Arbeit nach Wahl und damit mehr Flexibilität – im Zuge der Digitalisierung könnte dies ein Element sein, um die Arbeitsmodelle in Deutschland zukunftsfähig zu machen. Im neuen Weißbuch des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) gibt es hierzu einige Ansätze. Ein Überblick.
Die Digitalisierung auch der Arbeitswelt, schlagwortartig als „Arbeit 4.0“ bezeichnet, wirft viele Fragen auf, so auch in Bezug auf den Fortbestand oder Änderungen im Arbeitszeitrecht. Im Ergebnis eines Dialogprozesses zwischen Verbänden, Gewerkschaften und Unternehmen hat Arbeitsministerin Andrea Nahles am 29. November 2016 den Entwurf eines Weißbuches vorgelegt. In ihm sind aus BMAS-Sicht die bisherigen Ergebnisse dieses Dialogprozesses zusammengefasst und erste Schlüsse gezogen. In Kapitel 4.2 des Weißbuches (S.115 ff) finden sich vom BMAS identifizierte Gestaltungsaufgaben und mögliche Lösungsansätze zur „Arbeitszeit: flexibel, aber selbstbestimmt“, die nachstehend näher vorgestellt werden:
Prinzipiell hält das BMA den bestehenden gesetzlichen Rahmen in punkto Arbeitszeit für hinreichend flexibel; darüber hinaus gehende Spielräume seien nur auf dem Weg ausgehandelter Flexibilitätskompromisse im Sinne passgenauer Lösungen denkbar, ohne die Zeitsouveränität und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu beeinträchtigen. Eine allgemeine Öffnung des Arbeitszeitgesetzes und eine Abkehr von 8-Stundentag als Regelfall etwa zugunsten einer Wochenhöchstarbeitszeit kommen für das BMAS nicht in Betracht.
3 zentrale Ziele des BMAS im Ergebnis des Dialogprozesses:
- Schutz der Gesundheit der Beschäftigten vor Entgrenzung und Überforderung
- Mehr Zeit- und Ortssouveränität durch mehr Wahlarbeitszeitoptionen
- Mehr Raum für betriebliche Gestaltung durch Anreize für sozialpartnerschaftlich ausgehandelte Flexibilität und neue Kompromisse für innovative Arbeitsorganisation
Diese Ziele könnten mittelfristig in einem Wahlarbeitszeitgesetz verankert werden.
Der Gedanke eines Wahlarbeitszeitgesetzes geht auf das Gutachten der Sachverständigenkommission an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für den 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2011 (vgl. dort S. 172 ff) zurück; an ihn anknüpfend hatte der Deutsche Juristinnenbund (djb) ein solches Konzept 2015 vorgeschlagen(vgl. S. 121 ff).
Nach den djb-Vorstellungen soll danach jeder Beschäftigte sowohl in Bezug auf Dauer und Lage der Arbeitszeit als auch auf den Arbeitsort einen individuellen Anspruch auf Änderung der jeweiligen vertraglichen Arbeitszeit haben. Diesen Anspruch soll der Arbeitgeber nur aus dringenden betrieblichen Gründen ablehnen können; solche Gründe seien jedenfalls gegeben, wenn der individuelle Arbeitszeitwunsch mit einem innerhalb des Unternehmens erarbeiteten betrieblichen Wahlarbeitszeitkonzept unvereinbar ist (Konzept der regulierten Selbstregulierung). Das heißt die Ausgestaltung der Wahlarbeitszeit obläge den Betriebsparteien und das Gesetz würde insoweit Verfahren, Fristen und Beteiligungsrechte vorgeben.
Das BMAS sieht dies etwas differenzierter. In einem Recht auf Homeoffice mit freier Wahl des Arbeitsortes erkennt es zwar eine Möglichkeit zur Stärkung individueller Ansprüche. Da trotz allem viele Tätigkeiten ortsgebunden sind, meint das BMAS, es müsse sich bei einem solchen Recht nicht zwingend um einen – vorbehaltlich entgegenstehender betrieblicher Interessen – durchsetzbaren Anspruch handeln. Auch in den Niederlanden und in Großbritannien gebe es lediglich einen Anspruch, den Wunsch auf ein Homeoffice mit dem Arbeitgeber zu erörtern, so dass dieses Instrument vor allem zum Anstoss von Diskussionsprozessen auf betrieblicher Ebene diene.
Den im Koalitionsvertrag schon vereinbarten Plan, im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ein allgemeines Recht auf befristete Teilzeit zu regeln, sieht das BMAS als wichtigen Schritt, Zeitsouveränität zu stärken und in Richtung einer Wahlarbeitszeit auszubauen. Dieses Vorhaben soll Beschäftigten, die sich für eine befristete Teilzeitphase entscheiden, die Rückkehr zur früheren Arbeitszeit sichern.
Mögliche Elemente eines Wahlarbeitszeitgesetzes aus Sicht des BMAS:
- Recht der Beschäftigten entsprechend dem Ziel einer befristeten Teilzeit, unter noch festzulegenden Voraussetzungen und einzuhaltenden Fristen die Dauer ihrer Arbeitszeit zu wählen
- Erörterungsrecht in Bezug auf die Lage der Arbeitszeit (auch ohne beabsichtigte Arbeitszeitreduzierung) und auf den Arbeitsort
- konditionierte und begrenzte Abweichung vom derzeitigen ArbeitszeitG in Bezug auf die Tageshöchstarbeitszeit und die Ruhezeit auf Initiative einer der Arbeitsvertragsparteien, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Öffnung des Arbeitszeitgesetzes durch einen Tarifvertrag, in dem auch die Beschränkung auf bestimmte Beschäftigtengruppen und beziehungsweise oder genauere Anforderungen an betriebliche Wahlarbeitszeitkonzepte festgelegt werden können
- Betriebsvereinbarung über Wahlarbeitszeitkonzepte zur Festlegung weiterer Details wie zum Beispiel Aufzeichnung der Arbeitszeit und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung
- individuelle Zustimmung zur Öffnung durch betroffene Beschäftigte
- Bereitschaft der Betriebe, die Auswirkungen im Rahmen eines Experimentiereraums zu evaluieren oder evaluieren zu lassen und der Bundesregierung die Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. Umsetzung neuer Schutzrechte zur Kompensation des Mehr an Flexibilität wie zum Beispiel Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden auch bei Überschreitung der gesetzlichen Tageshöchstarbeitszeit von zehn Stunden, Ausgleich durch einen freien Arbeitstag spätestens in der Folgewoche. Jedenfalls sollten die geltenden Ausgleichszeiträume, in denen im Schnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden dürfen, deutlich enger gefasst werden.
Die Idee betrieblicher Experimentierräume, in deren Rahmen ergebnisoffen neue Arbeitszeit- und Organisationsmodelle entwickelt und konkrete Veränderungen im direkten Betriebsablauf erprobt werden können, geht zurück auf einen Vorschlag der IT-Gipfel-Plattform „digitale Arbeitswelt“, einer Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlern, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Politik unter der Leitung der Bundesarbeitsministerin und des IG-Metallvorsitzenden Hofmann.
Praxishinweis
Trotz des schnellen Wandels der Arbeitswelt ist in nächster Zukunft wohl nicht mit Änderungen im Arbeitszeitrecht zu rechnen. Ob das Recht auf befristete Teilzeit noch in dieser Legislaturperiode kommt, bleibt abzuwarten. Ein mögliches Arbeitszeitwahlgesetz sieht selbst das BMAS nur „mittelfristig“. Wird es im Sinne der vom BMAS selbst so genannten „lernender Politik“ befristet, dürften Jahre vergehen, bis es zu verlässlichen gesetzlichen Regeln kommt, die Planungssicherheit geben. Bis dahin wird sich die Praxis wieder einmal selbst behelfen müssen. Deshalb sind überlegte und weitsichtige Arbeitsverträge ebenso wie entsprechende Betriebsvereinbarungen im Alltag wichtiger denn je. Jeder Arbeitgeber sollte ihnen seine Aufmerksamkeit widmen.