Nachdem der Mainzer Technologiekonzern Schott eine Zeitlang groß im Solargeschäft mitgemischt hatte, musste er die Sparte im Jahr 2012 schließen. Konzernführung und Mitarbeiter waren entmutigt. Mit einem neuen Vorstandschef besann sich das Unternehmen auf seine alten Stärken – und schaffte den Turnaround.
Frank Heinricht wusste, dass er eine große Aufgabe vor sich hatte, als er im Jahr 2013 seinen neuen Job als Vorstandsvorsitzender der Schott AG in Mainz antrat. Der Physiker und Diplomingenieur sollte ein angeschlagenes Unternehmen wieder auf Kurs bringen, entmutigte Mitarbeiter motivieren und ein Konzept erarbeiten, das den Konzern langfristig wieder erfolgreich machen sollte. „Das Unternehmen hatte damals turbulente Zeiten hinter sich. Es war klar, dass sich einiges ändern musste“, sagt Heinricht rückblickend. Angst habe ihm das damals nicht gemacht, er sei eher zuversichtlich gewesen. „Respekt vor der Aufgabe hatte ich aber schon.“
Heinricht übernahm einen taumelnden Riesen, einen Traditionskonzern mit langer Geschichte. Schott gibt es seit mehr als 130 Jahren. Das Unternehmen zählt zu den international führenden Technologiekonzernen auf den Gebieten Spezialglas und Glaskeramik. Weltweit hat Schott 15.000 Mitarbeiter, 5.200 davon arbeiten in Deutschland. Produktions- und Vertriebsstandorte der Firma finden sich in 35 Ländern der Erde. Doch der Vorstand des Unternehmens hatte sich Mitte der 2000er Jahre verzettelt: Schott war in großem Stil in das damals boomende Photovoltaik-Geschäft eingestiegen, musste allerdings im Jahr 2012 wieder aussteigen, als der Boom endete. Der Schritt belastete nicht nur die Unternehmensbilanz. Den Schott-Mitarbeitern ging auch eine wichtige Perspektive verloren. Die Mitarbeiter nennen sich selbst Schottianer, viele arbeiten schon seit Jahrzehnten im Unternehmen. Nach der Aufbruchstimmung der Nullerjahre war die Schließung der Photovoltaik-Sparte aber trotzdem ein harter Schlag. „Es galt danach, nicht nur an strategischen Stellschrauben zu drehen, sondern auch das Selbstvertrauen der Belegschaft wieder aufzubauen“, sagt Heinricht. Schott sei ein „tolles Unternehmen mit viel Substanz“, habe im Jahr 2013 aber eine Neuorientierung nötig gehabt.
Die Schott AG entwickelt unter anderem auch Glasfasern. Foto: Thomas Lohnes / Schott AG
Heinricht packte an. Alles umkrempeln wollte er nicht, sondern zurück in die alte Erfolgsspur. Der Konzern sollte sich nach dem Photovoltaik-Ausstieg wieder auf seine etablierten Geschäftsfelder konzentrieren: etwa die Herstellung hochwertiger Ceran-Kochfelder, Spezialglas für Flugzeuge und Pharmazie oder entspiegeltes Glas für Museumsvitrinen. Forschung und Innovationen sollten künftig eine noch wichtigere Rolle spielen.
Daneben förderte Heinricht einen kulturellen Wandel im Unternehmen und machte sich für einen neuen Führungsstil stark: offener, transparenter als zuvor. Insbesondere wird heute mehr Wert auf Reflexion gelegt. „Das vorherige Management hatte eher von oben nach unten geführt, die Strukturen innerhalb des Konzerns glichen einer Pyramide“, sagt Heinricht. Er wollte es anders machen. Sein Erfolgsrezept ist nicht innovativ, hat sich bei Schott aber bezahlt gemacht. Heinricht betrachtet motivierte und engagierte Mitarbeiter als wichtige Bedingung für den Erfolg eines Unternehmens – und wollte dafür wiederum Voraussetzungen schaffen.
Heute ist die Verantwortung im Unternehmen breiter verteilt. Verschiedene Arbeitszeit- und Schichtmodelle ermöglichen den Mitarbeitern ein hohes Maß an Eigenverantwortung: So gilt etwa Vertrauensarbeitszeit, auch Job-Sharing ist bei Bedarf möglich. Zudem befragt Schott seine Mitarbeiter regelmäßig nach ihrer Meinung und ihrer Zufriedenheit, die Führungsebene bemüht sich um Transparenz und regelmäßige Kommunikation mit den Mitarbeitern. Auch konstruktive Kritik seitens der Mitarbeiter ist willkommen und wird auf der Führungsebene diskutiert. Alle drei Monate gibt es das sogenannte „Schott Inside“, ein Meeting, zu dem sich alle Führungskräfte weltweit zusammenschalten und die aktuelle Lage besprechen. Hier kommen auch Vorschläge oder Kritik von Mitarbeitern zur Sprache.
Die Resonanz der Mitarbeiter auf die neue Unternehmenskultur ist positiv. Selbst Maßnahmen wie Werksschließungen und Verkäufe von Produktbereichen haben die Schottianer hingenommen: „Sie wussten, dass auch solche Schritte erforderlich sind, um wieder auf einen erfolgreichen Weg zu kommen“, sagt Heinricht. Der Vorstandschef vergleicht den Turnaround des Unternehmens mit einer Besteigung des Mount Everest: „Anfangs sieht es aus, als wäre die Aufgabe gar nicht zu schaffen. Aber wenn man in Etappen vorgeht, zwischendurch kleine Basislager aufschlägt und alles Schritt für Schritt macht, geht es.“
Die Arbeit hat sich ausgezahlt. Im Geschäftsjahr 2014/2015 gelang es Schott nicht nur, einen Umsatz von fast zwei Milliarden Euro zu erzielen – eine Steigerung von 4,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Seit Mitte 2016 ist das Unternehmen auch der beliebteste Arbeitgeber unter den Führungskräften der chemisch-pharmazeutischen Großindustrie. Das ergab die Befindlichkeitsumfrage 2016 des Verbandes angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA). Dafür wurden Mitarbeiter zum Beispiel danach befragt, wie sie die Strategie ihres Unternehmens, die eigene Motivation und die Arbeitsbedingungen im Unternehmen bewerten. Im Gesamtranking liegt Schott auf Platz eins. Das Ergebnis begreift Geschäftsführer Heinricht als positive Bestätigung seiner bisherigen Arbeit: „So etwas zeigt uns, dass die Entscheidungen der Vergangenheit sich auszahlen.“