. Diese Personen handeln und interagieren in einem gemeinsamen – weitestgehend impliziten – Prozess.
Auch wenn wir es uns nicht immer bewusst machen, stricken wir doch alle tagtäglich fleißig an unseren Kulturen mit. Je diverser ein Team aufgestellt ist, desto wichtiger ist es, die Mitglieder einzubinden und ihnen zu ermöglichen, die täglichen Begegnungen bewusst zu gestalten, und zwar ganz besonders in den folgenden Punkten: erstens Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung und zweitens das Fördern kultureller Offenheit. Denn Perspektivübernahme, Verständigungsbereitschaft, Empathie und auch der Mut zur Konfrontation beginnen im Umgang mit uns selbst.
Eine kultursensible Haltung zu entwickeln heißt, mit einer jeweils passenden inneren Aufstellung in den Kontakt zu anderen zu gehen. Mit dem Inneren-Team-Modell gesprochen gehört dazu unseren inneren Ethnozentrismus-Vertreter, den inneren Obelix aktiv auszubremsen. Denn der weiß genau, was richtig ist („my way“) und was falsch ist („Die spinnen, die Römer“). Um kulturell offen in den Kontakt gehen zu können, müssen vielmehr innere Verständigungsfachleute aktiviert werden, die über andere staunen und von ihnen lernen wollen. Diese Stimmen braucht es, denn das Gefühl wirklich gesehen zu werden, sich verstanden und akzeptiert zu fühlen, schweißt Teams zusammen und macht Menschen glücklich. Und: Für solche Begegnungen braucht es eine Dialogkultur, in der Unsicherheit, Andersartigkeit und Fremdheit erlaubt sind.
Zum Schluss noch eine wirklich gute Nachricht: Die Zauberformel für transkulturelle Kompetenz und kultursensibles Miteinanderreden lautet: einfach machen. Denn Verhalten zu verändern, verändert die Haltung. Unser Gehirn mag keine kognitive Dissonanz, sondern will, dass unsere Handlungen und unsere Einstellungen zueinander passen. Tun sie das nicht, resultieren daraus zwei Änderungsmöglichkeiten: Verhalten verändern oder Einstellungen ändern. Handlungs- und Begegnungskompetenzen entwickeln sich im Kontakt mit Menschen, wollen erst gelebt, dann verstanden und emotional verarbeitet werden. Fangen Sie also einfach an. Schaffen Sie als Team gemeinsam Räume und Momente, die zu gemeinsamen Suchbewegungen, zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Voneinanderlernen einladen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Grenzen. Das Heft können Sie hier bestellen.