Man könnte glauben, zu Urlaubsansprüchen im Arbeitsrecht ist alles gesagt. Aber weit gefehlt: Die europäische Rechtsprechung sorgt immer wieder für neue Fragezeichen bei den Personalverantwortlichen.
So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner berühmt-berüchtigten „Schultz-Hoff“-Entscheidung (C-350/06) festgestellt, dass Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern nicht verfallen, wenn sie aufgrund einer Erkrankung im Urlaubsjahr nicht genommen werden konnten. Fraglich ist, ob langzeiterkrankte Arbeitnehmer dann über Jahre Urlaub ansammeln dürfen. Überspitzt gesagt: Ist es sogar zulässig, dass Arbeitnehmer nach jahrelanger Krankheit sich erst den gesammelten Urlaub aus den Vorjahren nehmen dürfen, um sich von ihrer Erkrankung „zu erholen“?
Eine Antwort steht nach wie vor aus. Zwar hat der EuGH mit Urteil vom 22.11.2011 (C-214/10) entschieden, dass zumindest eine tarifvertragliche Regelung, nach der auch bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit nicht genommene Urlaubstage nach 15 Monaten verfallen, unionsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Aber was folgt daraus? Bedarf es für den Verfall zwingend einer solchen (tarifvertraglichen) Ausschlussfrist oder verfällt Resturlaub immer nach dieser Zeit? In einer ersten Folgeentscheidung urteilte das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg am 21.12.2011 (10 Sa 94/11), dass gesetzliche Urlaubsansprüche bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit auch ohne besondere Vereinbarung 15 Monate nach Ende des Urlaubjahres verfallen. Ob sich diese Ansicht durchsetzt, bleibt indes abzuwarten.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) kann demnächst für mehr „Licht am Ende des Tunnels“ sorgen. Es hat darüber zu entscheiden, wann Urlaubsansprüche von langzeitarbeitsunfähigen Arbeitnehmern beginnen zu verjähren. Wenn die Erfurter Richter das LAG Baden-Württemberg bestätigen, werden sich schon keine Verjährungsfragen stellen, weil der Übertragungszeitraum von 15 Monaten kürzer ist als die übliche Verjährungsfrist von drei Jahren. Bis dahin muss die Praxis weiter mit erheblicher Rechtsunsicherheit leben. Nur wenige Tarifverträge regeln eine klare zeitliche Befristung des Urlaubsanspruches bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern. Mit einer Klausel im Arbeitsvertrag wird sich die Praxis nicht helfen können, weil eine derartige Befristung zu Lasten des Arbeitnehmers nach § 13 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) unwirksam wäre.
Es muss letztlich aber bezweifelt werden, ob die Position von Langzeiterkrankten in den Unternehmen durch die Rechtsprechung tatsächlich gestärkt worden ist. Viele Unternehmer werden sich angesichts des Schwebezustandes fragen, ob sie nicht besser die „Reißleine“ ziehen und dauerhaft wegen Krankheit fehlende Mitarbeiter krankheitsbedingt kündigen.