Was kann HR von Business Services Centern lernen?

Zukunftskompetenzen

Das Modell Business Services Center ist in den vergangenen Jahren für die Effizienzsteigerung von Personalprozessen attraktiver geworden. Oftmals findet es in Form von Outsourcing oder Nearshoring – also die Verlagerung von Aufgaben ins nahegelegene Ausland – statt. Ging es zu Beginn meist um einfache Prozesse wie Stammdatenaktualisierung, hat es sich jüngst zu einem komplexen System entwickelt, das ins Zentrum der internen HR-Organisation rückt. Die Expertise in Business Services Centern ist gewachsen, die Rollen haben sich spezialisiert, die Fachverantwortung und regionale Abdeckung ausgeweitet.

Die ursprünglichen, transaktionalen Aktivitäten werden zunehmend von automatisierten Prozessen oder künstlicher Intelligenz übernommen. Diese Entwicklung bedeutet nicht, dass die Business-Services-Center-Tätigkeiten eingestellt werden. Ganz im Gegenteil: Sie werden weiter ausgebaut und übernehmen Expertisetätigkeiten. Beispielsweise stieg in 350 Business Services Centern in der Tschechischen Republik, ein beliebter Ort für Nearshoring, die Zahl der auf Fachexpertise beruhenden und auf Partnerlevel ausgeführten Aktivitäten seit 2016 von 61 Prozent kontinuierlich auf aktuelle 80 Prozent. Ebenso wird ein weiteres Wachstum der Beschäftigtenzahlen in den Centern erwartet, welche in den vergangenen acht Jahren um das Dreifache gestiegen sind – von aktuellen 145.000 auf antizipierte 200.000 in 2025. HR nimmt nach wie vor einen prominenten Platz in deren Tätigkeitsfeld ein. Nach Finance and Accounting rangiert HR-Administration und Recruitment auf Platz drei und vier der am häufigsten abgedeckten Bereiche. Diese Zahlen liefert der Report Business Services Sector in the Czech Republic 2022 der Association of Business Services Leaders in the Czech Republic (ABSL).

Business Services Center haben sich im wahrsten Sinne des Wortes zu einem unvergleichlichen Arbeitsort entwickelt. Er ist prozessorientiert und konzentriert in seinen Reihen ein enormes Fach- und Prozesswissen, gleichzeitig ist das Arbeitsfeld stark diversifiziert und breit aufgestellt: Angestellte betreuen auf engstem Raum, physisch als auch im übertragenen Sinn, viele Regionen, Standorte und Menschen. Es ist nicht nur ein Kundenservicecenter, sondern ein auf Effizienz und Fortschritt ausgelegter Hub. Die Center entwickeln sich zunehmend in eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung für Administrations- und Prozessoptimierung.

Die Lernkurve

Es lässt sich nun eine erste Generation von Angestellten und Führungskräften beobachten, die ihre Karriere ausschließlich in einem Business Services Center aufgebaut hat. Ebenso zeichnet sich ab, dass der internationale Arbeitsmarkt auf diese neue Generation von HR-Fachleuten mit wachsender Nachfrage reagiert. Das Business Services Center bietet ein Arbeitsumfeld, das Schlüssel- und Zukunftskompetenzen formt, die in dieser konzentrierten Form selten an einem Arbeitsplatz zu erlangen sind. Haben Personen die Möglichkeit, diese Arbeitswelt aus erster Hand näher kennenzulernen, treten unterschiedliche Hauptmerkmale hervor, die sich durch die Reihen der HR-Fachbereiche und Positionen hindurchziehen:

  • Prozessverständnis und vor allem der Drive für deren Optimierung und Digitalisierung
  • Gekonnter Umgang mit Veränderungsprozessen sowie deren Initiation und Vorantreiben
  • Bildung von Synergien und sicheres Bewegen in breiten, diversen Netzwerken
  • Ein flexibles und offenes Mindset in Bezug auf Arbeitsabläufe und Diversität am Arbeitsplatz

Es lohnt sich also, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um zu sehen, wie genau der Alltag diese Schlüsselkompetenzen prägen kann.

Prozessoptimierung und Digitalisierung: Der Daseinsgrund eines Business Services Centers ist die Prozessoptimierung. Administrative Prozessänderungen werden in der Regel vom Business Services Center in die Standorte des Mutterkonzerns getragen. Das bedeutet: diese Angestellten initiieren häufig die operative Umsetzung, also die Umschreibung in einen digitalen Prozess. Sie haben also das nötige digitale Verständnis und Fachwissen, um die Prozesse entsprechend digital zu übersetzen.

Routinierter Change-Prozess: Angestellte eines Business Services Centers fungieren häufig als Schnittstelle für die Standorte des Mutterkonzerns. Dabei sind sie regelmäßig Teil solcher Change-Projekte, sei es für mehrere Standorte oder gleich mehrere Länder. Sie werden dadurch automatisch zu Change-Agents: Sie erklären und vermarkten die neuen Prozesse an das Kollegium anderer Standorte. Flexibilität ist demnach ihr tägliches Geschäft. Dadurch entsteht eine Mentalität, Veränderung als normal zu betrachten, zu unterstützen und voranzutreiben: eine Can-Do-Mentalität.

Über den Tellerrand hinaus: Ein Wesensmerkmal des Business Services Centers ist dessen Internationalität. Im Jahr 2022 stammen 44 Prozent der Angestellten von Business Services Centern innerhalb der Tschechischen Republik aus dem Ausland. Im Durchschnitt werden dort laut Report acht Sprachen verwendet. Das Portfolio der Center beinhaltet zudem neben Westeuropa mittlerweile auch Regionen aus Mittel- und Osteuropa.

Angestellte erhalten somit nicht nur Fachwissen über lokale Gesetzeslagen, sondern lernen länderspezifische Herausforderungen im eigenen Fachbereich kennen und auch mit diesen zu arbeiten. Dadurch lernen sie automatisch mit unterschiedlichen Ländermentalitäten umzugehen, diese besser zu verstehen und zu respektieren. Dies ist vor allem wichtig, wenn es um die Vermittlung von Veränderungsprozessen geht. Der vereinfachte Austausch unter jenen, die für andere Länder zuständig sind, fördert diese Perspektive und eröffnet auch ein weites Netzwerk, das sich über Ländergrenzen hinweg erstreckt. Das permanente Agieren in diesem Umfeld lässt diese Vielfalt an Nationalitäten, Sprachen und Mentalitäten für die Angestellten zur neuen Norm werden.

Ein Rotationsmodell

Die Dynamik des Business Services Centers ist eine wertvolle Basis, in der viele Soft und Hard Skills ausgeprägt werden können, die auch bei HR-Verantwortlichen und -Führungskräften zunehmend gefragt sind. Darunter sind beispielsweise ein flexibles Mindset, ein präziser und routinierter Umgang mit Digitalisierungs- und Change-Prozessen, ein gutes Netzwerk mit einer breiten Perspektive auf den eigenen Fachbereich sowie eine sattelfeste Kommunikation mit einem heterogenen Publikum.

Es wäre ein mutiger und lohnender Schritt, das Business Services Center in die Aus- und Weiterbildung von im Mutterkonzern designierten HR-Verantwortlichen und Führungskräften zu integrieren. Sie könnten zum Beispiel phasenweise dort arbeiten, um von der Dynamik und den Kompetenzen zu profitieren. Gleichzeitig sollen Spezialistinnen und Fachleute der Business Services Center auch für eine weitere Karriere im Mutterkonzern in Betracht gezogen werden. Sie könnten an den Standorten des Mutterkonzerns eingesetzt werden, für die sie zuständig sind, und so ihre Perspektive erweitern. Von einem solchen Rotationsmodell würden beide Seiten profitieren. Es würden Kompetenzen ausgebaut und das Netzwerk erweitert werden und gleichermaßen würde das gegenseitige Verständnis für die jeweilige Arbeitsweise und die unterschiedlichen Arbeitsumgebungen gestärkt werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Grenzen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sabine Jena ist Senior Talent Acquisition Specialist EMEA beim Technologiekonzern Hexagon in Prag.

Sabine Jena

Sabine Jena ist Senior Talent Acquisition Specialist EMEA beim Technologiekonzern Hexagon in Prag. Die Wirtschafts- und Organisationspsychologin hat selbst Erfahrungen in einem Business Services Center gesammelt und beobachtet die Entwicklungen in der Tschechischen Republik seit fast zehn Jahren.

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