Warum gesund gewinnt

Future of Work

Gesundheit wird zum entscheidenden Zukunftsfaktor für die Wirtschaft. Warum das so ist und was das für die Unternehmen bedeutet, erklärt Ökonom Erik Händeler im Interview.

Die Gesundheit wird den Wohlstand der Gesellschaft bestimmen, das ist die These von Erik Händeler, Wirtschaftswissenschaftler und Zukunftsforscher. Damit ist nicht nur ein Rücklauf der Krankheitsreparaturkosten gemeint. Händeler stützt seine Argumentation auf die Theorie der Kondratieff-Zyklen, nach der sich die Wirtschaft anhand langer Wellen beschreiben lässt. Innovationen führen demnach zu Aufschwung und Paradigmenwechsel. Im nächsten Zyklus wird seelische und psychosoziale Gesundheit zu einem produktiveren Sozialverhalten in der Wissensgesellschaft führen.

Der Human Resources Manager traf den Ökonom im Februar beim internationalen Kongress vom Demographie Netzwerk (ddn) zum Thema „Human Economy – Sustainable Resource Management of an ageing workforce“.

Herr Händeler, Sie haben in ihrem Vortrag dargelegt, wie Arbeitskultur, Gesundheit und ökonomischer Erfolg miteinander verknüpft sind. Warum wird Gesundheit zum entscheidenden Faktor für die Wirtschaft?
Das liegt daran, dass Gesundheit in Zukunft zum knappsten Produktionsfaktor wird. Dadurch entsteht ein Veränderungsdruck, der sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen bemerkbar machen wird. Dieses Muster wiederholt sich in der Geschichte. Als in der industriellen Revolution ein Mangel an Transportkapazitäten herrschte, musste die Eisenbahn gebaut werden. Und in diese neue Erfindung konnte dann zudem investiert werden. Als die Wissensflut explodierte und Zettelkästen nicht mehr ausreichten, hat man Computer gebraucht. Jetzt ist die Zeit vorbei, in der der Computer grundlegend die Produktivität weiter erhöhen kann. Das bedeutet auch, dass weniger Investitionen getätigt werden, trotz historisch niedriger Zinssätze. Daher auch die Stagnationsphase, die wir in der Weltwirtschaft erleben.

Wie kommen wir dieses Mal aus dem wirtschaftlichen Tal heraus?
Die Menschen warten auf eine neue Erfindung und denken, dass es eine neue Dampfmaschine geben könnte. Der größte Teil der Arbeit ist heutzutage aber Gedankenarbeit, also planen, organisieren, beraten und Probleme lösen. Diese immaterielle Arbeit muss effizienter gestaltet werden. Dazu gehört Gesundheit im weitesten Sinne, auch die seelische. Diese Faktoren spielten für die Produktivität am Fließband keine Rolle. In der Wissensgesellschaft wird soziale Gesundheit aber zur Grundlage des Wohlstands.

Eine gesunde Lebensweise ist also nicht nur für unser individuelles Wohlbefinden von Bedeutung.
Richtig, denn Gesundheit wird zum Wachstumsmotor für die gesamte Wirtschaft, weil Bildung immer teurer wird. Dieses Bildungskapital muss sich länger amortisieren. Wir können es uns einfach nicht leisten, jemanden mit 50 halbtot in Rente zu schicken. Die Übergänge von der Erwerbstätigkeit zum Ruhestand werden fließender. Wenn wir jemandem alle drei Jahre eine neue Herausforderung geben, und diese anders gestalten, weniger körperlich und in 5-Stunden-Schichten zum Beispiel, dann merkt er nicht, dass er älter wird. Wir wollen länger arbeiten, müssen dies aber auch.

Was bedeutet das für die Unternehmen?
Wenn wir weiter an den alten Erwerbsbiographien festhalten und die Unternehmen sich nicht verändern, bekommen sie ein Problem. Sie finden einfach keine Nachwuchskräfte. Die jüngeren Arbeitnehmer sehen, wie mit den älteren Kollegen umgegangen wird und welche Perspektiven sich für das spätere Arbeitsleben dementsprechend ergeben. Zeigt sich der Arbeitgeber flexibel, erhöht das die Attraktivität gegenüber potenziellen Nachwuchskräften.

Und welchen Einfluss hat das auf die Unternehmenskultur?
Wir müssen bedenken, dass neben der längeren Arbeitszeit auch die zunehmende Gedankenarbeit eine Rolle spielt. Früher waren die Hierarchien durch die formale Ausbildung geprägt. Die Kompetenz war in der Spitze des Unternehmens positioniert, weiter unten wurde ausgeführt. Mittlerweile ist die Wirtschaft aber viel zu komplex. Die einzigen, die sich noch wirklich auskennen, sind die Sachbearbeiter auf den unteren Ebenen. Die Fachkompetenz verlagert sich.

Es verändern sich also auch die Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
Je weiter es nach oben geht, desto wichtiger werden die Moderation von Ressourcen und die Gestaltung des Informationsflusses. Die Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter fragen, was sie für ihre Aufgaben brauchen, wie sich Entscheidungen auf die Arbeitsflüsse auswirken würden, sich auch mal etwas erklären lassen. In einem erfolgreichen Unternehmen kehren sich die Informationsströme um.

Aber funktioniert das ohne Reibung?
Es wird sicherlich nicht da erfolgreich umgesetzt werden, wo stark statusorientiert gedacht wird. Das mittlere Management muss erst einsehen, dass es sich nicht besser auskennt als die unteren Ebenen und darauf verzichten, die guten Ideen des Facharbeiters aus Prinzip zu verändern. Umgekehrt ist es genauso. Wenn man nicht für seine guten Ideen kämpft, weil das Gesicht gewahrt werden muss und man den Chef nicht verärgern will, werden nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Das ist schlichtweg unproduktiv.

Wie verhält es sich in Unternehmen, die bereits mit einem flacheren Hierarchieverständnis arbeiten?
Das Problem bleibt teilweise gleich. Das zeigt sich auch in anderen Bereichen. Heutzutage setzen wir zum Beispiel aus den verschiedenen Geschäftsfeldern Teams zusammen. Wenn die Mitarbeiter aber nicht gelernt haben, sachlich und problemorientiert auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten, empfinden sie die neuen Teamstrukturen als Machtvakuum. Die dann entstehenden Auseinandersetzungen kosten echtes Geld. Produktiveres Sozialverhalten beendet diese Ineffizienz und wird so zur neuen Dampfmaschine. Das Verhalten hängt wiederum von der psychosozialen seelischen Gesundheit ab.

Von heute auf morgen geht das wahrscheinlich nicht.
Die Menschen wollen sich eigentlich nicht ändern. Ökonomisch rational ist das völlig verständlich. Wir haben ja Energie investiert und wollen nicht wahrhaben, dass das bisher Gelernte plötzlich weniger wert ist. Wir ändern daher eher unsere Wahrnehmung als uns selbst. Diejenigen aber, die ihr Verhalten entsprechend überdenken, werden produktiver als ihre Konkurrenten und überleben am Markt. Das gilt für Einzelpersonen und für Unternehmen.

Spielt die HR-Abteilung dann den Vermittler in diesem Prozess oder ist sie selbst Teil des Umbruches?
Das kommt auf die Machtverteilung an. Es sollte eigentlich die Aufgabe von HR sein, aber die können sich ein Bein ausreißen, wenn der Vorstand anders denkt. Der muss also erst mit dem Kostenargument überzeugt werden, dass die Wertschöpfung der immateriellen Gedankenarbeit durch eine verbesserte Streitkultur erhöht werden kann.

Es geht also nicht um eine simple Änderung der Strukturen?
Viele setzen auf eine Änderung des Organigramms, aber viel wichtiger ist der Geist im Organigramm. Und dieser muss beständig sein. Ansonsten kann ein neuer Chef im Unternehmen ganz leicht die vorher getane Arbeit wieder zunichtemachen, wenn er nach alten Verhaltensmustern regiert.

Was sind denn die Kernelemente einer produktiveren Arbeitsweise?
Vor allem muss Widerspruch erlaubt sein. Das gilt für alle Ebenen. Darf man hinterfragen, ohne dass man gleich degradiert wird? Wie ist es mit der Streitkultur im Unternehmen? Sind Entscheidungsprozesse transparent und auch ein halbes Jahr später noch nachvollziehbar? Sind die Mitarbeiter ehrlich zueinander und kann man sich auch beim fünften gemeinsamen Projekt darauf verlassen? Diese Fragen sind umso wichtiger, je mehr die immaterielle Wissensarbeit an Bedeutung gewinnt.

Das klingt nicht so, als könnte man das mit einem kurzfristigen Maßnahmenkatalog mal eben ändern.
Auch die Eisenbahn stand nicht unmittelbar als Lösung der Transportknappheit zur Verfügung. Und diesmal geht es um das Verhalten der Menschen, nicht um eine technische Erfindung. Ich befürchte daher, dass es diesmal sogar ein wenig länger dauern könnte.

Der Typ „Stromberg“ stirbt also nur langsam aus?
Die Menschen sind frei, sich so oder so zu entscheiden, daher kann man nur schlecht Prognosen über den Zeitraum geben, aber aus marktwirtschaftlichen Gründen hat der Typ „Stromberg“ an sich keine Überlebenschancen.

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Christoph Unrast

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