Wann verwirkt der Anspruch auf Zeugnisberichtigung?

Kündigung

Sachverhalt

Nachdem die Beklagte mehrmals erfolglos versucht hatte, dem Kläger zu kündigen, endete das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Klägers zum 31. März 2019. Das ihm drei Monate später unter dem 29. Juli 2018 erteilte Arbeitszeugnis beanstandete der Kläger einen Monat später als „völlig inakzeptabel“. Er bemängelte einzelne Punkte der Tätigkeitsbeschreibung und wollte eine „sehr gute bis gute“ Leistungs- und Verhaltensbeurteilung. Das daraufhin leicht korrigierte Zeugnis beanstandete der Prozessbevollmächtigte des Klägers binnen zwei Wochen erneut. Es sei noch immer „unterirdisch“ und entspreche offensichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Beklagte schädige den Kläger vorsätzlich und sittenwidrig und nehme in Kauf, dass er durch das Zeugnis schwere Nachteile im beruflichen Fortkommen erleide. Auszugsweise hieß es in diesem Zeugnis:

Nachdem Herr … zum … auf die Position eines Produkt & Sales Englneer… gewechselt hatte, stellte sich … heraus, dass er bereits drei Jahre zuvor, noch während seiner Tätigkeit im Produktmarketing, eine kundenspezifische und daher streng vertrauliche, zutiefst technische Zeichnung an einen direkten Konkurrenten übermittelt hatte. Nach diesseitiger Auffassung enthält diese Zeichnung unbedingt geheim zu haltende Informationen und Betriebsgeheimnisse und hätte unter keinen Umständen an jemand anderen als den in der Zeichnung benannten Kunden herausgegeben werden dürfen. Nachdem dieser Vorfall bekannt und aufgeklärt wurde, wurde Herr … unverzüglich freigestellt. Seitdem wurde er lediglich im Rahmen sogenannter Prozessbeschäftigungen weiterbeschäftigt.

Herr … erbrachte während seiner Tätigkeit als Produkt & Sales Englneer … eine insgesamt schwache Leistung. Zwar zeigte er im Großen und Ganzen Interesse an seinen Aufgaben. Es war ihm indes nicht möglich, diese zu unserer Zufriedenheit zu erfüllen. Herr … war dem … Arbeitsumfang sowie den Herausforderungen der einzelnen Aufgaben nicht gewachsen. Insbesondere in Phasen erhöhten Arbeitsanfalls zeigte sich, dass Herr … nicht belastbar war.

Aufgrund seiner nur geringen Leistungsfähigkeit und seines Verhaltens im Rahmen seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit konnte Herr … sich nicht in die Betriebsgemeinschaft einfügen. Sein Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten war daher von Spannungen geprägt.

Die vormals gezeigten Leistungen … wurden durch seinen leichtfertigen Umgang mit vertraulichen Informationen und seine diesbezüglich bis heute fehlende Einsichtsfähigkeit für unser Unternehmen vollständig entwertet.“

Die Forderung des Klägers, ihm Ersatz der anwaltlichen Gebühren als finanziellen Schaden gemäß § 826 Bürgerliches Gesetzbuch zu zahlen, blieb auch erfolglos.

Rund zwei Jahre später erhob der Kläger Zeugnisberichtigungsklage. Explizit kritisierte er das von einem vorangegangenen Kündigungsschutzprozess geprägte unzutreffende Beendigungsdatum im erteilten Zeugnis. Er habe keine technischen Zeichnungen an Dritte übermittelt und sei von diesem Vorwurf durch die vorausgegangenen Kündigungsschutzprozesse rehabilitiert. Die Aufnahme solcher Vorwürfe habe in einem Arbeitszeugnis nichts zu suchen und sei daher zu entfernen. Daher beantragte der Kläger, ihm ein wohlwollendes, berufsförderndes und qualifiziertes Arbeitszeugnis mit einem konkret formulierten Text zu erteilen. Die Beklagte meinte, der Berichtigungsanspruch sei verwirkt.

Die Entscheidung

Anders als das Arbeitsgericht Stuttgart hielt das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (31.05.2023 – 4 Sa 54/22) den Berichtigungsanspruch nicht für verwirkt. Verwirkung setze voraus, dass ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht worden sei, obwohl der Berechtigte dazu in der Lage war (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das (gesamte) Verhalten des Berechtigten habe darauf einrichten dürfen und sich auch darauf eingerichtet hat. Auch künftig werde der Berechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment). Zwar sei vorliegend das erforderliche Zeitmoment gegeben. Es fehle aber am Umstandsmoment. Angesichts der zeitnahen Zurückweisung des erteilten Zeugnisses mit harschen Worten wie „völlig inakzeptabel“, „unterirdisch“ und dem Vorwurf sittenwidriger Schädigung habe die Beklagte nicht darauf bauen dürfen, dass der Kläger von der weiteren Verfolgung seines Berichtigungsanspruchs Abstand nimmt.

Praxisfolgen

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg überzeugt und ist aus mehreren Gründen lesenswert. Angesichts der Umstände des konkreten Falls ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts gut nachvollziehbar. Die Beklagte habe es erkennbar darauf angelegt, dem Zeugnis die Tauglichkeit für künftige Bewerbungen zu entziehen. Die Beklagte hatte gewiss keinen Anlass, anzunehmen, der Kläger werde das Zeugnis akzeptieren, zumal ein Zeugnis nicht nur den Zweck hat, eine Anschlussbeschäftigung zu finden, sondern auch Grundlage für künftige Bewerbungen ist.

Lesenswert ist das Urteil aber auch deshalb, weil es die geltenden Rechtsprechungsgrundsätze zur Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit einschließlich des durch die Wahrheitspflicht begrenzten Wohlwollensgrundsatzes ebenso anschaulich wie kompakt zusammenfasst. Das schließt Hinweise zur Darlegungs- und Beweislast ein. „Zur vollen Zufriedenheit“ ist eine Durchschnittsbeurteilung; für darüber liegende, bessere Beurteilungen ist der Arbeitnehmende darlegungs- und beweisbelastet, für eine unterdurchschnittliche der Arbeitgeber. Und wenn es an entsprechendem Vorbringen der Parteien fehlt, sind die Arbeitsgerichte auch berechtigt, ein Zeugnis selbst neu zu formulieren. Nicht zuletzt bestätigt das Landesarbeitsgericht, dass es keinen gesetzlichen Anspruch auf die dennoch verbreitete Schlussformel gibt, die Dank, Bedauern und gute Wünsche beinhaltet.

Fazit

Für Arbeitgeber gilt: Arbeitszeugnisse sind keine Spielwiese zur Verarbeitung von Enttäuschungen über verlorene Kündigungsschutzprozesse. Und Arbeitnehmende müssen Defizite in ihnen erteilten Zeugnissen zeitnah geltend machen, wollen sie nicht Gefahr laufen, sich dem Einwand der Verwirkung eines etwaigen Berichtigungsanspruchs auszusetzen.

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Axel J Klasen, Foto: Privat

Axel J. Klasen

Axel J. Klasen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GvW Graf von Westphalen.

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