Regeneration im Arbeitsalltag: Zeit zum Schäfchenzählen

Personalmanagement

E-Mails, Meetings, Geschäftsessen: Im Arbeitsalltag bleibt manchmal kaum Zeit zum Durchatmen. Dabei brauchen Körper und Geist dringend Erholungsphasen, um dauerhaft leistungsfähig zu sein. Was Unkrautjäten mit Regeneration zu tun hat und warum Unternehmen ihren Mitarbeitern erlauben sollten, tagsüber zu schlafen.

Ein kühles Bad in der Eistonne, ein Besuch beim Physiotherapeuten – und tageweise einfach nichts tun, dem Körper eine Auszeit gönnen: Im Sport spielt Regeneration schon lange eine große Rolle. Wer viel trainiert, muss sich zwischendurch erholen, so das einfache Prinzip. Sonst bleibt der Trainingserfolg aus, weil der Körper keine Zeit hat, seine Energiespeicher zu befüllen und Muskelmasse aufzubauen.

Im Büro erbringen Mitarbeiter keine sportlichen Höchstleistungen. Dafür läuft ihr Gehirn stundenlang auf Hochtouren. Selbst die Mittagspause wandelt manch einer in einen Business-Termin um. 55 Prozent der Arbeitnehmer nehmen ihr Mittagessen am Schreibtisch ein, ergab eine Umfrage des Karriereportals Jobware im Jahr 2017. Zusätzlich sorgen Faktoren wie eine hohe Arbeitsbelastung, stundenlanges Im-Stau-Stehen im Berufsverkehr und der ganz normale Lärm in Städten bei vielen Arbeitnehmern für Stress und Überforderung.

Kaum Angebote zur Stressbewältigung

Für die Regeneration nach Feierabend hat jeder seine eigene Strategie. Aber auch auf der Arbeit sind kurze Auszeiten wichtig. Denn um dauerhaft kreativ und konzentriert zu sein, braucht das Gehirn Pausen. Hier spielt zum einen die Eigenverantwortung der Mitarbeiter eine große Rolle. Zum anderen können Unternehmen ihre Mitarbeiter mit verschiedenen Maßnahmen unterstützen, stressigen Momenten im Job mit Ruhe zu begegnen. Bedarf gibt es reichlich: Vier von fünf Arbeitnehmern fühlen sich von ihrer Arbeit gestresst, zeigt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov, das im März 2019 mehr als 1.000 Beschäftigte im Auftrag des Karrierenetzwerks Linkedin befragt hat. Nur 21 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Arbeitgeber ihnen Angebote zur Stressbewältigung macht.

Bewusste Auszeiten können viel bewirken – nicht nur temporär, sondern mit langfristigem Effekt. Davon ist Britta Hölzel überzeugt. Die Neuropsychologin ist Gründerin des Instituts für Achtsamkeit und Meditation I AM in München. „Erste Studien weisen darauf hin, dass Achtsamkeitstraining und Meditation die Kreativität und Aufmerksamkeit von Menschen positiv beeinflussen und die Konzentrationsfähigkeit stärken können.“ Wer regelmäßig meditiere oder Achtsamkeit trainiere, könne außerdem besser von Stress Abstand nehmen und nehme das eigene Befinden insgesamt besser wahr: „So fällt es auch leichter, Alarmsignale zu erkennen, wenn Körper und Geist überfordert sind“, erklärt Hölzel.

Achtsamkeit ist dem Buddhismus entlehnt und eine besondere Art der Aufmerksamkeit: Ziel ist es, den gegenwärtigen Moment wach und präsent wahrzunehmen. Unternehmen wie Bosch, BMW und Osram bieten ihren Mitarbeitern bereits Achtsamkeitskurse oder Seminare zur Schulung der Stressresistenz an, kleinere Unternehmen haben das Thema oft noch nicht auf dem Zettel. „Mitarbeiter können aber auf eigene Faust Achtsamkeit trainieren oder meditieren – je nach Gusto in Gruppenkursen oder auch mit Smart­phone-Apps“, sagt Hölzel.

Permanent überfordert

Hölzel hat sich ausgiebig mit dem Einfluss von Stress auf das Gehirn beschäftigt. „Viele Arbeitnehmer sind heute in einem Zustand permanenter Überforderung“, weiß sie. Das habe deutliche Auswirkungen auf Körper und Geist: „Menschen reagieren auf Stress wie auf eine akute Bedrohung: Die Muskeln spannen sich an, der Herzschlag beschleunigt sich, der Körper schüttet vermehrt das Stresshormon Kortisol aus. Außerdem werden evolutionär ältere Hirnregionen wie die Amygdala aktiviert, die helfen, auf akute Bedrohungen zu reagieren, und den Fluchtinstinkt aktivieren.“ Andere Hirnregionen würden in Stressphasen dagegen runterreguliert – unter anderem der präfrontale Kortex, der für das Bewältigen komplexer Situationen wichtig ist. Kreative Ideen bleiben aus, und auch Empathie und Mitgefühl leiden, wenn der Körper in den sogenannten Kampf-oder-Flucht-Modus schaltet. Vermutlich jeder hat schon einmal eine böse E-Mail geschickt, die er im Nachhinein lieber nicht gesendet hätte. „Das liegt daran, dass die Emotionsregulation in Stressphasen eingeschränkt funktioniert“, sagt Hölzel.

Eine gewisse Grundruhe im Leben ist essenziell, findet Reinhild Fürstenberg. Sie ist Geschäftsführerin des Fürstenberg Instituts, das Unternehmen und Arbeitnehmer in puncto Gesundheit und Leistungsfähigkeit berät. „Man muss wissen, wie sich Ruhe anfühlt, um richtig abschalten zu können“, sagt Fürstenberg. Wer sein Auto volltanke, müsse schließlich auch an der Tankstelle anhalten. Das bedeute jedoch nicht, dass Regeneration nur mit Nichtstun zu erreichen sei, betont sie: „Letztlich geht es darum, Dinge zu tun, die guttun. Was das ist, ist ganz individuell.“ Während der eine am besten beim Joggen abschalten könne, jäte der andere im Garten Unkraut oder telefoniere mit einer guten Freundin.

Unternehmen jedweder Größe können vieles tun, um ihren Mitarbeitern Pausen zu ermöglichen und sie für Stress zu sensibilisieren, sagt Fürstenberg: zum Beispiel Ruheräume einrichten, in denen Angestellte kurz abschalten können, bei Musik auf einer Massageliege oder in einem bequemen Sessel in einem abgedunkelten Raum. Diese Oasen werden allerdings nicht immer ausreichend genutzt. „Ob Pausen und kleine Auszeiten im Arbeitsalltag erlaubt und willkommen sind, hängt entscheidend von der Unternehmenskultur ab“, sagt Fürstenberg. Um eine solche Kultur zu schaffen, müssten Management, Führungskräfte und Mitarbeiter an einem Strang ziehen. „Hier spielen Personalmanager eine entscheidende Rolle. Denn sie haben den Draht in alle Unternehmensebenen und können Maßnahmen anstoßen, um das interne Gesundheitsmanagement voranzubringen.“ Der schönste Ruheraum nutze nichts, wenn niemand darin Zeit verbringe „Wenn dagegen auch der Chef mal zehn Minuten auf der Massageliege verbringt, ist das ein positives Signal für die Mitarbeiter.“

Powernap statt Kaffeetrinken

Eine mächtige Regenerationshilfe hat der Körper bereits eingebaut. Das Bedürfnis nach Schlaf hat jeder Mensch. „Wer nachts gut schläft, ist tagsüber wesentlich leistungsfähiger“, sagt Utz Niklas Walter vom Institut für betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) in Konstanz. Guter Schlaf bedeutet für ihn: erholsamer Schlaf. „Nicht erholsam ist es, nicht ein- oder durchschlafen zu können. Ein Indiz für nicht erholsamen Schlaf ist es, wenn man sich trotz vermeintlich ausreichender Nachtruhe tagsüber nicht ausgeruht fühlt“, erklärt Walter. Nachts regeneriert der Körper von den Anstrengungen des Tages, während das Gehirn auf Hochtouren läuft: Es verarbeitet Gelerntes, der Geist schöpft neue Kraft.

Zur kurzfristigen Erholung am Arbeitsplatz könne eine kurze Schlafeinheit Wunder wirken, sagt Walter – also ein Nickerchen, das eine Dauer von etwa 15 Minuten ab dem Zeitpunkt des Einschlafens nicht überschreiten sollte. „Ein Powernap wirkt wesentlich besser als die Tasse Kaffee am Nachmittag“, sagt der Leiter des IFBG. In Asien ist das kurze Dösen am Arbeitsplatz oder in der U-Bahn schon lange Standard. „Inemuri“ heißt der kurze und energiespendende Erholungsschlaf. „Allerdings nicken zum Beispiel Japaner meist vor Erschöpfung ein. Sie schlafen im weltweiten
Vergleich nachts am wenigsten“, weiß Schlafexperte Walter. Er rät deutschen Arbeitnehmern, sich lieber ein Beispiel an der in südlichen Ländern teilweise noch üblichen Siesta zu nehmen – und mittags mal einen Gang runterzuschalten.

Unternehmen sollten Powernaps nicht nur tolerieren, sondern aktiv fördern, sagt Walter: „Mitarbeiter müssen wissen, dass ein Nickerchen erlaubt und sogar gern gesehen ist. Sonst nehmen sie die Möglichkeit nicht in Anspruch. Am meisten bringt es, wenn Führungskräfte den Kurzschlaf am Nachmittag vorleben.“ Um neben der Akzeptanz auch die richtigen Rahmenbedingungen für Mittagsschläfchen zu schaffen, müssten Firmen allerdings investieren: „Schlafräume sollten nur zum Schlafen da sein, separiert von anderen Ruhezonen.“ Wichtig seien auch Diskretionsregeln, Liegen und hohe Hygienestandards. Bislang sind echte Schlafräume in deutschen Unternehmen eine Rarität. Trotzdem ist Walter sich sicher: „Schlaf wird das Gesundheitsthema der nächsten zehn Jahre.“ Schon jetzt buchten viele Firmen Fortbildungen und Seminare, in denen ihre Mitarbeiter lernen, wie sie nachts besser schlafen oder mit Schlafstörungen fertigwerden. Der skandinavische Möbelriese Ikea hat jüngst eine eigene Kampagne ersonnen, um das Thema Schlaf stärker ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken. Das Unternehmen wirbt großflächig auf Plakaten, in Werbespots, sozialen Medien und Blogbeiträgen für eine „Work-Life-Sleep-Balance“. Das Ziel: Schlaf zu einem positiveren Image zu verhelfen – und natürlich Betten zu verkaufen. Wie das Unternehmen es mit der Work-Life-Sleep-Balance der eigenen Mitarbeiter hält, ist jedoch unklar: Auf Anfrage teilt Ikea mit, man sei derzeit mit der Ausarbeitung weiterer interner Maßnahmen zur Schlaf-Kampagne beschäftigt und könne zum aktuellen Zeitpunkt leider wenig Verbindliches sagen. Die Relevanz des Schlafs für gesunde und zufriedene Mitarbeiter scheint das Unternehmen aber offenbar erkannt zu haben.

Ein Faktor zur Regeneration sei auch schlicht und einfach Stille, sagt Unternehmensberaterin Fürstenberg. In der Freizeit könnten Angestellte in den Wald oder in den Garten gehen, um außer Naturgeräuschen einfach mal nichts zu hören und ihre Akkus wieder aufzuladen. „Firmen wiederum sollten Rückzugsräume schaffen, etwa zum ungestörten Telefonieren oder konzentrierten Arbeiten“, sagt Fürstenberg. Insbesondere in Großraumbüros sei es wichtig, dass Mitarbeiter sich dem Lärmpegel auch einmal entziehen können. Im Fürstenberg Institut beginnen Meetings stets mit einer zweiminütigen Schweigepause – damit jeder Teilnehmer ankommen, kurz abschalten und dann wieder voll präsent sein kann.

Tipp für kleine Auszeiten zwischendurch

Päuschen machen: Es muss nicht immer eine lange Mittagspause sein. Mehrere kleine Bildschirmpausen am Tag, etwa für eine Tasse Kaffee oder ein paar Kniebeugen vorm Schreibtisch, haben ebenfalls einen Erholungseffekt.

Einfach mal die Augen schließen: Ein kurzer Powernap von 15 Minuten kann Wunder wirken – auf der Arbeit und zu Hause.

Ausreichend schlafen: Der eine vier Stunden, der andere neun – Menschen brauchen unterschiedlich viel Schlaf, eine Faustregel gibt es nicht. Wichtig ist, seinen Bedarf zu kennen und sich zur passenden Uhrzeit aufs Ohr zu legen.

Meditieren und sich besinnen: Mit Anti-Stress-Kursen, Meditations-Apps und etwas Disziplin steigt die Stressresistenz – langfristig.

Die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen: Ein Feierabend-Signal hilft dabei, das Arbeitsende auch geistig einzuläuten – etwa beim Herunterfahren des PCs oder beim Aufschließen des Fahrradschlosses.

Ruhe bewahren: Stille und Erholung hängen zusammen. Ein Feierabendspaziergang in der Natur hilft beim Abschalten.

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Annika Janssen, Foto: copyright @ ruwan loehr

Annika Janssen

Wortwert
Annika Janßen ist Redakteurin beim Journalistenbüro Wortwert. Sie schreibt regelmäßig für den HRM.

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