BAG beschließt außerdem: Auch Fehler bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige begründen keinen Abfindungsanspruch.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Urteil vom 12. Februar 2019 – 1 AZR 279/17 – das Verhältnis von Sozialplanabfindung und Nachteilsausgleich bestätigt und (erstmals) geklärt, dass Verstöße gegen das Massenentlassungsverfahren keine Abfindung begründen können.
Selbst ein betriebsverfassungstreues Unternehmen mag in die Situation kommen, von einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich abweichen zu müssen. Auch kommen immer wieder Verstöße gegen die Vorschriften zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige vor. In derartigen Fällen stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis eine Sozialplanabfindung nach § 112 BetrVG zu einem gerichtlich gegebenenfalls festgesetzten Nachteilsausgleich im Sinne von § 113 BetrVG steht und ob ein Verstoß gegen das Verfahren zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige einen Abfindungsanspruch begründen kann – dies wurde bislang offen gelassen im BAG-Urteil vom 16. Mai 2007, 8 AZR 639/0.
Die bisherige Rechtslage
Die Rahmenbedingungen, auf Grund derer letztlich eine Einigungsstelle Abfindungen festsetzen kann, sieht das Sozialplanrecht vor, insbesondere § 112 Abs. 5 BetrVG. Es sollen (nur) die wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen oder gemildert werden, die zum Beispiel durch den Wegfall des Arbeitsplatzes entstehen. Des Weiteren können Arbeitnehmer sogar ganz von Abfindungsleistungen ausgeschlossen werden, wenn sie zumutbare Arbeitsverhältnisse – etwa in einem anderen Betrieb des Unternehmens – ablehnen. Gerade in Zeiten der Vollbeschäftigung ist es in Abhängigkeit von der Ausbildung, den Kenntnissen und Fähigkeiten eines Arbeitnehmers gesetzlich vertretbar, in einem Sozialplan Abfindungsleistungen basierend auf niedrigen Faktoren zu vereinbaren.
Derartige Einschränkungen sieht § 113 BetrVG betreffend den Nachteilsausgleich nicht. Dort wird zur Bestimmung einer gerichtlich festzusetzenden Abfindungsleistung auf § 10 KSchG verwiesen. Ohne irgendwelche individuellen oder unternehmensbezogenen Einschränkungen können hiernach Abfindungen bis zu 12 Monatsverdiensten oder bei Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, bis zu 15 Monatsverdiensten gerichtlich festgesetzt werden.
Grund für diese unter Umständen weitaus höhere Abfindungsleistung für den Verlust des Arbeitsplatzes ist, dass § 113 BetrVG in erster Linie den Zweck verfolgt, den Unternehmer durch Androhung einer finanziellen Sanktion zur Durchführung des vorgesehenen Interessenausgleichsverfahrens beziehungsweise zur Einhaltung eines vereinbarten Interessenausgleichs anzuhalten. Sanktioniert werden soll ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Unternehmens (vgl. ErfK/Kania, 19. Auflage 2019, BetrVG § 113 Rd.Nr. 1).
Um eine doppelte Inanspruchnahme einer Sozialplanabfindung und eines Nachteilsausgleichs zu vermeiden, mussten in Sozialpläne entsprechende Anrechnungsklauseln aufgenommen werden.
Zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Februar 2019
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, deren Arbeitsverhältnis vor Abschluss des erforderlichen Interessenausgleichs gekündigt wurde. Nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses schloss das beklagte Unternehmen mit seinem Betriebsrat einen entsprechenden Sozialplan. Die Arbeitnehmerin forderte einen Nachteilsausgleich in Höhe von 16.307,20 Euro, der Sozialplan sah eine Abfindung in Höhe von 9.000,00 Euro vor. Diesen Betrag zahlte die Arbeitgeberin aber unter Hinweis auf den ausgeurteilten Nachteilsausgleich nicht aus.
Auch das Bundesarbeitsgericht hat die Klage auf die Sozialplanabfindung abgewiesen. Es wiederholt den bereits in den Entscheidungen vom 20. November 2001 1 AZR 97/01 sowie vom 16. Mai 2017 8 AZR 693/06 zu findenden Rechtsgedanken, dass durch die Betriebsänderung entstehende Nachteile nicht doppelt ausgeglichen werden sollen und erteilt damit Stimmen in der Literatur (DKKW/Däubler, §§ 112, 112a, Rdnr. 163 sowie GK-BetrVG/Oetker § 113 Rdnr. 108) eine Absage, die insoweit dann den Sanktionscharakter des § 113 BetrVG vermissen. Aber auch das immer wieder vorgetragene Argument, dass Verstöße gegen das Massenentlassungsanzeigeverfahren für eine Abfindungsberechtigung sprechen sollen, wies das Bundesarbeitsgericht nun in dieser Entscheidung zurück. Maßgeblich sei, dass Verstöße gegen das Massenentlassungsanzeigeverfahren zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung führen, eine finanzielle Sanktionierung des Verhaltens des Arbeitgebers hierdurch aber nicht geboten sei (vgl. schon Leuchten/Lipinski NZA 2003 S. 1361).