Transformation der Träume

Future of Work

Über den Wolken endet eine Passion: der Traumberuf Pilot. Er habe sich nie etwas anderes vorstellen können, als zu fliegen, und nie etwas anderes gelernt, schreibt Peter Haase, Berufspilot bei der Lufthansa. Dann kam Corona. „Niemand hätte es sich vorstellen können, aber selbst für uns Flieger platzen Träume,“ schreibt Haase in einem Bericht. Die Vereinigung Cockpit riet jungen Pilotinnen und Piloten in einem Radiointerview, dass sie sich besser eine Alternative suchen sollten. Viele schulten um, führen heute keine Flugzeuge mehr, sondern Loks.

Wenn Krisen Märkte erschüttern, verändern sich Jobs. Pilotinnen und Piloten seien hoch qualifiziert und würden schnell Alternativen finden, sagt Daniel Terzenbach, Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit: Das kann das Führen eines Zuges sein oder die Wettersimulation. Die Schnittmengen seien groß. „Vielleicht ist das nicht ihr Traumjob. Aber wir können Pilotinnen und Piloten das Angebot machen, Berufsfelder kennenzulernen, in denen sie das einsetzen, was sie gelernt haben und wofür sie eine Leidenschaft mitbringen.“

Die Bundesarbeitsagentur versteht sich als Drehscheibe in der Transformation. Sie will nicht als Behörde auftreten, sondern als Beraterin. „Wir möchten die Menschen durch die Phasen begleiten, die eine Veränderung mit sich bringen“, sagt Terzenbach. Dazu gehört, Veränderungen zu erklären, die Lage zu analysieren und Ideen zu entwickeln, wie es weitergehen kann. Den Gang durch das Tal der Tränen zu begleiten, das Menschen durchschreiten, die einen Wandel erleben wie der Pilot Peter Haase, gehört zum Coachingprozess dazu. Die Arbeitsagentur hatte lange nicht den Ruf, besonders einfühlsam bei solchen Transformationen zu sein. Der „Vermittlungsvorrang“ zwang die Behörde, Arbeitssuchende in Stellen zu bringen, egal wie passend oder willkommen sie waren. Das gilt nicht mehr, der Passus wurde abgeschafft. Inzwischen sind nicht die Stellen das Problem, sondern Qualifizierte. „Wer etwas mit Leidenschaft macht und die passende Qualifikation mitbringt, kann nahezu überall unterkommen“, sagt Terzenbach.

Wollen und Können

Der Markt hat sich so verändert, dass das Individuum in den Mittelpunkt rückt. Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt eine Rolle: Jemanden in einen Job zu vermitteln, den er oder sie nicht mag, führt früher oder später zu Frustration. Um solche Frustwechsel zu vermeiden, baut die Beratung der Bundesarbeitsagentur auf den Dimensionen Wollen und Können auf. Beides mache das berufliche Selbstverständnis aus, erklärt Terzenbach. Genau darauf möchte die Bundesagentur für Arbeit achten, um „dauerhaft berufliche Zufriedenheit zu garantieren“, ob bei der Berufsorientierung oder im Transformationsprozess. Sie spricht mit Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Angestellten, um für Veränderungen zu sensibilisieren.

Die größte Herausforderung ist es, jene zu erreichen, die Veränderungen nicht wahrnehmen. Laut Statistik sind das die Geringqualifizierten. Auch eine Umfrage des Portals StepStone zeigt: Führungskräfte blicken im Zuge der Digitalisierung positiv auf den Wandel. Für Geringqualifizierte ist die Automatisierung hingegen eine Gefahr: Viele einfache Tätigkeiten entfallen. Doch der Bedarf an qualifiziertem Personal steigt. Es gibt kaum ein Unternehmen, das nicht über den Fachkräftemangel klagt.

Auch Continental ist von der Transformation betroffen. Das Automobilzulieferunternehmen muss neue Leistungen und Prozesse entwickeln, Cybersecurity für Autos zum Beispiel oder Roboter in der Fertigung. Continental hat im September 2019 ein Strukturprogramm gestartet, das auf zehn Jahre ausgelegt ist und sich auch auf die Arbeitsplätze im Konzern auswirken wird. Für betroffene Angestellte hat das Unternehmen eine umfassende Qualifizierungsoffensive ins Leben gerufen. „Wir wollen zeigen, wie die Transformation die Arbeit verändert und unternehmen alles, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesem Weg mitzunehmen“, sagt Marcel Verweinen, Personalleiter Deutschland bei Continental.

Auch Ungelernte qualifizieren

Teil der Offensive ist das im Jahr 2019 gegründete hauseigene Weiterbildungsinstitut für Technologie und Transformation (CITT). Bis Ende 2021 konnten darüber 3.500 Menschen in Deutschland für neue Aufgaben qualifiziert werden, ein überwiegender Teil sind un- und angelernte Beschäftigte. „Qualifizierung ist der Schlüssel, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fit für die Zukunft zu machen. Wir werden automatisierter. Und es reicht nicht, nur die Bedienung von Geräten und Maschinen zu schulen. Wir müssen auch Grundlagen vermitteln, mit denen sich Menschen in Zeiten der Digitalisierung entwickeln können“, sagt Verweinen.

Der erste Schritt zur Entwicklung ist, Lust zu haben, etwas zu lernen. Unter dem Titel „Es beginnt bei dir“ vermittelt Continental in kurzen Videobotschaften, welche Möglichkeiten es gibt. Auf Plattformen und Versammlungen erklären Betriebsrat und Führungskräfte, was sich am Markt verändert und warum Weiterbildung hilft. Rund 200 Qualifizierungsguides sollen vor Ort motivieren, die meisten in der Produktion. Der Bedarf an Information und Beratung sei bei den 8.000 Un- und Angelernten besonders hoch. „Auch die Zeit spielt uns in die Karten. Es spricht sich herum, welch positiven Effekt die Qualifizierung hat. So lassen sich auch die größten Zweifelnden erreichen“, sagt Verweinen.

Corinna Vogt ist eine Expertin darin, Arbeitskräfte durch Veränderungen zu navigieren. Sie leitet den Qualifizierungs- und Beratungsanbieter der Deutschen Bahn, DB Training, Learning and Consulting. 270.000 Teilnehmende qualifiziert DB Training pro Jahr. Einige kommen aus anderen Konzernen, Pilotinnen und Piloten zum Beispiel, die künftig ein Triebfahrzeug führen. Viele entwickeln sich intern. Personen im DB-Training-Team nennt Vogt „Lernbegleiter“, sie sollen die Teilnehmenden stärken, sich selbst Wissen anzueignen, und sie für eigenverantwortliches Lernen motivieren. In der Regel seien die Teilnehmenden aus dem DB-Konzern lernaffin. Wer aber zum Beispiel seinen Job verloren habe, sei erst dann offen für Neues, wenn das Tal der Tränen durchschritten sei, sagt Vogt: „Wenn diese Personen wieder ihre Fühler ausstrecken, haben wir, als Anbieter von geförderten Maßnahmen durch die Arbeitsagentur die Chance, ihnen neue beruflichen Perspektiven aufzuzeigen und etwas für sie zu finden, das zum Selbstbild passt.“

Die Jobs der Zukunft

Deloitte hat untersucht, was die Jobs der Zukunft prägt. Maren Hauptmann leitet die Human Capital Practice und erklärt, wie sich Jobprofile in Deutschland verändern.

Frau Hauptmann, was sind die größten Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt?
Neben dem demografischen Wandel ist das vor allem die Digitalisierung. Sie verändert ganze Berufe und die Art und Weise, wie wir arbeiten. Es ist ein Megatrend, der anhält und der in den letzten zwei Jahren enorm beschleunigt wurde.

Wie verändern sich Berufe konkret?
Einige Berufe werden obsolet, insgesamt werden jedoch mehr Berufe entstehen. Vor allem müssen wir neu definieren, was zum Jobprofil gehört und wie der Erfolg aussieht. Arbeitskräfte werden sich häufiger in Situationen befinden, in denen das, was sie gelernt haben, nicht mehr reichen wird. Lebenslanges Lernen wird noch wichtiger.

Welche Kompetenzen werden relevant?
Alles, was sich nicht durch Technik ersetzen lässt und Menschen ausmacht: Analysefähigkeiten, Kommunikations- und Problemlösungskompetenzen, Dinge in den Kontext zu setzen oder andere zu motivieren. Das sind aber auch Skills, die schwerer zu lernen sind. Durch die permanente Veränderung, Interaktion und Kommunikation kommt Stress ins System. Nicht alle sehen das positiv.

Was ist der Ausweg aus dem Dilemma?
Menschen müssen nicht nur neue Skills erlernen, sondern auch, mit neuen Situationen umzugehen. Das macht sie widerstandsfähig. Ich kann nicht erst nach Resilienz rufen, wenn jemand ins Arbeitsleben startet. Veränderungsbereitschaft und die Fähigkeit mit neuen Situationen umzugehen, sollten bereits in Schule und Hochschule vermittelt werden.

Interview: Mirjam Stegherr

Veränderungen selbstverständlich machen

Vogt glaubt daran, dass nahezu jeder Mensch alles kann, es sei nur eine Frage des Willens und Aufwands. Wer kein Zahlenfreak sei, könne trotzdem ein Unternehmen führen und die sozialen Aspekte in den Fokus stellen. Auch da wandeln sich Berufsbilder: Laut einer Studie des Personaldienstleisters Robert Half sind Soft Skills für Führungskräfte durch die Coronakrise wichtiger geworden und machen inzwischen ein Drittel des Jobprofils aus.

Führungskräfte hätten die Aufgabe, die Rollen im Team und den persönlichen Zugang zum Beruf und Unternehmen herauszuarbeiten, sagt Vogt: „Es ist wichtig zu wissen, was die Wahrnehmung und Entscheidungen prägt. Wenn ein Team über Purpose spricht, kann das für technisch geprägte Menschen etwas anderes bedeuten als für Menschen mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund.“ Teammitglieder anzustoßen, nicht in Rollen zu verharren, ist ebenfalls eine Führungsaufgabe. Die Bahn bedient nicht umsonst 250.000 Menschen pro Jahr in ihrem eigenen Trainingscenter, sie hat ein Interesse daran, dass sich Personen weiterentwickeln. Das liegt zum einen daran, dass sich Berufe verändern, zum anderen, dass es einfacher ist, intern Fachkräfte auszubilden, als sie von außen einzustellen.

Um die Motivation zu stärken, sich jenseits des Selbstverständlichen zu orientieren, hat die Bahn ein Tool für Nachfolgemanagement entwickelt: Online können sich Mitarbeitende anschauen, wer einen Job ausübt, den sie spannend fänden, und sich in eine Liste eintragen, falls der Job frei wird, weil zum Beispiel jemand in den Ruhestand geht. Das erhöht die Chancen, Nachwuchs im Haus zu finden. Und es macht Veränderung selbstverständlicher.

Nicht immer ist Veränderung etwas Positives, darum wollen Unternehmen wie Continental oder die Bahn Transformation aufwerten. Verweinen betont, wie wichtig es sei, diesen Prozess gemeinschaftlich mit den Sozialpartnern zu gestalten. Es gibt andere Beispiele, in denen Betriebe Menschen einen Freibrief ausstellen, sich nicht mehr weiterzuentwickeln, weil sie bis zur Rente nichts ändern wollen. „Das bedeutet dann, dass das Scheitern programmiert ist“, sagt Vogt. Für Veränderung gibt es eben keine Altersgrenze, und kein Selbstverständnis reicht aus, die Transformation zu ignorieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Selbstverständnis. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Mirjam Stegherr, Journalistin, Moderatorin und Beraterin

Mirjam Stegherr

Freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin
Mirjam Stegherr ist freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin.

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