Um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren, setzen Unternehmen auf virales Video-Marketing. Die bunten Youtube-Clips sollen Kandidaten einen Einblick in den Arbeitsalltag geben und Talente überzeugen, sich zu bewerben. Was einfach klingt, erweist sich in der Praxis oft als Reinfall: Viele Karrierevideos triefen vor Kitsch und Eigenlob. Wir zeigen, wie es besser geht.
Die Finanzbranche hat einen miesen Ruf. Vor allem Investmentbanker gelten als gierig und karrieregeil, das färbt auch auf kleine Bankangestellte ab. Dementsprechend rangiert der Job in der Hitliste der beliebtesten Berufe bei Jugendlichen regelmäßig weit unten. Wie lassen sie sich trotzdem für eine Banklehre begeistern? Für manches Unternehmen scheint die Formel ganz einfach: Man drehe ein lustiges Video, das zeigt, wie falsch diese Klischees sind. Dafür stecke man seine Mitarbeiter in bunte Kostüme und lasse sie in blumigen Worten das Unternehmen loben.
Oder besser noch – man lasse sie rappen: „Das Image des Bankers hat stark gelitten, doch der Spaß und die Besonderheit bleibt für uns unumstritten“, stammeln zum Beispiel die Azubis der Sparda-Bank-Südwest in einem 4:05 Minuten langen Recruiting-Video. „Schau gut hin, in dem Anzug steckt noch viel mehr drin. Ich nehm dich an die Hand, ich zeig dir – das Bankenwunderland.“
Vor sieben Jahren veröffentlichte die Sparda-Bank-Südwest mit „Sparda Movie Stars“ einen Evergreen der peinlichen Recruiting-Videos. Obwohl die Bank das Video bereits nach wenigen Tagen löschte, geistert es bis heute als Lachnummer durchs Netz. Einziger Trost: Die Genossenschaftsbank ist nicht allein. Bei dem Versuch, eine junge Zielgruppe anzusprechen, deren Stil sich schneller ändert als Quartalszahlen, scheitern Unternehmen regelmäßig: Da wird getanzt, gerappt oder mit einstudierten Phrasen versucht, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren – oft mit mäßigem Erfolg.
Aufmerksamkeit um jeden Preis?
In der Regel erreichen Unternehmen mit vermeintlich lustigen oder kreativen Videos genau das Gegenteil, weiß Henner Knabenreich. Er ist Dozent an der Bundesakademie für Personaldienstleistungen und als Unternehmensberater auf digitales Personalmarketing und Employer Branding spezialisiert. Knabenreich warnt eindrücklich vor Recruiting-Clips, die um jeden Preis nur Aufmerksamkeit generieren wollen. Gerade in Branchen, in denen der Nachwuchs hart umkämpft ist, schießen sich Arbeitgeber mit reichweitenstarken, aber peinlichen Clips schnell ins Aus.
Karrierevideos sind ein mächtiges Tool für die Mitarbeitergewinnung, das steht für Experten außer Frage. Allein wenn Arbeitgeber sie nur auf der Karriereseite ihrer Website platzieren, übermitteln sie in wenigen Sekunden mehr Informationen als jede Stellenanzeige. Eine Studie der Online-Plattform Hubspot aus dem vergangenen Jahr zeigt außerdem: Audiovisuelle Inhalte sind bei den Nutzern gefragt. Rund die Hälfte der Teilnehmer gab in der Umfrage zu Protokoll, dass sie am liebsten Videos schauen, um sich über Unternehmen zu informieren.
Gerade Digital Natives, also junge Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, lassen sich für Personaler auf dem klassischen Weg kaum mehr erreichen, weiß Personalmarketing-Berater Knabenreich. Das zeigt auch der Blick auf die Mediennutzung junger Menschen: Nur 21 Prozent der Jugendlichen lesen regelmäßig Zeitung, aber mehr als 70 Prozent der 18- bis 34-Jährigen schauen täglich Youtube-Videos, zeigt eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Yougov. Wenn Recruiting heißt, dass Unternehmen dorthin gehen, wo die besten Kandidaten sind, dann ist Youtube also erste Wahl.
Es braucht einen klaren Fahrplan
Doch damit das Karrierevideo wirkt, gilt es einiges zu beachten. Im ersten Schritt sollten sich Arbeitgeber überlegen, was sie mit dem Video überhaupt erreichen möchten, sagt Knabenreich. Wollen sie ins Rampenlicht und möglichst viele Menschen auf sich aufmerksam machen? Oder wollen sie aus Interessenten begeisterte Bewerber machen? „Ein gutes Recruiting-Video sollte in erster Linie ein authentisches Bild vom Arbeitgeber vermitteln“, ist Knabenreich überzeugt. Es sollte dem Kandidaten zeigen, wie die Kollegen ticken, wie die Unternehmenskultur ist und wie der künftige Arbeitsplatz aussieht. Nur dann liefere das Video auch einen Mehrwert im Vergleich zu Texten oder Fotos.
Es spricht nichts dagegen, Mitarbeiter für das Recruiting-Video ins Boot zu holen. Im Gegenteil: Zufriedene Angestellte seien oft die beste Referenz, sagt Knabenreich. Doch wenn die Marketing- oder die Personalabteilung sich für diesen Weg entscheidet, sollte sie den Mitarbeitern auch Freiraum lassen. Wirkt die Mimik hölzern und spulen Mitarbeiter nur einstudierte Phrasen ab, schlägt die positive Wirkung schnell ins Gegenteil um. Ebenfalls wichtig: Am Ende sollte ein Call-to-Action folgen, also ein Signal, was der Zuschauer als Nächstes tun soll – zum Beispiel die Karriereseite des Unternehmens besuchen. Sonst generiert das Video zwar Klicks, verfehlt aber sein eigentliches Ziel.
Die jüngste Kampagne der Deutschen Bahn trägt den Call-to-Action bereits im Titel: Unter dem Slogan „Willkommen, du passt zu uns“ geben Mitarbeiter seit April 2017 dem Zuschauer einen Einblick in ihren Arbeitsalltag. Die junge Elektronikerin Jessica zum Beispiel, die im Instandhaltungswerk der S-Bahn Hamburg arbeitet. Oder der ITler Adiam, der bei der Bahn dafür sorgt, dass das W-Lan funktioniert. „Wir wollen Menschen zeigen, die stolz auf ihren Job sind und das authentisch rüberbringen. Deshalb gibt es bei uns keine vorgefertigten Skripte“, sagt Stefan Widmer. Er ist bei der Deutschen Bahn für den Bereich Employer Branding verantwortlich.
Den Videodreh gehen die Personaler an wie bei einer Dokumentation, erzählt Widmer: Sie begleiten die Protagonisten einen Tag lang bei der Arbeit, stellen immer wieder Fragen und fangen die Stimmung ein. Den Zusammenschnitt aus den besten Szenen packen sie dann in Videos von rund zwei Minuten Länge und verteilen diese anschließend auf allen Kanälen: Im Fernsehen, auf den sozialen Netzwerken, auch auf Karrieremessen sind die Clips auf riesigen Bildschirmen zu sehen.
Influencer sorgen für Reichweite
„Mitarbeiter werben Mitarbeiter“ ist eine Strategie im Video-Recruiting. Eine andere ist die Zusammenarbeit mit Influencern, also Usern mit einer großen Reichweite auf sozialen Netzwerken wie Youtube oder Instagram. Viele Influencer sind für ihre meist extrem jungen Abonnenten ein virtueller Freund, dem sie gerne zuhören – und den sie ernst nehmen, wenn er Empfehlungen ausspricht. Immer mehr Unternehmen setzen auf Influencer Marketing und machen die Online-Stars damit zu Markenbotschaftern für ihre Produkte. Influencer Recruiting funktioniert im Prinzip genauso, nur dass anstelle eines Produkts ein Beruf angepriesen wird – samt passendem Arbeitgeber.
Ein äußerst erfolgreiches Beispiel für eine solche Zusammenarbeit lieferte zuletzt die Polizei Berlin mit dem Youtuber Aaron. Für das Video schlüpfte der 28-jährige Berliner für einen Tag in die Rolle eines Polizistenschülers und ließ sich unter anderem zeigen, wie man Handschellen anlegt. Am Ende des Videos zieht er ein Fazit und verweist auf die Karriereseite der Polizei Berlin. Mittlerweile haben mehr als zwei Millionen Menschen das Video gesehen. „Wir haben nicht offiziell ausgewertet, wie viele Bewerber wegen Aaron zu uns gekommen sind“, sagt Benjamin Raschke vom Social-Media-Team der Polizei Berlin. Doch auf der Polizeischule gebe es kaum einen neuen Schüler, der die Kampagne nicht kenne.
Aaron Troschke ist gewissermaßen ein Sonderfall in der Branche: Er hat für seine Zusammenarbeit mit der Polizei Berlin kein Honorar verlangt. Normalerweise lassen sich Influencer ihre Reichweite teuer bezahlen. 100.000 zu erwartende Aufrufe kosten in der Regel rund 10.000 Euro, wenn kein größerer Aufwand vonnöten ist, der Youtuber also schlicht sein Standardprogramm abzieht. Aufwändigere Produktionen, in denen der Youtuber auch mal den Ort wechselt und zum Beispiel verschiedene Betriebsstätten besucht, kosten mehr.
Qualität auch bei kleinem Budget
Nicht immer rentiert sich die Investition, sagt Personalmarketing-Berater Knabenreich. Denn auch bei Influencern gilt: Aufmerksamkeit alleine reicht nicht. Der Social-Media-Star muss zum Unternehmen passen. Er muss authentisch sein und das Unternehmen gleichzeitig akkurat in Szene setzen. Dabei darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass die Meinung des Influencers von außen diktiert wird – auch wenn es sich natürlich um ein Auftragsvideo handelt.
Dass gekaufte Meinungen nicht als solche erkennbar sind, ist selten. Knabenreich rät Personalern deshalb dazu, das Geld statt in teure Influencer-Videos zum Beispiel in gutes Equipment oder einen Videodreh-Kurs für die Azubis zu investieren. „Gute Karrierevideos sind auch mit kleinem Budget möglich“, sagt der Personalmarketing-Berater. Allerdings müsse auch die Herangehensweise zum Unternehmen passen. Hochklassige Marken wie BMW oder Porsche wirken mit Smartphone-Videos schnell unprofessionell, warnt Knabenreich. Beim Handwerker von nebenan hat ein bisschen Wackelkamera aber durchaus seinen Charme.
Das zeigt auch die Geschichte der Glaserei Sterz. Dort landete Geschäftsführer Sven Sterz mit einem verpixelten Video einen viralen Megahit. Nach dem Motto „Es muss knallen, um Aufmerksamkeit zu bekommen“ lässt der Handwerker aus dem niedersächsischen Debstedt darin zunächst eine Glastür zersplittern. Dann liest er sein Angebot von einem Zettel ab: 100 Euro mehr im Monat als in der Branche üblich, Übernahme der Reisekosten zur Berufsschule, finanzielle Unterstützung beim Führerschein, Sonderzahlungen bei überdurchschnittlicher Leistung, garantierte Übernahme.
Im Februar 2018 lud Sterz das Video hoch. Bis heute wurde seine virtuelle Stellenausschreibung über vier Millionen Mal von Nutzern geklickt. Seither wird Sterz überschüttet mit Bewerbungen. Selbst Bewerber aus Bayern wollen bei dem Glaser in Niedersachsen arbeiten, der sich in seinem Video so sympathisch präsentiert hat.