Tools zur Stressreduktion stressen Mitarbeiter oft noch mehr. Wirksamer ist es, das Problem an der Wurzel zu packen. Ein Aspekt ist hier der Schlüssel.
Der Anteil der deutschen Mitarbeiter, die sich gestresst fühlen, steigt seit Jahren kontinuierlich an. Kein Wunder, dass Unternehmen immer mehr Wert darauf legen, mit Stressmanagement-Seminaren und Stressmanagement-Tools das Problem zu lösen. Bringt das denn etwas? Nein, ganz im Gegenteil. Je mehr die Mitarbeiter versuchen, damit ihren negativen Stress zu besiegen, umso stärker wird er. Aber woran liegt das und welche Lösungen gibt es stattdessen?
Stress schleicht sich langsam an
Die meisten Mitarbeiter werden irgendwann beruflich irgendwohin geschubst. Dann meistern sie die ersten Herausforderungen und gehen auf der Karriereleiter Schritt für Schritt nach oben. Sie werden von den Eltern gelobt und von Freunden und Kollegen beneidet. „Glückwunsch zur bestandenen Prüfung“, „Gratulation zur Beförderung“, heißt es aus dem Umfeld.
Aber oft merken sie, dass ihnen trotz allem Lob der anderen die eigene Zufriedenheit fehlt. Das ist irritierend. Sie wollen sich doch freuen, weil der bisherige Weg anstrengend genug war. Also bewegen sie ihre Gesichtsmuskeln zu einem Lächeln und tun so, als wären sie glücklich. Von jetzt an beginnt das Hamsterrad sich zu drehen. Sie laufen darin oft bis zur Erschöpfung. Denn sie erfüllen Aufgaben, die sie Kraft kosten, aber nicht wirklich zu ihnen passen.
Mehr falsche Aufgaben führen zu mehr Stress
Aus der Stressforschung wissen wir: Menschen, die Jahre lang ungeliebte Aufgaben erledigen und um der Karriere willen ihre echten Stärken ignorieren, erleben über kurz oder lang einen emotionalen Absturz. Sie landen im Stress, in einer inneren Kündigung oder sogar im Burnout.
In unserer digitalen, sich immer schneller ändernden Welt können die Unternehmen aber weder auf die Leistungskraft noch auf das Engagement ihrer Mitarbeiter verzichten. Fehltage und Ausfälle der besten Mitarbeiter rächen sich sofort. Das zeigt sich sehr schnell an den Unternehmensergebnissen.
Der Reflex aus dem HR Management lässt nicht lange auf sich warten: Möglichst rasch sollen gestresste Mitarbeiter wieder mit einem Lächeln auf den Lippen durchs Büro laufen oder die Kunden des Unternehmens begeistern. Also greift man nach dem nächsten Strohhalm – meistens heißt dieser „Stressmanagement“. Das alles kratzt aber nur an der Oberfläche, steigert im Kern die Frustration sogar noch, wenn die erlernten Tipps und Tricks an der Wirklichkeit zerbrechen.
Die Ursachen von Stress verstehen
Was hier passiert, ist fatal. Anstatt sich die Frage zu stellen, was Mitarbeiter und Unternehmen tun können, um negativen Stress erst gar nicht aufkommen zu lassen, überlegt man sich, wie man ihn am schnellsten wieder vertreibt. Weitaus klüger wäre es, die Ursachen von Stress besser zu verstehen.
Die Anforderungen passen nicht zu unseren Stärken
Jeder Mitarbeiter kennt das: Im Job wird von ihm erwartet, eine Aufgabe perfekt und möglichst schnell zu erledigen. Leider müssen die Mitarbeiter oft genug Aufgaben erledigen, die ihnen nur schwer von der Hand gehen und für die sie mehr Zeit benötigen, als ihnen lieb ist. Das löst Stress aus. Stress wird nämlich besonders dann empfunden, wenn ich das Gefühl habe, einer Situation nicht gewachsen zu sein. Es entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen an die Mitarbeiter und ihren persönlichen Ressourcen.
Das Gefühl, nicht stark genug zu sein, macht Menschen schwach und unzufrieden. Dann erleben sie keinen Flow, keine Glücksmomente. Wie lassen sich diese negativen Emotionen und Stress durchbrechen? Indem Mitarbeiter Aufgaben ausführen, die ihren Stärken wirklich entsprechen.
Diese Schritte machen Stressmanagement überflüssig
1. Die Stärken der Mitarbeiter entschlüsseln
Den meisten Mitarbeitern sind ihre größten Stärken gar nicht bewusst. Aber warum? Beim Einsatz von Stärken gehen uns bestimmte Tätigkeiten leicht von der Hand. Man merkt also gar nicht, dass die dabei eingesetzten Stärken etwas Besonderes sind. Stärken lassen sich beispielsweise durch einen wissenschaftlichen Stärkentest ermitteln oder durch Feedback von Führungskräften oder Kollegen. Die Stärken von Mitarbeitern lassen sich zum Bespiel durch folgende Fragen entschlüsseln:
- Leichtigkeit: Welche Aufgaben/Aktivitäten gehen dem Mitarbeiter leicht von der Hand?
- Motivation: Welche Aufgaben ziehen den Mitarbeiter magisch an? Was macht er mit Freude?
- Top Ergebnisse: Bei welchen Tätigkeiten erzielt der Mitarbeiter überraschend gute Resultate und ist bessere als andere?
- Lerntempo: Was lernt der Mitarbeiter sehr schnell und ohne große Anstrengung?
- Emotionen: In welchen Situationen, bei welchen Tätigkeiten verwendet der Mitarbeiter solche Formulierungen wie „Am liebsten …“ oder „Das ist toll, dass …“?
2. Den Stärkenbereich der Mitarbeiter ausweiten
Weil Mitarbeiter manchmal gar nicht genau wissen, wo ihre Stärken liegen, arbeiten sie sehr oft in ihrem Schwächenbereich. Wenn die Mitarbeiter ihre Stärken aber erst einmal kennen, wäre es für sie und für ihre Chefs das Beste, diese Stärken möglichst oft einzusetzen. Das beweist das berühmte Forschungsinstitut Gallup mit seinem Engagement Index jedes Jahr aufs Neue. Am produktivsten sind die Unternehmen, bei denen die Mitarbeiter zu einem großen Teil Tag für Tag ihre Stärken einsetzen können. Dies sind auch die Unternehmen mit den geringsten Krankheitsfällen.
Natürlich ist es illusorisch zu hoffen, dass jeder Mitarbeiter die ganze Zeit nur seine Stärken einsetzen kann. Enorm wertvoll wäre es schon, wenn es Mitarbeitern und ihren Chefs gelingen würde, gemeinsam den Balanceregler Stück für Stück zu verschieben: immer weniger Tätigkeiten, bei denen Mitarbeiter ihre Schwächen überwinden müssen, und immer mehr Tätigkeiten, bei denen die Mitarbeiter ihre Stärken einsetzen können.
Je häufiger Mitarbeiter ihre Stärken im Berufsalltag einsetzen, umso geringer ist die Gefahr, durch Stress und Überlastung beeinträchtigt zu werden. Mehr noch: Wenn Mitarbeiter ihre Stärken nutzen, erleben sie Phasen, in denen sie die Zeit bei der Arbeit fast vergessen. Sie verschmelzen mit ihrer Tätigkeit, weil sie ihnen dann spannend und befreiend erscheint. So etwas bezeichnet man als Flow-Erlebnis. Es ist der Kontrapunkt zum Stress. Eine Aufgabe wird nicht mehr als Belastung empfunden. Sie wird zu Herausforderung und Genuss.