Fluktuation gestalten, nicht verhindern

Personalmanagement

Die Freiheit der Angestellten, ihrem Unternehmen den Rücken zu kehren, ist eine der größten Herausforderungen für das Human Resources Management. Abhilfe schafft dabei das Fluktuationsmanagement. Es ist ein Konzept, das die Treiber der Fluktuation erklärt und das Handwerkszeug liefert, den Personalaustausch so zu gestalten, dass die freie Entscheidung der Beschäftigten den Anforderungen des Geschäftsmodells entspricht. Welcher Zustand der Fluktuation erstrebenswert ist, lässt sich mithilfe einiger Prinzipien aus der Unternehmensstrategie ableiten. Die Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen, müssen selektiv an die Mitarbeiterbedürfnisse und die Anforderungen des Unternehmens angepasst werden.

Prinzipien im Fluktuationsmanagement

1. Fluktuation ist nicht willkürlich. Sie ist keine Naturkatastrophe, sondern die logische Konsequenz externer Gegebenheiten und interner Entscheidungen. Ein wirtschaftliches Unternehmen sollte daher im eigenen Interesse die Verantwortung für die zielgerichtete Gestaltung der Fluktuation übernehmen. Verantwortung bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass das Unternehmen schuld daran ist, wenn Mitarbeiter kündigen. Alternativen am Arbeitsmarkt, Ereignisse im Privatleben oder Sachzwänge haben einen großen Einfluss auf solche Entscheidungen und limitieren den Handlungsspielraum des Unternehmens. Doch dies sind die Spielregeln des Fluktuationsmanagements und dieser Umstand darf keine Ausrede sein, abzuwarten.

2. Fluktuation ist Mittel, niemals Zweck. Fluktuation hat keinen Eigenwert und allein die Folgen des Personalwechsels haben Bedeutung für das Unternehmen. Die Gestaltung der Fluktuation darf daher niemals Selbstzweck sein, sondern muss den übergeordneten Unternehmenszielen dienen, wie Produktivität zu steigern, Kosten zu senken oder Innovation zu beschleunigen. Diese Ziele liefern gleichzeitig einen Maßstab zur objektiven Bewertung. Wenn eine Maßnahme diesen primären Zweck nicht erfüllt, der Aufwand größer ist als der Mehrwert oder eine Alternative bessere Ergebnisse verspricht, ist die Maßnahme unökonomisch und sollte beendet werden. Anstatt also dogmatisch eine Strategie umzusetzen, sollte unvoreingenommen jeder Lösungsweg betrachtet werden.

3. Fluktuation ist weder positiv noch negativ. Die Auswirkungen der Fluktuation sind für jedes Unternehmen andere und können gut und schlecht sein. Selbst innerhalb eines Unternehmens gibt es Elemente der Fluktuation mit funktionalen und dysfunktionalen Konsequenzen. Die Kündigung von Mitarbeitenden, die mit ihrer Arbeit unzufrieden oder überfordert sind, kann durchaus wünschenswert sein. Wenn aber die Kompetenz für den Arbeitsablauf unersetzlich ist und es am Arbeitsmarkt keine Alternativen gibt, ist ein unzufriedener oder überforderter Mitarbeiter trotzdem besser als gar keiner. Nehmen Sie eine unzuverlässige Lokführerin: Wenn die Alternative ist, dass der Zug gar nicht fährt, sollte diese Arbeitskraft lieber im Unternehmen bleiben. Die Fluktuation ist folglich keine Katastrophe, die es im Sinne der Mitarbeiterbindung zu vermeiden gilt. Richtig eingesetzt, ist der durch Fluktuation hervorgerufene Personalaustausch eine Chance, positive Veränderungen in Belegschaft und Unternehmenskultur zu steuern. Für die Gestaltung der Fluktuation ist also ein differenziertes Verständnis notwendig.

Selektives Fluktuationsmanagement

Fluktuation ist ein komplexes Phänomen, dessen Facetten so vielfältig sind, wie die Unternehmen und die Menschen, die in ihnen arbeiten. Wenn wir so tun, als ob Nachwuchskräfte und erfahrene Vorgesetzte aus den gleichen Gründen das Unternehmen verlassen, limitieren wir unsere Gestaltungsmöglichkeiten der Fluktuation. Mehr noch: Wir bekommen ein vollkommen verzerrtes Bild davon, welche Auswirkung Fluktuation auf die Arbeitsprozesse im Unternehmen hat. Wir ignorieren die individuellen Bedürfnisse und Beiträge der Angestellten und beschränken uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Die Maxime im selektiven Fluktuationsmanagement ist es daher, homogene Subgruppen zu identifizieren, um auf die spezifischen Bedürfnisse der Zielgruppe eingehen zu können und wirksam zu intervenieren. Dieses Unterfangen ist gleichsam eine Wissenschaft wie eine Kunst. Es ist die Fähigkeit, in einer Sammlung objektiver Informationen ein Muster zu erkennen und ihm eine Bedeutung zuzuweisen.

Bei der Auswahl der Zielgruppe sollten jedoch nicht nur die Bedürfnisse der Beschäftigten, sondern auch die des Unternehmens beachtet werden. Wie die Mitarbeitenden Ansprüche an ihren Arbeitsplatz stellen, so stellt auch das Unternehmen Ansprüche an sie. Manche Mitarbeitenden sind aufgrund ihrer Leistung, ihres Fachwissens oder der Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt für den Erfolg des Unternehmens besonders relevant. Die Verlockung ist groß, sich primär mit Zielgruppen zu beschäftigen, für deren Bedürfnisse es offensichtliche und einfache Lösungen gibt. Doch wer in einem wirtschaftlichen Unternehmen Interventionen nach dem Motto das „quietschende Rad bekommt Öl“ verteilt, wird früher oder später zu wenig Ressourcen haben, um für das Geschäftsmodell kritische Kompetenzen im Unternehmen zu halten. Kritische Kompetenz ist dabei keine Funktion eines Mitarbeiters oder einer Position, sondern eine des Geschäftsmodells und der Unternehmensstrategie. Buchhalter sind für die Wirtschaftsprüferin wichtiger als für den Handwerksbetrieb, die Marketing-Fachkraft ist für einen Konzern essenzieller als für ein mittelständisches Unternehmen.

Selektives Fluktuationsmanagement ist die Aufforderung, sich den schwierigen Fragen zu stellen und hinter die Fassade zu schauen. Der erste Schritt ist dabei immer, die Entscheidung derjenigen zu verstehen, die kündigen. Sucht man das offene Gespräch und analysiert die verfügbaren Daten, bekommt man schnell ein Bild davon, welche Treiber für die Fluktuation verantwortlich sind. Verlassen Menschen bei der Familiengründung das Unternehmen, dann passt die Arbeit vielleicht nicht zur neuen Lebensrealität. Kündigen sie schon nach wenigen Jahren der Beschäftigung, waren möglicherweise falsche Erwartungen oder fehlende Integration schuld. Gehen vor allem Toptalente, könnten fehlende Anerkennung oder ein Mangel an Karrierechancen der Auslöser sein.

Der zweite Schritt ist, die Folgen der Fluktuation objektiv zu bewerten. Welche Kosten durch eine Kündigung entstehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Kann die Position schnell neu besetzt werden oder ist die Kompetenz am Arbeitsmarkt schwer zu bekommen? Wie viele Menschen werden durch den Personalwechsel in Ihrer Arbeit beeinträchtigt? Wie lange dauert die Einarbeitung neuer Mitarbeitenden und wie stark werden Arbeitsprozesse dadurch gestört? Laut aktuellen Untersuchungen belaufen sich die Kosten einer Kündigung in der Regel auf 80 Prozent bis 200 Prozent des jeweiligen Jahresgehaltes der Position. Es ist ein moderater Aufwand, die Kosten der Fluktuation für den Einzelfall zu berechnen, und das beste Argument, um Interventionen zu rechtfertigen.

Der letzte Schritt ist die Ableitung der richtigen Maßnahme. Und es ist aus einem guten Grund der letzte Schritt. Denn es existieren praktisch unendlich viele Hebel, um die Fluktuation zu beeinflussen. Anpassung der Arbeitsinhalte oder des Volumens, Gestaltung der Arbeitsfläche, Vergütung, Führungsverhalten, Arbeitsgruppen, Karriere und Entwicklung oder die gesamte Bandbreite der Unternehmenskultur. Eine Auswahl ist nur möglich, wenn Sie die Zielgruppe klar definiert haben, ihre Bedürfnisse kennen und die Wirksamkeit der Intervention abschätzen können. Eine Intervention ist also nicht gut oder schlecht, sondern mehr oder weniger adäquat für eine gegebene Situation. Entscheidend ist, dass eine Maßnahme die übergeordneten Unternehmensziele unterstützt und die Bedürfnisse der Beschäftigten achtet. Wir nennen es das Schlüssel-Schloss-Prinzip des Fluktuationsmanagements. Die Umsetzung liegt nun in Ihren Händen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Ideale. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Jörg Rischke, Gründer von AEffekt

Jörg Rischke

Jörg Rischke ist Mitgründer der Beratung AEffekt. Der langjährige Personaler ist Co-Autor von Autoren von Fluktuationsmanagement. Praxishandbuch für Personaler und Führungskräfte.
Finn Rischke, Gründer von AEffekt

Finn Rischke

Finn Rischke ist Mitgründer der Beratung AEffekt. Der studierte Psychologe ist Co-Autor von Fluktuationsmanagement. Praxishandbuch für Personaler und Führungskräfte.

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