Über die Reformpläne der EU zur EBR-Richtlinie

Meinung

Kopf hinter den Reformplänen ist Dennis Radtke, Industriekaufmann, langjähriger IG BCE Gewerk­schaftssekretär in Nordrhein-Westfalen und seit 2017 auf CDU-Ticket Mitglied im Europäischen Parlament (MEP) in der EVP-Fraktion in Straßburg. Seit März dieses Jahres ist er auch Präsident der Europäischen Union Christlich-Demokratischer Arbeitnehmer (EUCDA). Bereits am 2. Februar 2023 hat das Plenum des Europäischen Parlamentes (EP) – im Wesentlichen auf der Grundlage des Berichts zur Revision der EU-Richtlinie 2009/38/EG über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates („Radtke-Report“) – die Europäische Kommission mit großer Mehrheit aufgefordert, bis zum 31. Januar 2024 ein Gesetzgebungsverfahren für eine neue EBR-Richtlinie einzuleiten.

Um das zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, in welcher Rechtsposition Europäische Betriebsräte (EBR) sich heute befinden: Ihnen stehen Unterrichtungs- und Anhörungsrechte zu. Einmal jährlich hat die zentrale Unternehmensleitung in Europa den EBR über die Entwicklung der Geschäftslage und die Unternehmensperspektiven zu unterrichten. Darüber hinaus bestehen ad-hoc Informations- und Zusammenkunftsrechte bei außergewöhnlichen Umständen (in Deutschland gemäß Paragraf 30 Europäisches Betriebsräte-Gesetz (EBRG), bei Massenentlassungen, Stilllegungen und Unternehmensverlegungen). Unterlassungsansprüche oder Widerspruchsrechte bestehen nicht. Verstöße gegen diese Unterrichtungspflicht können mit einer Geldbuße von bis zu maximal 15.000 Euro (§ 45 II EBRG) als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Das soll sich nun wie folgt ändern:

  1. Recht der einstweiligen Verfügung:
    Setzten sich die Vorstellungen des EP durch, stünden dem EBR erstmals Unterlassungsansprüche zu, wenn seine Unterrichtungs- und Anhörungsrechte verletzt würden. Hier möchte das EP den Rechtsweg eröffnen und dem EBR die Möglichkeit geben, mittels einstweiliger Verfügung den vorübergehenden Stopp der Umsetzung von Entscheidungen der Unternehmensleitung zu beantragen.
  2. Ungedeckelte Kostentragungspflicht:
    Die mit der Beschreitung dieses Rechtsweges verbundenen Kosten sollen vom Unternehmen zu tragen sein. Diese im deutschen Recht bekannte – zumindest an die Erforderlichkeit geknüpfte – Kostentragungspflicht (§ 39 EBRG) ist in anderen europäischen Ländern weitgehend unbekannt.
  3. Verfahrensausweitung, wenn Unternehmens­interessen berührt sind:
    Ferner ist vorgesehen, dass der EBR vor der endgültigen Entscheidung der Unternehmensleitung von dieser eine begründete Antwort auf seine Stellungnahme erhalten soll. Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass für diesen Verfahrensablauf „genügend“ Zeit zur Verfügung steht und einem Gewerkschaftsmitglied (welchem aus welchem Land ist nicht näher definiert) sowie mindestens einem vom Arbeitgeber zu bezahlenden Sachverständigen der Zugang zu den Sitzungen mit der zentralen Unternehmensleitung zu gewähren ist.
  4. Verfahrensverkürzung, wenn EBR-Interessen ­berührt sind:
    Europäische Betriebsräte werden regelmäßig auf der Grundlage einer Verhandlungslösung (sogenannte „EBR kraft Vereinbarung“) gegründet. Die dafür zur Verfügung stehende Zeit soll von bisher 36 auf nunmehr 18 Monate verkürzt werden. Kommt es innerhalb dieser Frist nicht zu einer Einigung zwischen zentraler Unternehmensleitung und besonderer Verhandlungskommission, soll automatisch eine EBR-Gründung „kraft Gesetzes“ erfolgen.
  5. Ausweitung der EBR-Anhörungsrechte:
    Nach dem Willen des EP soll die Zuständigkeit des EBR, die gegenwärtig auf transnationale Sachverhalte begrenzt ist – die Unternehmensentscheidung muss also mindestens zwei Staaten betreffen –, auf nationale Sachverhalte ausgeweitet werden. Dies soll immer dann gelten, wenn und soweit die diesem nationalen Sachverhalt zugrunde liegende Entscheidung außerhalb des betroffenen Landes gefällt wurde oder diese eine erhebliche Bedeutung für die gesamte europäische Belegschaft hat. Woran diese Erheblichkeit zu messen ist, bleibt offen.
    Ferner soll zukünftig erst dann final entschieden werden dürfen, wenn der Arbeitgeber dem EBR eine begründete Antwort auf dessen Stellungnahme hat zukommen lassen und last, but not least sollen die Plenarsitzungen statt wie bisher einmal nun zweimal jährlich stattfinden.
  6. Bußgeldbescheide in Millionenhöhe:
    Um das Thema abzurunden, sollen Verstöße gegen diese Rechte des EBR mit Geldstrafen bis zu einer Höhe von 20 Millionen Euro oder bis zu vier Prozent des weltweit erzielten Jahresumsatzes geahndet werden können, was mehr als einer Vertausendfachung des gegenwärtigen Strafrahmens entspricht.

Braucht Europa das, brauchen ­internationale Belegschaften das?

Der Vorstoß schießt über das Ziel hinaus. Neben der vernünftigen und nachvollziehbaren Forderung nach einer begründeten Antwort der Unternehmensleitung vor finaler Entscheidung und einer Anpassung des Bußgeldrahmens (hier werden erkennbar Anleihen aus dem Kartellrecht genommen, die allerdings für die hier in Rede stehenden Sachverhalte unangemessen hoch, weil nicht vergleichbar zum Kartellrecht sind) führt insbesondere das Institut der einstweiligen Verfügung in die Irre!

Der Vorschlag verkompliziert die ohnehin schon äußerst komplexen und fordernden Transformationsprozesse noch weiter. In einer Welt, in der Geschwindigkeit, Veränderungsbereitschaft, Mut und digitales Mindset den Erfolg von Unternehmen und damit auch das Wohl und Wehe internationaler Belegschaften bestimmen, wirkt ein derartiger Ansatz als weiterer massiver Bremsklotz.

Notwendige Anpassungen und Weiterentwicklungen – die Auseinandersetzung über Umstrukturierungen, Verlagerungen oder gar Schließungen findet auf nationaler Ebene ja ohnehin statt und folgt dort den jeweilig legal institutionalisierten Prozessen – werden weiter verkompliziert. Europa fällt zurück und niemandem ist gedient. Vielmehr wird die ohnehin schon schwierige Verständigung zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung nun auch noch auf die europäische Ebene gezogen. Frei nach dem Motto: Stemmst du dich gegen die Veränderung bei mir in Land A, stemme ich mich gegen die Veränderung bei dir in Land B. Und das alles ohne jedes Limit auf Kosten der Arbeitgeber.

Selbst aus einer eher gewerkschaftlich geprägten Perspektive erscheint dies wenig sachgerecht. Führt man sich vor Augen, dass all das bereits ab einer Unternehmensgröße von 1.000 Mitarbeitenden in der EU mit mindestens jeweils 150 Mitarbeitenden in zwei Ländern zum Tragen käme, wird deutlich, dass das hier schnell zu einer vollständigen Überforderung führen kann – in verfahrenstechnischer wie finanzieller Hinsicht. Wer jemals eine Plenarsitzung eines EBR organisiert und durchgeführt hat, weiß, dass inklusive aller Reise-, Unterbringungs-, Übersetzungs- und Personalkosten schnell ein sechsstelliger Betrag erreicht wird. Hinzu kommen erhebliche zusätzliche Anwalts- und Verfahrenskosten vor den Arbeitsgerichten – das kann niemand wollen. Jenseits dieser eher monetären Aspekte geht aber auch die Annahme, das viel Reden viel hilft und noch mehr Reden noch mehr hilft, in einer Zeit, in der Geschwindigkeit über das Wohl und Wehe ganzer Wirtschaftszweige entscheidet, fehl.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Emotionen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Gernot N. Brenscheidt

Gernot N. Brenscheidt ist Volljurist mit beinahe 30 Jahren ­Erfahrung in nationaler und internationaler HR-Arbeit. Als Director Employee & Labor Relations EMEA verantwortet er bei Eaton die Arbeitnehmerbeziehungen, einschließlich des Europa­betriebsrates und der Gewerkschaftsbeziehungen in 45 Ländern. ­Brenscheidt ist Mitglied des Gesamtvorstandes beim Bundes­verband der Personalmanager*innen (BPM) und Leiter der Fach­gruppe Arbeitsrecht des BPM.

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