Mindestlohn ist nicht grenzenlos

Arbeitsrecht

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass eine deutsche Behörde bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Bieter nicht verpflichten kann, ihrerseits nur ausländische Subunternehmer einzusetzen, die bei der Ausführung des Auftrages im europäischen Ausland ihre Arbeitnehmer nach deutschen Mindestlohnstandards vergüten (EuGH, Urt. v. 18. Sept. 2014 – C-549/13). Dies schränke die europarechtlich garantierte Dienstleistungsfreiheit ein.

Der Sachverhalt
Die Stadt Dortmund hat öffentlich die Vergabe eines Auftrages zur Digitalisierung von Akten ausgeschrieben. In den Bestimmungen der Ausschreibung hieß es, dass sich die bietenden Unternehmen dazu verpflichten, ihren Beschäftigten ein Mindestentgelt von 8,72 Euro brutto zu zahlen. Hierbei handelt es sich um den vergabespezifischen Mindestlohn des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalens (TVgG NRW). Auf diese Weise solle „Sozialdumping“ und ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer angemessen vergüten, vermieden werden. Der Mindestlohn solle ebenfalls für sogenannte Nachunternehmen gelten, die den Auftrag tatsächlich ausführen, auch wenn diese ihren Sitz nicht in Deutschland haben.

Zu den Bietern zählte die deutsche Bundesdruckerei, die elektronische Publikationen in Polen produzieren lässt. Mitarbeiter aus Deutschland werden zu diesem Zweck nicht entsendet, die Bundesdruckerei greift vielmehr auf die bestehende Infrastruktur in Polen zurück. Die Bundesdruckerei ersuchte die Stadt Dortmund um eine Bestätigung, dass für das Nachunternehmen in Polen der Mindestlohn keine Geltung entfalte und unterzeichnete die Verpflichtungserklärung bezüglich der Auszahlung des Mindestlohnes im Nachunternehmen nicht.

Nachdem die Stadt Dortmund die Bestätigung verweigerte und die Bundesdruckerei von dem Vergabeverfahren ausschloss rief die Bundesdruckerei die zuständige Vergabekammer Arnsberg an. Die Vergabekammer legte dem EuGH im Wege einer Vorabentscheidung die Frage vor, ob es der Dienstleistungsfreiheit nach Art.56 des Vertrags über die Arbeitsweise der europäischen Union (AEUV) und der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen entgegenstehe, dass die Stadt Dortmund die Zahlung des Mindestlohnes auch für im Ausland ansässige Nachunternehmen fordert.

Die Entscheidung
Der EuGH hat in der Vorabentscheidung zunächst festgestellt, dass die Richtlinie 96/71/EG keine Anwendung findet. Die Richtlinie bezieht sich auf die Entsendung von Arbeitnehmern. Vorliegend sollen aber gerade keine Arbeitnehmer entsendet werden, vielmehr soll ausschließlich auf ein Nachunternehmen im Ausland und dessen Arbeitnehmer zurückgegriffen werden.

Die Regelung des TVgG NRW wurde als unvereinbar mit der Dienstleistungsfreiheit aus Art.56AEUV eingestuft. Es stelle eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung dar, wenn ein Unternehmen verpflichtet wird, einen Lohn zu zahlen, der deutlich über dem Lohnniveau des Ortes der Leistungserbringung liegt. Zwar könne Art.56AEUV aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes eingeschränkt werden, jedoch würden hier nur wenige Arbeitnehmer von dem höheren Lohn profitieren, da eine Ausbreitung des Mindestlohnes auf dem privaten Markt nicht ersichtlich ist. Allein eine Besserstellung der Arbeitnehmer aufgrund ihrer Tätigkeit für einen öffentlichen Auftraggeber vermag nicht als Rechtfertigungsgrund greifen. Vielmehr wird durch die Verpflichtung der Zahlung des vom TVgG NRW festgelegten Mindestlohns der Wettbewerbsvorteil ausländischer Unternehmen egalisiert, da sich der vom TVgG NRW vorgeschriebene Mindestlohn nicht an den Lebenshaltungskosten und dem Lohnniveau im Ausland orientiert.

Hinweise für die Praxis
Das Urteil bezieht sich zwar lediglich auf das TVgG NRW, jedoch werden alle länderspezifischen Regelungen, die pauschal ähnliche Mindestentgelte fordern, den gleichen europarechtlichen Bedenken begegnen. Hier bieten sich künftig neue Chancen im Vergabeverfahren. Andererseits wird für in Deutschland durchgeführte Tätigkeiten das 2015 in Kraft tretende Mindestlohngesetz zu beachten sein.

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Katharina Müller

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Counsel
Osborne Clarke

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