Wie verändert sich die Arbeitsmoral durch KI?

Künstliche Intelligenz

KI erobert immer mehr Arbeitswelten. Welche Rolle spielt sie in Ihrem Beruf?

Catrin Misselhorn: KI ist für mich in erster Linie ein Forschungsgegenstand. Ich verwende KI aber auch bei der Internetsuche, um Texte zu diktieren oder um mich bei Übersetzungen von Formulierungsvorschlägen inspirieren zu lassen. Inhaltlich lasse ich Texte grundsätzlich nicht von einer KI verfassen, weil sich meine Überlegungen und Argumente erst beim Schreiben entwickeln. Ich brauche das, um ein Thema zu durchdringen. Außerdem macht es mir Spaß! Die Frage ist, ob ich konkurrenzfähig bleibe, wenn Kolleginnen und Kollegen ihren Output mit einer KI erhöhen, auch wenn die Qualität und Originalität meiner Texte höher wäre.

Was ist aus Ihrer Sicht das größte Potenzial von KI?

Früher ging es bei den Automatisierungswellen vor allem um einfache und körperlich schwere Arbeiten. Durch KI sind Branchen betroffen, in denen sonst neue Arbeitsplätze entstanden sind: Journalismus, Bildung, Pflege, das Rechtswesen und die Informatik zum Beispiel. Die Anzahl der neuen Berufsfelder, die mit der KI entstehen, ist an einer Hand abzählbar. Dazu gehört in erster Linie das Prompt Engineering, also Befehle für große Sprachmodelle zu optimieren.

Wann wird aus dem Werkzeug KI eine Kollegin?

Ich glaube nicht, dass KI eine Person ersetzen kann. Sie kommt als Kollegin nicht in Frage. Sie ist aber auch mehr als ein Werkzeug. Chancen und Herausforderungen ergeben sich dadurch, dass KI handeln kann, ohne Verantwortung zu übernehmen. So kann Neues und Unerwartetes entstehen, es kann auch zu Verantwortungslücken kommen. Zudem besteht die Versuchung, die Verantwortung abzuschieben, frei nach dem Motto „Das war die KI!”

Wie muss die Interaktion zwischen Mensch und KI organisiert sein, damit sie Arbeit verbessert und nicht verschlechtert?

Es kommt darauf an, dass KI die Selbstbestimmung der Menschen fördert und ihre Möglichkeiten zur Entfaltung erweitert. Menschen auf der Entscheidungsseite müssen die Verantwortung übernehmen und Betroffene die Entscheidungen anfechten können, die mit einer KI getroffen wurden, gerade, wenn es um das Leben, berufliche Chancen und grundlegende menschliche Güter geht.

Was bedeutet das konkret für Unternehmen?

Nehmen wir den Bereich Human Resources: Arbeit gehört zu den Grundgütern, die für den Selbstrespekt von Menschen wesentlich sind. Rekrutierungsprozesse sollten deshalb nicht vollständig der KI überlassen werden, sondern so überwacht werden, dass Menschen die Verantwortung übernehmen. Betroffene sollten Einsicht in die Prozesse bekommen und Einspruch gegen Entscheidungen einlegen können, wenn sie etwa den Verdacht haben, diskriminiert worden zu sein.

Wie wirkt sich KI auf die Arbeitsmoral, die Zusammenarbeit zwischen Menschen aus?

Interessant finde ich, dass wir auf eine KI, die sich menschenähnlich verhält, oder einen Roboter, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Menschen aufweist, mit Empathie reagieren. Und zwar selbst dann, wenn wir wissen, dass es sich um eine Maschine handelt. Das ist darum heikel, weil die gezielte Gestaltung von Robotern, die zu empathischen Reaktionen einladen sollen, etwa in der Pflege, eine manipulative Qualität hat. Es bringt Komplikationen mit sich, weil daraus eine indirekte moralische Verpflichtung entsteht, sich den Maschinen gegenüber so zu benehmen, wie wir es gegenüber Menschen erwarten würden. Andernfalls laufen wir Gefahr, auch in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen gefühlsmäßig zu verrohen und Personen nur als Mittel zum Zweck zu betrachten.

Welche Entwicklung durch KI wird unsere Arbeitswelt am meisten auf den Kopf stellen?

Wenn die Prognosen stimmen, werden viele Arbeitsplätze wegfallen, und verbleibende Stellen können oft mit geringer qualifizierten Personen besetzt werden. Menschen, die ihren Arbeitsplatz durch KI verlieren, müssen eventuell in eine Beschäftigung wechseln, für die sie überqualifiziert sind. KI soll die Produktivität erhöhen. Die Frage ist, ob das Einkommen hoch genug sein wird, um die produzierten Waren und Dienstleistungen zu konsumieren. Ein Vorschlag ist, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Aber was machen wir mit der freien Zeit, wenn die KI auch das übernimmt, was wir als wertvoll empfinden, etwa Musik machen, Gedichte schreiben oder Beziehungen pflegen?

Wie können wir uns darauf vorbereiten?

Indem wir darauf bestehen, Arbeit, die uns Freude macht, auf die wir stolz sind und aus der wir Befriedigung und Anerkennung ziehen, weiterhin selbst zu erledigen und nicht einer KI zu überlassen. Denken Sie an den Streik in Hollywood! Auch als Konsumenten sollten wir solche Initiativen unterstützen, und die öffentliche Filmförderung sollte entsprechende Richtlinien aufstellen. Wer in der Berufsqualifizierungsphase ist und einen sicheren Job sucht, sollte am besten eine handwerkliche Ausbildung beginnen. Putzen scheint ebenfalls krisensicher zu sein. Vielleicht kommt es in Folge der durch die KI ausgelösten Dynamik ja zu einer Aufwertung und besseren Vergütung solcher Arbeiten.

Welche Entwicklungen wünschen Sie sich, damit die Arbeitswelt mit KI eine bessere wird?

Die aufsehenerregendsten Entwicklungen der KI finden derzeit oft in Bereichen statt, in denen wir sie am wenigsten benötigen, weil es um Arbeiten geht, die Menschen gut und mit Freude erledigen, beispielsweise im kreativen oder sozialen Bereich. KI sollte sich stärker um die Probleme kümmern, die Menschen alleine nicht lösen können, beispielsweise die Klimakrise. Dafür muss Politik Anreize setzen. Und sie muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Erfolge der KI nicht mehr auf Praktiken beruhen, die menschliche Leistungen ausbeuten und Persönlichkeitsrechte verletzen. Ich hoffe, dass der AI Act der Europäischen Union Wirkung zeigt und Europa eine Vorreiterrolle auf internationaler Ebene spielen kann.

Über die Gesprächspartnerin

Catrin Misselhorn ist Philosophieprofessorin an der Universität Göttingen. Sie promovierte und habilitierte in Philosophie an der Universität Tübingen. Misselhorn ist Autorin der Bücher Grundfragen der Maschinenethik (Reclam, 2018) und Künstliche Intelligenz und Empathie (Reclam, 2021), sowie Künstliche Intelligenz – das Ende der Kunst? (Reclam, 2023).

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Miteinander. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Mirjam Stegherr, Journalistin, Moderatorin und Beraterin

Mirjam Stegherr

Freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin
Mirjam Stegherr ist freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin.

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