„Das klassische Büro ist tot“

Future of Work

Der Software-Konzern Microsoft geht in Sachen Flexibilität weiter als die meisten Unternehmen. Dort können die Mitarbeiter völlig frei entscheiden, wann und wo sie arbeiten. Die Büroarbeitsplätze werden weniger.

Kaum betritt man das historische Gebäude an der alten Berliner Prachtstraße Unter den Linden, in dem Microsoft vor kurzem den ersten Teil seiner neuen Hauptstadtrepräsentanz errichtet hat, lässt man den Trubel der Straße hinter sich. Eine ruhige, konzentrierte Atmosphäre, gekleidet in modernes Design, empfängt einen in der Digital Eatery, die zugleich Café, Showroom und Begegnungsstätte sein will. Von den knapp 20 Gästen, die sich dort am frühen Nachmittag aufhalten, sind die meisten da, um zu arbeiten. Darunter sind einige Microsoft-Mitarbeiter, aber auch externe Gäste, die der Software-Riese mit dem Konzept ansprechen will. Die digitale Gesellschaft soll sich dort treffen, das ist der Wunsch.

Mehr Motivation und Identifikation

Das Angebot, das Microsoft in Berlin macht, ist das aktuellste Beispiel dafür, wie sich das Arbeiten bei dem amerikanischen Unternehmen verändert. „Das klassische Büro ist tot“, so hieß es in einer Pressemitteilung, die der Konzern Anfang August verschickt hatte. Darin ging es um ein neues Bürokonzept und um das Ziel, noch flexibler, als es bisher schon der Fall war, zu arbeiten. Im Endeffekt hofft man dadurch auch, die Motivation der Mitarbeiter und ihre Identifikation mit dem Unternehmen zu stärken.

Flexibles Arbeiten liegt im Trend, manche Arbeitgeber brüsten sich sogar damit, mehr als hundert verschiedene Arbeitszeitmodelle anzubieten. Für Bibi Hahn, Mitglied in der Geschäftsführung der internationalen Unternehmensberatung Hay Group, zählt es sogar zu den Megatrends der Arbeitswelt. Sie führt dies auf den demografischen Wandel und die Generation Y zurück, die andere Erwartungen an die Organisationsstruktur eines Unternehmens hätte als die Generationen vor ihr. Daneben nennt sie auch den anhaltenden Kostendruck und Smart Sourcing, also die Frage danach „wo ich wann und wie meine Ressourcen am besten einsetzen kann“, als wesentliche Treiber dieser Entwicklung.

Bei Microsoft ist flexibles Arbeiten Teil der Unternehmenskultur – und das schon immer, wie Elke Frank sagt. Sie ist seit August bei dem Softwarekonzern Senior Director Human Resources. „Wir stehen für Werte wie Eigenverantwortung und Flexibilität.“ Es gilt Vertrauensarbeitszeit. Man überlässt es vollständig den Mitarbeitern, wann und wo sie arbeiten. Was zählt, ist das Ergebnis. Dafür werden Aufgaben und Ziele zu Beginn eines Jahres definiert. „Daran messen wir den Erfolg.“

Ständiger Austausch

Führung ist ein wichtiger Punkt, wenn flexibles Arbeiten funktionieren soll. Grundsätzlich können und sollen die Teamleiter bei Microsoft individuelle Vereinbarungen dafür mit ihren Mitarbeitern treffen. Darüber hinaus gibt es eine ausgeprägte Feedbackkultur, die den ständigen Austausch zwischen Managern und Mitarbeitern fördern soll. So können Probleme, sei es im Arbeitsablauf insgesamt oder individueller Art, frühzeitig erkannt werden.

Denn nicht jeder kann mit der Freiheit umgehen, selbst zu entscheiden, wann er wo arbeitet. Elke Frank betont die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers: „Wir müssen darauf achten, dass Mitarbeiter nicht überfordert werden, dass sie mit der Flexibilität umgehen können.“ Da sind in erster Linie die Führungskräfte, aber auch die Personaler gefragt, die im Falle des Falles aktiv das Gespräch suchen und individuelle Lösungen finden und anbieten sollen.

Darüber hinaus hat Microsoft in Zusammenarbeit mit Gallup allgemeingültige Regeln für flexibles Arbeiten entwickelt: zehn für Arbeitgeber und zehn für Arbeitnehmer. Man will das eigene Konzept damit ein Stück weit der Öffentlichkeit präsentieren. Denn der Konzern sieht sich als eine Art Role Model. „Viele Kunden fragen nicht nur nach unseren Produkten, sondern auch danach, wie wir damit umgehen und welche Erfahrungen wir gemacht haben“, erklärt Elke Frank. Somit ist das Unternehmen selbst ganz nebenbei ein Werbeträger für die eigenen Produkte, von denen viele flexible Arbeitsformen unterstützen.

Zum neuen Bürokonzept gehört ebenfalls, dass die Anzahl der Standorte in Deutschland reduziert wird. Künftig will man sich vor allem auf München, Köln und Berlin konzentrieren. In Hamburg, Böblingen und Bad Homburg soll es dann keine festen Büros mehr geben. Die Mitarbeiter können sich entscheiden: Wechseln sie zu einem der verbleibenden Standorte oder arbeiten sie nur noch vom Home Office aus? Bei Microsoft sieht man diesen Schritt als weitere Entscheidung für die Vertrauensarbeitszeit und das Home Office. Der Grund für diese Entscheidung: „Unsere Niederlassung in Bad Homburg zum Beispiel ist tageweise bis zu achtzig Prozent nicht besetzt. Ein überwiegender Teil der Mitarbeiter ist dort im Vertrieb tätig und verbringt die meiste Zeit bei unseren Kunden.“

Frank räumt aber ein, dass das Büro an sich ein Mittelpunkt des Unternehmens sei, vor allem aufgrund der Möglichkeit, zusammenzukommen und sich auszutauschen. Das will man durch die Schließung der Standorte auch nicht komplett abschaffen. Denn Treffen, die nicht nur übers Internet, sondern face-to-face stattfinden, sind für die Personalchefin ebenso ein Teil der spezifischen Unternehmenskultur. „Die persönliche Interaktion ist essenziell für unsere Arbeit. Das darf auf keinen Fall verloren gehen.“ Daher sucht Microsoft nach lokal passenden Lösungen, wie man Räume schaffen kann, die sich sowohl für den Kontakt zwischen Kollegen, aber auch für Treffen mit Kunden oder Veranstaltungen verschiedenster Art eignen. Die Digital Eatery in Berlin scheint solch eine Lösung für Berlin zu sein, wenngleich es dort zukünftig auch Büroarbeitsplätze geben wird. Und im Fall von Bad Homburg sei man gerade gemeinsam mit den dortigen Führungskräften und Betriebsräten dabei, Ideen zu entwickeln. „Das Thema persönliche Interaktion wird es weiterhin geben, nur eben in einer modernen, flexiblen Form.“

Das organisatorische Zuhause wird bleiben

Bibi Hahn von Hay Group findet die Entwicklung hin zu mehr Flexibilisierung durchaus sinnvoll, sie kennt aber genauso die Vorteile eines festen Arbeitsplatzes im Büro. Die Argumente ähneln denen von Marissa Mayer, CEO bei Yahoo, die Anfang des Jahres das Home Office drastisch reduzierte. Aspekte wie Austausch, Teambuilding, Kreativität und Innovation spielen dabei eine Rolle, ebenso der Blick auf den Arbeitsplatz als eine Art „organisatorisches Zuhause“. Hahn beobachtet daher aktuell, dass das „extreme Einräumen von Heimarbeit wieder ein bisschen zurückgedreht wird“.

Microsoft geht bewusst in die andere Richtung. Man sieht den eigenen Umgang mit dem Thema als richtungsweisend an, das Home Office wird als die Arbeitsform der Zukunft betrachtet. Die Mitarbeiter scheinen das ähnlich zu sehen, rund neunzig Prozent nutzen die Flexibilisierungsmöglichkeiten. „Ich habe selten so eine extrem hohe Mitarbeitermotivation und Unternehmensidentifikation erlebt wie ich es hier in meinen ersten Wochen erlebe“, meint Elke Frank. Das Ziel, was Microsoft mit der Flexibilisierung erreichen wollte, scheint also schon erreicht.

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Kathrin Justen

Kathrin Justen ist Verantwortliche für People and Culture bei der Digitalberatung Digital Dna und arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin.

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