Führt Lohntransparenz zu Neid?

Personalmanagement

Ob Lohntransparenz oder selbst bestimmte Gehälter – die Frage nach angemessener Bezahlung bewegt immer wieder die Gemüter. ­Doch was macht es mit Mitarbeitern, wenn sie wissen, was ihre Kollegen verdienen? Und wie können Unternehmen Missgunst vorbeugen? Ein Gespräch mit Neidforscher Rolf Haubl.

Herr Professor Haubl, sollte man über Geld sprechen?
Rolf Haubl: Intransparenz erzeugt Fantasien, die man nicht kontrollieren kann. Bekommt beispielsweise Kollege X mehr Geld als Kollege Y, könnte dieser denken, dass X wegen seines einfluss­reichen Netzwerks im Unternehmen bevorzugt wird. Deswegen ist es sinnvoll, über Geld zu sprechen. Das führt aber nicht automatisch dazu, dass alle zufrieden sind und keiner mehr neidisch ist.

Was kann eine transparente Lohnkultur bei Mitarbeitern auslösen?
Es kann passieren, dass sich Kollegen untereinander anders vergleichen. Mitarbeiter vergleichen sich zwar immer – mit oder ohne Lohntransparenz –, aber wenn die Transparenz da ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man genauer darauf achtet, warum der andere mehr Geld bekommt.

Die Gerechtigkeitsfrage wird neu gestellt?
Neid und Gerechtigkeit sind eng miteinander verbunden. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man Gerechtigkeit sieht: Gerecht kann es beispielsweise sein, wenn alle denselben Betrag bekommen. Gerechtigkeit kann aber auch bedeuten, nach individueller Leistung zu bezahlen. Letzteres ist eher typisch für unsere Gesellschaft.

Worauf sollte man als Arbeitgeber achten, wenn man Gehälter offenlegt?
Der Arbeitgeber sollte ein Interesse daran haben, den Lohn so zu bezahlen, dass der Betriebsfrieden nicht gefährdet wird. Hierfür gilt es, bestimmte Kriterien zu entwickeln, die für jeden nachprüfbar sind. Das ist zwingend.

Was sind das für Kriterien?
Es kommt drauf an, wie sich ein Lohn zusammensetzt, was alles eingerechnet wird. Kriterien sind beispielsweise Alter, Berufserfahrung und Dienstjahre. Das kann ziemlich komplex sein. Außerdem müssen die Kriterien frühzeitig bekannt sein und nicht erst während der Verhandlungen offengelegt werden. Derjenige, der den Lohn empfängt, muss die Kriterien kennen und damit einverstanden sein.

Wie sorgt man für eine respektvolle Auseinandersetzung über Geld?
Es braucht eine Instanz, die dabei hilft, dass die Verhandlung zivilisiert stattfindet. Das kann ein Mediator sein, der alle wichtigen Personen an einen runden Tisch bringt. Es ist utopisch, anzunehmen, dass man so eine Verhandlung einfach laufen lassen kann. Leute, die sich nicht leiden können, werden anders verhandeln als Freunde. Die Beziehung derer, die miteinander verhandeln, geht immer als Variable mit ein.

Herr Professor Haubl, sprechen wir über Neid. Warum sind wir Menschen eigentlich neidisch auf andere?
Neid hat viel damit zu tun, dass die wichtigen Güter in unserem Leben auf eine bestimmte Weise verteilt sind. Sind sie sehr asymmetrisch verteilt, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass man damit nicht einverstanden ist. Das Gefühl, das dies transportiert, ist Neid.

Was sind die begehrtesten Neid­objekte?
Es gibt nichts, worauf man nicht neidisch sein kann. Allerdings hat sich das historisch verändert. Im Mittelalter beispielsweise hat die Kinderzahl am stärksten Neid erzeugt. Je mehr Kinder eine Familie hatte, desto besser war deren Überleben gesichert. Waren damals viele Kinder ein Statussymbol, spielt heutzutage der Neid darauf eine eher nachgeordnete Rolle.

Und auf was sind wir heutzutage neidisch?
In unserer Gesellschaft ist Geld als universales Medium das, worin sich der Neid auch artikulieren kann: Ich bekomme zu wenig, obwohl ich viel leiste. Diese Diskrepanz kann ziemlichen Unfrieden erzeugen: Ich bin mehr wert, als ich bekomme. Dann muss ich die Möglichkeit haben zu fragen: Nach welchen Kriterien wird denn meine Entlohnung eigentlich geleistet? Kann ich das akzeptieren, und ist das gerecht? Insofern hat Neid eine konstruktive Seite.

Das müssen Sie erläutern.
Der Punkt ist wichtig. Wie gehe ich mit bestehenden sozialen Unterschieden um? Nehme ich den sozialen Unterschied als etwas, das mich anspornt, genauso viel oder sogar mehr zu haben? Für etwas zu kämpfen, kann den Selbstwert stärken.

Oftmals überwiegt aber das Gefühl, benachteiligt zu sein.
Neid hat immer etwas mit Vergleich zu tun. Viele machen den Fehler, sich mit Menschen zu vergleichen, mit denen sie sich nicht vergleichen können. Sie haben ganz andere Bedingungen. Es liegt dann an den Kriterien, den Neid zu dämpfen, also abzumildern.

Nennen Sie ein Beispiel.
Herr Müller hat sich innerhalb von fünf Jahren zum dritten Mal einen größeren Wagen gekauft, und der Nachbar, Herr Schmidt, denkt: „Wieso kann der sich jetzt schon wieder einen BMW leisten? Der ist doch vom Gehalt her in meiner Liga, da muss doch was dahinterstecken.“ Dann kann Herr Müller
neiddämpfend sagen: „Ja, ich fahre dickere Autos, habe aber auch in den vergangenen Jahren jedes Wochenende durchgearbeitet, während du im Garten gelegen hast.“ Es geht in der Frage immer darum: Was ist eigentlich neiddämpfend? Finden wir Kriterien, die wir akzeptieren?

Warum vergleichen wir uns mit manchen Menschen und mit anderen wiederum nicht?
Gesellschaften organisieren sich über den sozialen Vergleich. Dann hat jeder in der Gesellschaft seinen Platz. Solange das plausibel ist, bleibt es friedlich. Es erzeugt ziemlichen Unfrieden, wenn man seinen Rangplatz nicht zugeordnet bekommt oder man die Kriterien, nach denen er vergeben wird, nicht akzeptieren kann. Das macht ärgerlich und wütend.

Und der eigene Rangplatz wird übers Geld definiert?
Das geht über Geld oder Güter wie teure Autos. Wir neiden aber auch Talente wie Musikalität. Geld hat den Vorteil, dass es sich für alles und jedes eintauschen lässt. Deswegen ist es das universale Medium, mit dem man sozialen Wert ausdrückt.

Sie sagen, Menschen würden umso neidischer, je gleicher sie sich sind.
In unserer Gesellschaft lautet eine Maxime: Wenn Lohngerechtigkeit existiert, darf man nicht neidisch sein. Das stimmt nur bedingt. Sind alle gleich, gibt es keine soziale Hierarchie und somit keine soziale Positionierung. Wenn es keine hierarchischen Unterschiede mehr gibt, werden kleine Differenzen zum Skandal.

Sind wir eine Neidgesellschaft?
Forschungen zeigen, dass es nationale Unterschiede gibt, vor allem was Schadenfreude betrifft. Dann tröstet sich jemand wegen seiner vermeintlichen Benachteiligung, indem er den vermeintlich Bevorteilten schlechtmacht. Oder ihm sogar den Lack seines neuen Autos zerkratzt.

Und Besitz macht ja auch nicht zwingend glücklicher.
In unserer Gesellschaft wird oft unterstellt: Je mehr man besitzt, desto zufriedener ist man. Das stimmt nur bedingt. Zwar werden hierzulande überwiegend Statussymbole wie große Häuser oder Autos geneidet, die stehen aber nur stellvertretend für psychische Zustände. Eigentlich geht es um Anerkennung, Sinn oder Ähnliches.

Was heißt das konkret?
Die Zufriedenheit resultiert nicht aus der Gleichheit, sondern aus der Anerkennung des Unterschieds. Wir haben vor einigen Jahren zum Thema Kaufsucht geforscht. In unserer Forschungsgruppe gab es zwei Frauen aus relativ reichen Familien, die sehr stark miteinander rivalisierten. Es gab diese Situation, dass sich beide in der Erfahrungsgruppe „Geld“ gegenübersaßen und dasselbe anhatten.

Wie ging es weiter?
Sie musterten sich und schwiegen. Plötzlich fing eine der beiden an zu weinen und sagte: „Ganz gleich, was ich anhabe, du siehst immer besser aus.“ Das Beispiel zeigt ganz gut, dass es eine materielle Ebene gibt – hier ist es die Ebene der Kleidung. Aber das, was jemand daraus macht, ist entscheidend. Und wenn jemand die lebensgeschichtliche Disposition „Ich bin schlechter als die anderen“ hat, dann spielt die psychologische Komponente eine entscheidende Rolle.

Jemand, der neidisch ist, hat also weniger Selbstbewusstsein?
Jemand, der neidisch ist, glaubt nicht daran, dass er in der Lage ist, genauso viel oder noch mehr als der andere zu bekommen. Es geht um das Bild, das er von sich hat: „Im sozialen Vergleich werde ich unterliegen.“ Und das erlebt er unter Umständen als extrem ungerecht. Dann geht er auch gegen die anderen vor, diemehr haben, weil er damit konfrontiert wird, dass er weniger hat.

Kommen wir aufs Thema Gehalt zurück. Es ist also nicht ratsam, jedem Mitarbeiter Einblick in die Gehälter zu gewähren?
Manchmal ist es besser, nicht zu wissen, wie unterschiedlich Gehälter sind. Wenn ich es weiß, frage ich mich direkt nach den Kriterien, also den Gründen, warum der andere besser verdient.

Und wie kann hier nun ein Personaler handeln?
Er darf Einwände nicht abwiegeln, muss Fragen nach der Legitimation von Einkommensunterschieden ernst nehmen.

Was meinen Sie damit?
Man versucht mit der Transparenz­idee sozialen Frieden herzustellen. Das setzt aber voraus, dass alle Beteiligten auf ein solches Verfahren einsteigen und die Ergebnisse als solche akzeptieren. Der Neid ist an sich aber erst mal ein hässliches Gefühl. Ich kann zutiefst neidisch sein, obwohl nach allem Ermessen die Güter gerecht verteilt sind. Unsere Emotionen richten sich oft nicht danach, was wir denken.

Und dafür braucht es jemanden, der vermittelt.
Ja, Vermittlung ist allemal besser als autoritäre Festsetzung. Freilich braucht es Abbruchkriterien, die dafür sorgen, dass praktische Lösungen gefunden werden. Grundsatzdebatten kosten Zeit und bringen die Gefahr mit sich, auszuufern.

Rolf Haubl lehrte Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und war bis 2016 Direktor des Sigmund-Freud-Instituts.
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Rolf Haubl lehrte Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und war bis 2016 Direktor des Sigmund-Freud-Instituts. Er forscht unter anderem zum Thema Neid und Geld.

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Heike Thienhaus, Redakteurin beim pressesprecher und HRM

Heike Thienhaus

Heike Thienhaus ist seit November 2018 Redakteurin beim pressesprecher und Human Resources Manager. Nach ihrem Studium in Düsseldorf und Berlin (Soziologie, Politik- und Medienwissenschaften) volontierte Heike Thienhaus bei der ARD-Talkshow „Beckmann“ und „Inas Nacht“. Als TV-Redakteurin arbeitete sie dort anschließend mehr als sechs Jahre, danach arbeitete sie als Print-Redakteurin im Bereich Corporate Publishing.

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