Am Ende eines jeden Bewerbungsprozesses steht das Unvermeidbare: der Arbeitsvertrag soll unterschrieben werden. Seitenweise erklären Unternehmen im Arbeitsvertrag, wozu der:die Bewerber:in zukünftig verpflichtet ist, was untersagt ist, und was das Unternehmen an Sanktionen vorsieht, sollte der Vertrag nicht eingehalten werden, oder: sollte gar die Entscheidung zur Annahme des Jobangebots nochmal revidiert werden. Bewerber:innen sind häufig überrascht, teilweise verschreckt und schlimmstenfalls verunsichert, ob sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen haben. Wenn auf Nachfrage beim Unternehmen dann die Antwort ist: „Das ist unser Standardvertrag, reine Formsache“, tröstet das selten.
Der Arbeitsvertrag spiegelt – schwarz auf weiß –, welchen Stellenwert die Personalarbeit im Unternehmen einnimmt. Denn im Arbeitsvertrag kommt zum Ausdruck, welche Flexibilität ein Unternehmen gewähren will, welches Vertrauen es seinen Mitarbeitenden entgegenbringt, welche Risiken es fürchtet oder ob Frauen wirklich überall wie ihre männlichen Kollegen berücksichtigt werden – kurzum: der Vertrag ist ein Aushängeschild der Unternehmenskultur. Bewerber:innen stellen jedoch leider oft eine Diskrepanz zwischen dem Bild fest, das sie von dem Unternehmen im Bewerbungsprozess gewonnen haben, und den vertraglichen Regelungen.
Dabei haben sich „gute“ Verträge längst bewährt. Und „gut“ müssen sie in zweierlei Hinsicht sein: Sie müssen rechtlich einwandfrei sein und gleichzeitig der Unternehmenskultur entsprechen. Letzteres leidet allerdings zu häufig unter dem Bemühen, den rechtlichen Standards zu genügen. Die meisten Unternehmen wagen nicht, sich über die bekannten Klauseln im Juristendeutsch ihrer Anwält:innen hinwegzusetzen.
Es sind also nicht allein die Unternehmen, die hier gefragt sind, sondern genauso ihre Berater:innen. Ihr Job ist es, die arbeitsrechtlichen Standards sprachlich passend zu verpacken, die durch Gesetze und vor allem durch die sich ständig fortentwickelnde Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und des Europäischen Gerichtshofs diktiert werden. Das kann mitunter eine echte Herausforderung sein, denn Entscheidungen der Gerichte entsprechen nicht immer der intuitiven Erwartung eines juristischen Laien. So stuft das Bundesarbeitsgericht bisweilen Formulierungen als missverständlich und damit unwirksam ein, selbst wenn allen klar war, was gemeint ist. Einen rechtssicheren und vollständigen Vertrag aufzusetzen, der Wertschätzung anstatt Misstrauen entgegenbringt, ist aber keine unlösbare Aufgabe.
Dafür ist ein – vorgelagerter – Schritt des Unternehmens notwendig: Es muss definieren, was wichtig ist und geregelt werden soll. Vor der Gestaltung des Arbeitsvertrags sollte sich deshalb jedes Unternehmen fragen, was es wie regeln will und wie es wahrgenommen werden will.
Ansprache auf Augenhöhe
Zur richtigen Ansprache zählen auch bewusste Entscheidungen: Duzen oder Siezen wir die Vertragspartner:innen? Sprechen wir sie mit Namen an oder erhalten Sie das Label „Mitarbeiter“ beziehungsweise „Mitarbeiterin“? Gibt es die weibliche Form in den Verträgen? Wir sehen immer wieder Verträge für Frauen, bei denen der Vertrag trotzdem ausschließlich von „Geschäftsführer“ oder „Arbeitnehmer“ spricht. Das lässt echte Wertschätzung vermissen und hinterlässt schlimmstenfalls das Gefühl von Diskriminierung – schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses.
Risiken versus Realität
Traditionell dienen Arbeitsverträge vor allem dem Unternehmen, sich gegen Risiken abzusichern. Da für die Arbeitnehmer:innen ein hoher Schutzstandard durch die unterschiedlichen Gesetze besteht, scheint es auf den ersten Blick gerechtfertigt, sich auf diese Weise als Unternehmen abzusichern. Das kann aber dazu führen, dass Verträge Klauseln für Themen enthalten, nur weil diese einmal Gegenstand von Gerichtsentscheidungen waren. Es fehlt ein Hinterfragen, wie sinnvoll diese Regelungen eigentlich für das jeweilige Unternehmen ist. Hierfür ist essenziell, das jeweilige Risiko zu überschauen: Ist es eine echte Gefahr, dass Mitarbeitende monatelang krank werden und viel Urlaub ansammeln? Lohnt es sich wirklich, Regeln für den Fall einer Verpfändung von Entgelt zu vereinbaren? Ist es sinnvoll, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am ersten Tag der Krankheit zur fordern, nur weil das Unternehmen es rechtlich darf? Entscheidet sich das Unternehmen dafür, dies zu regeln, sollte es auf Nachfragen auch erklären können, warum es dies tut.
Versprechen halten, Offenheit leben
Schon der Aufbau eines Vertrags vermittelt dem:der Leser:in ein Gefühl davon, wie aufgeschlossen das Unternehmen ist. Wenn im zweiten Satz bereits geregelt wird, wann, wie, unter welchen Bedingungen das Arbeitsverhältnis gekündigt werden kann, das in der Regel noch nicht begonnen hat, kann das der Vorfreude auf den Start schon einen ersten Dämpfer versetzen. Das sollte man besser – dem Employee Lifecycle entsprechend – am Ende regeln. Wichtig ist hingegen, die Benefits im Vertrag festzuhalten, die das Unternehmen im Bewerbungsprozess versprochen hat. Wenn Sabbaticals wirklich möglich sind, sollte das mit entsprechenden Formulierungen im Arbeitsvertrag vorkommen. Das gleiche gilt für die Ermutigung zur Teilzeit oder das Bekennen dazu, flexible Modelle ernst zu nehmen und zu ermöglichen. Hier sollten Unternehmen Farbe bekennen. Das bedeutet nicht, jegliche Beweglichkeit aufzugeben. Die Regel muss sein, Versprechen auch zu halten, auf entsprechende Wünsche einzugehen und so die versprochene offene Betriebskultur auch zu leben. Das Bedürfnis von Angestellten nach Flexibilität und Freiräumen wächst immer mehr. Das müssen die Unternehmen ernst nehmen, wenn sie im Arbeitgebermarkt nicht ins Hintertreffen geraten wollen.